6.  Konzeption von Prüfungen der vier grundlegenden sprachlichen Fertigkeiten 

6.1 Allgemeine Überlegungen

In diesem Kapitel wollen wir uns zunächst mit der Prüfung der vier grundlegenden Fertigkeiten - des LesensHörensSchreibens und Sprechens - beschäftigen (vgl. hierzu exemplarisch auch Huneke / Steinig 2002: 109ff). Die Abprüfung dieser Fertigkeiten stellt den zentralen Aspekt sprachpraktischen Prüfens dar. Die erste Frage, der wir uns zuwenden wollen, ist diejenige, ob diese vier Fertigkeiten in Prüfungen klar voneinander getrennt oder ineinander integriert werden sollen (vgl. hierzu auch Tinnefeld 2002: 31ff).

In aller Regel sind die Fertigkeiten Schreiben und Lesen feste Bestandteile einer typischen Prüfungsklausur. Das Hörverstehen kann prinzipiell innerhalb der Klausur geprüft werden, es kann jedoch auch Bestandteil der mündlichen Prüfung sein. Im ersten Falle gebührt ihm in der Regel ein mehr oder minder eigenständiger Prüfungsteil, im zweiten Fall wird es innerhalb des Prüfungsgesprächs mitgeprüft. Aufgrund des damit verbundenen, höheren Qualitätsanspruchs und aus Gründen einer größeren Zweckmäßigkeit wird hier der ersten Möglichkeit - der Behandlung des Hörverstehens im Rahmen der Prüfungsklausur - der Vorzug gegeben. Diese Konstellation stellt zugleich die Basis für unsere weiteren Überlegungen dar.
Für die Abprüfung der restlichen drei Fertigkeiten - des Sprechens, Schreibens und Hörens - existieren prinzipiell zwei Möglichkeiten:
·  die strikte Trennung der einzelnen Fertigkeiten innerhalb der Prüfungsklausur und somit die separate Prüfung der Schreibfertigkeit, des Leseverstehens und des Hörverstehens ohne jegliche Beziehung dieser zueinander. Dieser separative Ansatz kann graphisch wie folgt veranschaulicht werden:
Abb. 60: Strikte Trennung der abzuprüfenden sprachlichen Fertigkeiten


oder:

  • die Integration der drei Fertigkeiten in der Prüfungsklausur unter bewusster Herstellung von Querverbindungen zwischen ihnen, um sie eng miteinander zu verzahnen. Dieser integrative Ansatz lässt sich graphisch wie folgt darstellen:
Abb. 61:  Integration der abzuprüfenden sprachlichen Fertigkeiten

Ein in theoretischer Hinsicht gewichtiges Argument für die erste Möglichkeit - also die strikte Trennung der drei Fertigkeiten - liegt in ihrer hohen Validität: Die konsequente Trennung dieser Prüfungsteile ermöglicht eine beachtliche Aussagekraft hinsichtlich der von den Prüflingen erbrachten Leistungen, denn im Rahmen des Schreibfertigkeitsteils wird ausschließlich die Schreibfertigkeit geprüft, im Rahmen des Leseverstehensteils ausschließlich das Leseverstehen und im Rahmen des Hörverstehensteils ausschließlich das Hörverstehen. Zudem hängt mit dieser Prüfungskonzeption ein erheblicher Vorteil für den Korrektor zusammen: Aufgrund der so erzielten, hohen Trennschärfe und der klaren Zuordenbarkeit von Prüfungsaufgaben zu sprachlicher Fertigkeit ist die Bewertung in der Praxis ungleich transparenter und unproblematischer durchführbar, als wenn eine Vermischung in der Abprüfung der Fertigkeiten vorgenommen würde (vgl. hierzu auch Gutzat et al. 2001: 6).

Dieser separative Ansatz hat jedoch einen erheblichen Nachteil, der in seinem Mangel an Authentizität begründet liegt. In ihrem zukünftigen Arbeitsleben werden die Prüflinge aller Erfahrung nach nur in seltenen Fällen mit Aufgaben konfrontiert, die sich auf eine einzige sprachliche Fertigkeit beschränken. In der Realität der Arbeitswelt handelt es sich vielmehr um solche Aufgaben, die eine Kombination mindestens zweier sprachlicher Fertigkeiten darstellen.

Ein entscheidendes Argument für den integrativen Ansatz - den so genannten mixed mode test (vgl. Bolton 1985: 110) - ist sein hoher Grad an Authentizität[1]. In integrativen Prüfungen wird das Berufsleben mit seinen in der Realität auftretenden Anforderungen ungleich adäquater abgebildet, als dies je auf der Basis separativer Aufgabentypen der Fall sein könnte. Durch diesen Ansatz wird die sprachliche Realität somit authentischer nachgebildet: Jegliche Künstlichkeit, die separativen Klausuraufgaben gleichsam unabwendbar inhärent ist, reduziert sich hier auf ein Mindestmaß oder wird gar vollständig ausgeschaltet.

In praktischer, sprachlicher und kommunikativer Hinsicht ist dieser Ansatz somit der überlegene. In wissenschaftstheoretischer Perspektive ist jedoch zu konstatieren, dass die Validität des integrativen Ansatzes derjenigen des separativen Ansatzes deutlich unterlegen ist, da die von den Prüflingen erzielten Leistungen weniger eindeutig den einzelnen sprachlichen Fertigkeiten zugeordnet werden können. Die erhebliche Unschärfe der erzielten Resultate und ihrer Interpretation führt zu einer Reduktion der Objektivität der Leistungsbewertung. In dieser Situation liegt es nicht selten in den Händen des Klausurkorrektors - und nicht, wie es im Grunde der Fall sein sollte, in denjenigen des Klausurkonzeptors -, zu entscheiden, welche konkrete Teilleistung der Prüflinge welcher sprachlichen Fertigkeit zuzuordnen ist.

Unsere Ausführungen haben deutlich werden lassen, dass beide Ansätze hinsichtlich ihrer Vor- und Nachteile derart ausgewogen sind, dass es an dieser Stelle unmöglich ist, eine eindeutige Empfehlung zugunsten des einen oder des anderen auszusprechen. Es können hier lediglich Tendenzen der Präferenz aufgezeigt werden (vgl. auch Tinnefeld 2002: 33f):
  • An solchen Sprachenzentren und Sprachlehrinstituten[2], in denen Wert auf einen im Vergleich höheren wissenschaftstheoretischen Anspruch gelegt wird, sollte der separative Ansatz befolgt werden. Hier sollte man sich jedoch der Tatsache bewusst sein, dass die geprüften Leistungen nicht in allen Fällen einhergehen mit denjenigen Anforderungen, denen die Prüflinge in ihrem späteren Berufsleben unter-liegen werden.
  • An solchen Sprachenzentren und Sprachlehrinstituten hingegen, in denen man sich eher an der sprachlichen Realität orientiert, sollten der integrative Ansatz vorgezogen werden. Dort sollte man sich jedoch der Problematik der innerhalb dieses Ansatzes geringeren Validität bewusst sein und somit des Faktums, dass die Prüfungsergebnisse weniger Aussagekraft haben. Das prinzipielle Problem der Zuordenbarkeit von Prüfungsleistung zu sprachlicher Fertigkeit mag in der Prüfungspraxis mit Hilfe von Diskussionen im Kreise der Prüfer abgemildert werden. Gelingt dies im Einzelfalle - und in der Regel kann man davon ausgehen, dass dem so ist -, dann ist zumindest eine gewisse Einheitlichkeit in der Korrektur eines gegebenen Prüfungsdurchgangs gewährleistet. In diesem Fall würde der erhebliche wissenschaftstheoretische Nachteil dieses Ansatzes durch eine effiziente Prüfungspraxis partiell kompensiert. In diesem Falle kann diesem Ansatz von den entsprechenden Institutionen durchaus mit einer Re-duktion möglicher Bedenken der Vorrang eingeräumt werden.
Trotz aller möglichen und hier aufgeführten Einwände ist der integrative Ansatz nicht nur als der realitätsnähere, sondern auch als der im Vergleich modernere anzusehen. Seine Verwendung könnte einen Beitrag dazu leisten, die durchaus immer noch bestehende Tendenz zu einer gewissen Realitätsferne von Sprachprüfungen zu überwinden[3] und der Orientierung am späteren Berufsleben der Prüflinge mehr Bedeutung einzuräumen. In diesem Falle könnten die Prüfungen nicht zuletzt für die Prüflinge attraktiver gestaltet werden und bei diesen somit einen Motivationsschub auslösen.  


6.2 Grundlegende Kriterien für Prüfungstexte zum Leseverstehen

Hinsichtlich der Prüfung des Leseverstehens[4] werden wir uns im Folgenden mit der Textsorte geeigneter Prüfungstexte und deren Länge beschäftigen, des Weiteren mit deren Lexik und Fachtermini, dem Textaufbau, der Textauthentizität, dem Vorhandensein von Tabellen und Fotos, der unterrichtlichen Vorbereitung auf die Prüfung und der thematischen Orientierung geeigneter Prüfungstexte. Alle diese stellen wichtige Kriterien für die Auswahl von Prüfungstexten zum Leseverstehen dar.  


6.2.1 Textsorte und Textlänge

Ein Kriterium, dem in schriftlichen Prüfungen hohe Relevanz zukommt, ist dasjenige der Textauswahl, also die Frage, welchen Texten bzw. Textsorten in realen Prüfungsaufgaben Priorität eingeräumt werden sollte und welche sekundär sind bzw. lieber ganz unberücksichtigt bleiben sollten. Dieser recht konkret beantwortbaren Frage wollen wir uns im Folgenden zuwenden.

Zunächst soll in diesem Zusammenhang auf die fachliche Ausrichtung potentiell auszuwählender Texte und Textsorten eingegangen werden (vgl. auch Tinnefeld 2002: 37ff). Dieser Gesichtspunkt bezieht sich zunächst auf fremdsprachliche Veranstaltungen zur Vermittlung einer Fachsprache, zu deren Belegung Studierende mit fortgeschrittenen Fremdsprachenkenntnissen die Möglichkeit haben. Diese Fachsprache muss in diesen Veranstaltungen vordringlich behandelt und auch abgeprüft werden. Wird diese fach-sprachliche Ausrichtung nicht peinlich genau befolgt, so wird der Kurserfolg insgesamt infrage gestellt, denn in einem solchen Falle würde unter Missachtung des eigentlichen Lernzieles unterrichtet. In diesem Falle würde ebenso am eigentlichen Ausbildungsziel vorbeigeprüft. Somit würden die gesamte Veranstaltung und die mit ihr verbundene Prüfung irrelevant und verlören ihre Bedeutung im Curriculum. Dies bedeutet beispielsweise, dass der Dozent dann, wenn er gehalten ist, Grammatik zu unterrichten und zu prüfen, dies auf dem Hintergrund der jeweiligen fachsprachlichen Erfordernisse zu tun hat und unter Verwendung von Sprachmaterial aus der jeweiligen Fachsprache. Er kann sich dann nicht darauf berufen, allgemeinsprachliche Grammatik zu unterrichten und abzuprüfen, und dann als möglichen Grund anführen, dass dieser Ansatz gegenüber einer fachsprachlichen Grammatikvermittlung und -prüfung für die Studierenden leichter zu bewältigen sei.

In Analogie zur Vermittlung einer Fachfremdsprache ist in fremdsprachlichen Prüfungen zur Allgemeinsprache die ausschließliche bzw. zumindest priori-täre Berücksichtigung der jeweils besonders herausgestellten sprachlichen Fertigkeit zu sehen. In Veranstaltungen zum Hörverstehen muss dieses entsprechend prioritär unterrichtet und abgeprüft werden; in Veranstaltungen zur Schreibfertigkeit muss entsprechend das Schreiben unterrichtet und abgeprüft werden. Analoge Forderungen gelten für Veranstaltungen zum Leseverstehen und zur Sprechfertigkeit. Diese Ausrichtungen sind für die Text(sorten)auswahl in Prüfungen von grundlegender Bedeutung.

Im Rahmen der fachlichen Ausrichtung der in Frage kommenden Texte von höchster Bedeutung ist die Relevanz dieser für die Studierenden bzw. Prüflinge, für ihr Studium und / oder ihr zukünftiges potentielles Arbeitsfeld. An diesem Kriterium sollte die Textauswahl in erster Linie orientiert sein.

In diesem Zusammenhang ist als mögliches Gegenargument denkbar, dass während des Studiums noch keine Klarheit darüber herrsche, in welchem Arbeitsfeld ein Studierender in Zukunft tätig sein werde. Dieses Argument greift hingegen nicht. Es ist vielmehr als eine Schutzbehauptung solcher Prüfer zu bewerten, die sich keine Gedanken über die Relevanz prüfungsrelevanter Textsorten zu machen gewillt sind. Unter prüfungsdidaktischem Gesichtspunkt ist es jedoch nicht ausreichend, solche Textsorten für Prüfungen auszuwählen, die lediglich potentiell für ein gegebenes künftiges Arbeitsfeld der Studierenden relevant sind. Es müssen vielmehr solche Texte für Prüfungen herangezogen werden, die mit hoher Wahrscheinlichkeit berufsrelevant sind. Im Bereich der verschiedenen gelehrten Fachsprachen ist die Auswahl geeigneter Texte dabei ungleich leichter handhabbar als im allgemeinsprachlichen Bereich, da an den allgemeinwissenschaftlich ausgerichteten Fremdsprachenveranstaltungen Studierende unterschiedlicher Fächer und Fachrichtungen teilnehmen, die konsequenterweise künftig auch in unterschiedlichen Arbeitsfeldern tätig sein werden. Dennoch ist es auch hier nicht unmöglich, solche Texte und Textsorten für Unterricht und Prüfung heranzuziehen, die für diese Studierenden eine zumindest partielle Relevanz besitzen. Bei dieser Gruppe ist jedoch die Frage noch wichtiger als bei der Gruppe der fachspezifisch orientierten Studierenden, welche im Zusammenhang mit der gewählten Textsorte abgeprüften Fertigkeiten für diese künftig beruflich bedeutungsvoll sein werden. Bei dieser Gruppe von Prüflingen ist somit die Problematik der Auswahl der konkreten Prüfungsaufgaben von besonderer Bedeutung.

Einige Beispiele sollen unsere in diesem Zusammenhang angestellten Reflexionen konkretisieren:
  • Für eine Zertifikatsprüfung in Wirtschaftsfranzösischbietet sich im Rahmen der Teilprüfung zur Schreibfertigkeit die Analyse und Interpretation von Tabellen an. Diese dient zum einen der Abprüfung der Fähigkeit zur konzisen und präzisen Darstellung von Phänomenen und deren Interrelationen. Zum anderen sind Tabellen in aller Regel mit sehr wenig Sprachmaterial versehen, wodurch die an die Prüflinge gestellten Anforderungen noch weiter erhöht werden, da ihnen dadurch keine indirekten sprachlichen Hilfen an die Hand gegeben werden. Die hier geprüfte Fertigkeit ist für die Studierenden zudem nicht nur in der Mehrzahl der künftig von ihnen anvisierten Arbeitsfelder von Bedeutung, sondern sie ist bereits während ihres Hochschulstudiums von hoher Relevanz.
  • Eine geeignete Prüfungsaufgabe in der Fachsprache Rechtswissenschaften kann in der Bearbeitung eines anspruchsvollen Zeitungs- oder Zeitschriftenartikels zu einer gegebenen juristischen Themenstellung sein. Im Vergleich zu einer solchen Aufgabenstellung wäre die reine Rezeption eines Gerichturteils dagegen nicht sinnvoll. Eine solche Aufgabe wäre für angehende Juristen nicht anspruchsvoll genug. Zudem wäre sie nicht hinreichend kommunikativ. Die Erarbeitung eines Gerichtsurteils mit der anschließenden Aufgabe, dieses in den übergeordneten juristischen Kontext einzuordnen sowie zu dem Urteil selbst und zu seinen juristischen und gegebenenfalls gesellschaftlichen Konsequenzen Stellung zu nehmen, ist dagegen als adäquat einzustufen, entspricht jedoch nicht mehr einer reinen Leseverstehensprüfung, sondern einer Mischform, die jedoch eng an der juristischen Realität orientiert ist (vgl. hierzu auch Kap. 6.1).  
  • In einer allgemeinsprachlichen Zertifikatsprüfung zum Leseverstehen ist eine sinnvolle Aufgabenstellung beispielsweise in einer Zusammenfassung eines gegebenen englischen Zeitungstextes auf Deutsch zu sehen. Sprachmittelnde Aufgaben sind für jedes denkbare Arbeitsfeld von hoher Relevanz. Diese tritt besonders dann zu Tage, wenn deutsche Muttersprachler im fremdsprachigen Ausland arbeiten und man dort von ihrer Eigenschaft, Muttersprachler des Deutschen zu sein, sinnvoll Gebrauch zu machen bestrebt ist. Im Vergleich zu einer Zusammenfassung auf Deutsch erscheint die Aufgabenstellung, eine Zusammenfassung in der geprüften Fremdsprache selbst erstellen zu lassen, als ungleich weniger sinnvoll, da kaum ein Arbeitsfeld vorstellbar ist, in dem Nichtmuttersprachler einen fremdsprachigen Text intralingual zusammenzufassen haben: Diese Aufgabe bleibt in aller Regel Muttersprachlern vorbehalten. Die Relevanz der Aufgabenstellung einer Zusammenfassung in der Fremdsprache selbst ist somit dann nicht gegeben, wenn die Prüfung auf die Berufsrealität abgestimmt sein soll.
Zum besseren Verständnis sei an dieser Stelle auch ein Negativbeispiel angeführt: Eine Aufgabe wie die Erstellung von Geschäftskorrespondenz als Schreibaufgabe im Rahmen hochschulischer Zertifikatsprüfungen ist nicht sinnvoll, da diese weder den Studienalltag bzw. die den Prüflingen im Studium abverlangten Leistungen noch ihren späteren Berufsalltag widerspiegelt. Eine solche Aufgabe ist auf der Ebene von Universität und Fachhochschule daher nicht adäquat und sollte nicht Bestandteil dortiger Fachsprachenprüfungen sein.

Anhand unserer Überlegungen konnte aufgezeigt werden, welche Textsorten für welche Prüfungstypen von Relevanz sind bzw. von Relevanz sein können. Eng mit diesem Gesichtspunkt verbunden ist das Faktum, dass die Kombination von Textsorte und entsprechender Aufgabenstellung von erheblicher Bedeutung ist: Dieselbe Textsorte kann mit Hilfe unterschiedlicher Aufgabentypen prüfungsdidaktisch in jeweils verschiedener Weise genutzt werden und dann der Examinierung unterschiedlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten dienen. Umgekehrt kann ein und dieselbe Aufgabenstellung auf der Basis unterschiedlicher Textsorten dazu genutzt werden, eine gegebene Fähigkeit oder Fertigkeit in unterschiedlichen - allgemeinsprachlichen oder fachsprachlichen - Inhalts- und Kommunikationsbereichen abzuprüfen:
        Abb. 62: Leseverstehensprüfung - Interdependenz von Textlänge und Aufgabenstellung

Die sich hier ergebende Interdependenz von Textsorte und Aufgabenstellung ist somit von erheblicher Bedeutung und sollte bei der Planung von Prüfungen immer im Auge behalten werden.

Ebenso wie die Textsorte ist die Textlänge für die Planung und Durchführung von Prüfungen von entscheidender Bedeutung (vgl. Tinnefeld 2002: 34ff). Dieses Kriterium soll im Folgenden exemplifiziert werden.

Zunächst ist es im gegebenen Zusammenhang von Bedeutung, einem Missverständnis vorzubeugen: Das Kriterium Textlänge kann mit dem Kriterium Schwierigkeitsgrad nicht in der Weise gleichgesetzt werden, dass einem vergleichsweise längeren Text - gleichsam naturgemäß - ein höherer Schwierigkeitsgrad zugesprochen wird als einem im Vergleich kürzeren Text. Die Erstellung einer solchen Beziehung entspricht in keiner Weise der linguistischen Realität. Der wesentliche Unterschied, der zwischen einem langen und einem kurzen Text mit Sicherheit postuliert werden kann, ist derjenige, dass ein langer Text die Konzentration des Rezipienten dauerhafter bindet als ein kurzer Text. Der Rezipient muss somit eine höhere Konzentrationsleistung erbringen, um einen langen oder längeren Text adäquat zu verstehen, als dies für einen kürzeren oder kurzen Text gilt. Die Aufrechterhaltung dieser Konzentration des für ein adäquates Verständnis notwendigen Spannungsbogens ist dann entsprechend schwieriger. Dieser Zusammenhang verweist jedoch nicht auf den linguistischen Schwierigkeitsgrad eines Textes: Dieser kann prinzipiell in Unabhängigkeit von der Textlänge frei variieren[5]:
Abb. 63: Leseverstehensprüfung - Unabhängigkeit von Textlänge und Schwierigkeitsgrad


Wenn überhaupt, kann hier lediglich von einem „psychologischen Schwierigkeitsgrad“ von Texten ausgegangen werden, der jedoch eine äußerst vage Notion darstellt und somit nicht als gesicherte Basis für die Planung von Prüfungen herangezogen werden sollte. Die individuelle Einschätzung des Schwierigkeitsgrades von Texten hängt zudem nicht nur von der Konzentrationsfähigkeit des jeweiligen Prüflings ab, sondern ebenso von deren Lesebiographie: Texte, die für geübte Leser leicht verständlich sind, können für ungeübte Leser oder Lesenovizen schwer zu bewältigende oder gar unüberwindliche Hürden darstellen. Die Lesebiographie von Prüflingen spielt in diesem Zusammenhang somit eine ebenso große Rolle wie ihre Konzentrationsfähigkeit. Diese beiden Parameter liegen offensichtlich außerhalb der durch Klausurkonzeption und Textauswahl kontrollierbaren Faktoren.

Generell ist es unmöglich, die optimale Länge von Prüfungstexten zum Leseverstehen für die entsprechenden Kompetenzstufen zu determinieren. Ein gegebener Leseverstehenstext einer anvisierten höheren Schwierigkeitsstufe sollte sich im Kontext unserer soeben angestellten Überlegungen von einem Leseverstehenstext einer anvisierten niedrigeren Kompetenzstufe durch mehr unterscheiden als lediglich durch seine Länge. Die Textlänge sollte hier als ein mehr oder minder indifferenter Parameter behandelt werden: Klausurkonzeptoren müssen sich des Faktums bewusst sein, dass zwei Texte von absolut identischer Länge von höchst unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad sein können: Dieser wird nahezu ausschließlich von der in dem jeweiligen Text figurierenden Lexik und Syntax determiniert.

Um unsere Ausführungen ein wenig konkreter zu gestalten, sei im Folgenden eine der Orientierung dienende Quantifizierung für die Stufe C1 des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens vorgenommen: Als eine für Klausurkonzeptoren unproblematisch zu handhabende und für Prüflinge faire Textlänge wird hier bei einer Bearbeitungszeit von etwa 60 Minuten ein Umfang von etwa 1000 Wörtern zugrunde gelegt[6]. Diese Textlänge kommt in etwa zwei eineinhalbzeilig bedruckten Schreibmaschinenseiten[7] bei einer Zeilenlänge von etwa 65 Anschlägen gleich. Natürlich hängt die Bearbeitungszeit eng mit den im Zusammenhang mit dem Leseverstehenstext gewählten Aufgaben(typen) zusammen. In Verbindung mit einer von den Prüflingen zu erstellenden Zusammenfassung und der Beantwortung von etwa zehn Detailfragen - entweder in der Form freier, in aller Kürze zu beantwortender Fragen oder als True-False-Statements - ist diese Textlänge bei dynamischer Arbeitsweise von fortgeschrittenen Studierenden auf dieser Stufe in aller Regel gut zu bewältigen.

Die hier zugrunde gelegte Textlänge von 1000 Wörtern ist einer jeweils kürzeren bzw. längeren Bearbeitungszeit entsprechend anpassbar. Die Textlänge sollte ebenso der jeweiligen Kompetenzstufe angepasst werden. Für die Stufe B1 des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens ist - bei einer identischen Bearbeitungszeit von 60 Minuten - eine Textlänge von etwa 350 Wörtern angemessen (vgl. auch TUDIAS 2009: 4): Die Prüflinge sind hier mehr oder minder als fremdsprachliche Lesenovizen anzusehen, denen innerhalb dieses Zeitrahmens fairerweise kein größerer Textumfang zugemutet werden sollte. Zudem kann es auf dieser Stufe ratsam sein, die Prüflinge mit mehreren kürzeren Texten, die insgesamt den hier postulierten Umfang erreichen, zu konfrontieren, als mit einem langen Text, da diese kürzeren Texte ihre Konzentrationsfähigkeit weniger stark belasten.

Auf der Stufe B2 kann die Textlänge dann entsprechend etwa 550 bis 650 Wörter betragen (vgl. auch TUDIAS 2009: 12): Die Prüflinge dieser Stufe sind bereits recht trainiert in der Rezeption schriftlicher Texte, so dass dieser Umfang von ihnen angemessen bewältigt werden kann.

Auf der Stufe C2 des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens kann entsprechend eine Textlänge von etwa 1500 Wörtern angesetzt werden: Die Prüflinge dieser Stufe sind in aller Regel trainierte Leser - nicht nur in der Fremdsprache, sondern in aller Regel auch in der Muttersprache -, so dass sie über entsprechende (Schnell)Lesetechniken verfügen (sollten). Auf dieser fortgeschrittensten aller Stufen kann dann die Rezeptionsgeschwindigkeit ein Kriterium für das Textverständnis darstellen, da die abgeprüften Fähigkeiten und Fertigkeiten denen von Muttersprachlern sehr ähnlich sind. Soll auf den Gesichtspunkt der Rezeptionsgeschwindigkeit verzichtet werden, dann kann die Textlänge auf dieser Stufe 1250 Wörter betragen.

Zum Zwecke einer besseren Orientierung seien diese quantitativen Verhältnisse zusätzlich graphisch dargestellt:
Abb. 64: Leseverstehensprüfung - Textlänge und Niveaustufen



In unseren Ausführungen wird die Textlänge in einer Weise behandelt, die ihrer Bedeutung in der Prüfungspraxis entsprechen sollte: als quantitatives Kriterium, das die Prüflinge in einer gegebenen Zeiteinheit zu bewältigen haben. Ihr kann keine qualitative Bewertung zukommen. Jedoch muss darauf geachtet werden, dass die Prüflinge jeweils nur mit einer solchen Textlänge konfrontiert werden, die sie in der ihnen zur Verfügung stehenden Zeit aller Erwartung nach auch meistern können.

Wie bereits angedeutet, steht die Länge des Prüfungstextes zusammen mit der Zeiteinheit, innerhalb der er bearbeitet werden soll, in engem Zusammenhang mit der Art und Anzahl der zu bearbeitenden Aufgaben. Je größer die Anzahl dieser Aufgaben ist und je mehr Bearbeitungsumfang jede einzelne von ihnen aufweist, desto kürzer muss der mit ihnen in Verbindung stehende Lesetext sein. Umgekehrt gilt: Je weniger Aufgaben zu bewältigen sind und je geringer der Bearbeitungsaufwand für jede einzelne von ihnen ist, desto länger kann der Leseverstehenstext sein. Auch in dieser Hinsicht ist es kaum möglich, konkretere Angaben zu machen, in denen alle denkbaren Parameter der Aufgabenstellungen enthalten sein können. In diesem schwerlich definierbaren Bereich kommt den Klausurkonzeptoren daher eine erhöhte Verantwortung für die von ihnen getroffenen Entscheidungen hinsichtlich Text- und Aufgabenauswahl zu.

Das qualitative Kriterium Textsorte[8] ist zudem in direkter Abhängigkeit zu dem quantitativen Kriterium Textlänge zu betrachten:


Abb. 65: Gegenseitige Abhängigkeit von Textsorte und Textlänge

Mit ansteigendem strukturellen Komplexitätsgrad und abnehmender Konventionalsierung der für eine gegebene Prüfung gewählten Textsorte ist die Länge des Textes entsprechend zu reduzieren. Umgekehrt kann ein Text länger sein, je höher die Erwartbarkeit der einzelnen Textteile für die Prüflinge ist. Zur Illustration sei hier ein anschauliches Beispiel gewählt: Ein Gerichtsurteil in einer Zertifikatsprüfung zum juristischen Französisch[9] darf eine relativ größere Länge aufweisen als beispielsweise ein englischer oder französischer Zeitungsartikel zu einem juristischen Thema: Die Textsorte Gerichtsurteil ist im Französischen in aller Regel durch eine klare Gliederung und einen mehr oder minder erwartbaren Aufbau gekennzeichnet und weist somit eine hohe Zugänglichkeit für die Entnahme der relevanten Informationen auf[10]. Ein Zeitungsartikel folgt zwar unter textsortenspezifischen Gesichtspunkten auch einer gewissen Gliederung (vgl. Lüger 1995), diese ist jedoch ungleich weniger stark ausgeprägt als diejenige eines Gerichtsurteils, daher für die Textrezeption weniger gut zugänglich und erfordert daher ein Mehr an Dekodierungsarbeit seitens der Prüflinge. Ein Zeitungstext sollte daher im Vergleich kürzer gewählt werden, um seine geringere textsortenbedingte Zugänglichkeit zu kompensieren.

Unsere Ausführungen haben deutlich werden lassen, dass hinsichtlich der Länge von Prüfungstexten kaum verallgemeinerbare Angaben gemacht werden können, die über die Konkretisierung einiger relevanter Richtwerte hinausgehen. Wann immer Klausurkonzeptoren hinsichtlich ihrer Auswahlentscheidungen im Zweifel sind, sollten sie sich daher den Begriff der Angemessenheit vor Augen führen. Auch wenn wir es hier mit einem vorwissenschaftlichen Begriff zu tun haben, so ist er im gegebenen Zusammenhang dennoch funktional verwertbar, da er intellektuell leicht zugänglich ist und somit unschwer in eine aussagekräftige gedankliche Beziehung zu der Länge des gewählten Prüfungstextes, seinen textsortenspezifischen Merkmalen und den auf seinem Hintergrund zu lösenden Aufgaben gesetzt werden kann.

Wir kommen nun zu einem Auswahlkriterium, das den in Prüfungstexten zum Leseverstehen verwendeten Wortschatz betrifft.


6.2.2 Lexik und Fachtermini

Die Frage des Umfangs unbekannter Lexik in einem gegebenen Prüfungstext (vgl. Tinnefeld 2002: 42ff) sollte durch das Gebot der Fairness gegenüber den Prüflingen bestimmt sein.

Dabei spielt zunächst die Frage eine Rolle, ob die Benutzung eines Wörterbuches[11] für eine gegebene Prüfung gestattet wird oder nicht. Ist dies der Fall, so impliziert die Orientierung an dem soeben erwähnten Gebot, dass die Anzahl der den Prüflingen mit großer Wahrscheinlichkeit unbekannten Vokabeln im Rahmen dessen liegen sollte, was sie in der Prüfungssituation und in dem gegebenen zeitlichen Rahmen realistischerweise nachschlagen können. Das Vorhandensein potentiell unbekannter Lexik muss somit an der verfügbaren Prüfungszeit orientiert sein.

Diese erste - quantitative - Bedingung muss jedoch weiter eingeschränkt werden: Sie ist primär beziehbar auf solche lexikalischen Entitäten, die für das Verständnis des gegebenen Prüfungstextes zentral sind. Solche Lexeme hingegen, die kontextuell lediglich sekundär sind und bei der Lektüre des Prüfungstextes ohne erkennbaren Verlust an Informationen unverstanden bleiben können, sind hierbei nicht einzubeziehen und brauchen von den Prüflingen daher auch nicht aktiv verstanden zu werden. Die Prüflinge sollten in den auf die Prüfung vorbereitenden Sprachlehrveranstaltungen vielmehr dahingehend geschult worden sein, die (Nicht)Notwendigkeit des Nachschlagens zu erkennen, also ein Gefühl dafür zu entwickeln, welche Lexeme sie in ihrem Verständnis vernachlässigen können, um dennoch den Prüfungstext hinreichend gut zu verstehen (vgl. hierzu Tinnefeld 1992).

Für den Fall, dass es den Prüflingen untersagt ist, ein Wörterbuch zu benutzen, ist zu gewährleisten, dass sich die im Prüfungstext verwendete, unbekannte Lexik nicht auf zentrale inhaltliche Aspekte bezieht, die zudem nicht durch den Kontext inferiert werden können. Die Nichterfüllung dieser Bedingung würde nicht nur einen Mangel an Fairness bewirken, sondern auch die Validität der Prüfung herabsetzen: Es würde dann nicht das Leseverstehen der Studierenden geprüft, sondern es würden ihnen vielmehr Lücken in ihrem eigenen mentalen Lexikon aufgezeigt, die sie in ihrer weiteren Lernbiographie noch zu schließen hätten. Dies kann jedoch nicht Sinn einer Prüfung sein[12].

Solche Lexeme und lexikalischen Einheiten jedoch, die den Prüflingen zwar aller Voraussicht nach unbekannt sind, die jedoch durch den Kontext, durch existentes Fach- oder exzyklopädisches Wissen oder auch durch die Kenntnis weiterer Fremdsprachen, einschließlich des Lateinischen oder Griechischen, erschlossen werden können, sind anders zu werten als die zuvor besprochenen Fälle. Hier haben wir es mit einem Typ von Lexik zu tun, der essentiell auf die Prüfung des Leseverstehens abhebt. Lexik, die in der beschriebenen Weise unbekannt ist, ist in jeglichem Leseverstehenstext im eigentlichen Sinne wünschenswert: Ihr kommt nicht nur ein erhebliches Diagnosepotential hinsichtlich der Testung der Beherrschung der entsprechenden Fremdsprache zu, sondern die Art ihrer Dekodierung zeigt zudem die Fertigkeiten der Prüflinge zu der Verarbeitung neuer Informationen und der Weiterverarbeitung neu erworbenen Wissens. Es sind dies letztlich Fertigkeiten, die im gegenwärtigen Informationszeitalter von erheblicher Bedeutung sind.  

Für Klausurkonzeptoren stellt sich im gegebenen Zusammenhang das Problem, auf welche Weise dieses den Prüflingen potentiell unbekannte, jedoch von ihnen anhand des gegebenen Textes erschließbare Vokabular ausgegrenzt werden kann[13]. Hier ist folgender Weg vielversprechend: Da eine nicht unerhebliche Zahl an Dozentinnen und Dozenten mit solchen Ansätzen wie dem Threshold Level (= Niveau-Seuil / Nivel Umbral) (vgl. z. B. van Ek (1975)) des Europarates oder dem Français fondamental nicht in hinreichender Art und Weise vertraut sein dürfte, benötigen sie eine im Vergleich zugänglichere und dabei dennoch zuverlässige Art und Weise für die Einschätzung potentiell unbekannter lexikalischer Einheiten. Hierfür bietet sich im Hinblick auf allgemeinsprachliche - also nichtfachsprachliche - Prüfungen zum Leseverständnis die Orientierung an einem für die gegebene Fremdsprache existenten, handelsüblichen Grundwortschatz an[14], mit dessen Hilfe ex negativo vorgegangen werden kann: Solche lexikalischen Einheiten, die in einem solchen Grundwortschatz nicht auftauchen, sollten dann nicht in Leseverstehensprüfungen eines mittleren bis fortgeschrittenen Niveaus figurieren, weil nicht zu erwarten ist, dass die Fremdsprachenkenntnisse Studierender als Hörer aller Fachbereiche über die dort angebotenen, etwa 4000 Einheiten hinausgehen. Positiv formuliert, können dann alle solchen Lexeme, die in dem jeweiligen Wortschatz vorkommen, in Leseverstehensprüfungen mittleren bis fortgeschrittenen Niveaus ohne weitere sprachliche Erklärung verwendet werden - auch dann, wenn diese nicht durch den Kontext erschließbar sind. Eine generelle Orientierung an einem solchen Grundwortschatz ist für allgemeinsprachliche Prüfungen somit durchaus empfehlenswert:


Abb. 66: Behandlung unbekannter Lexik

Während im allgemeinsprachlichen Bereich eine Orientierung an marktgängigen Grundwortschätzen geboten erscheint, kann eine ähnliche Empfehlung im Hinblick auf fachsprachliche Prüfungen nicht gegeben werden, da entsprechende Grundwortschätze nicht analog existieren. Zudem ist die Orientierung an existenten Fachwörterbüchern wegen ihres, in aller Regel großen Umfangs kaum fruchtbar. Sie kommen daher nicht als Bezugsgröße in Frage. In Bezug auf die in Prüfungen zum Leseverstehen zu testenden Lexik ist es daher ratsamer, dem vorbereitenden Unterricht Teilgebiete des jeweiligen Faches zugrunde zu legen und die Leseverstehensprüfung dann auf diese zu beziehen. Diejenigen lexikalischen Einheiten, die im Text vorkommen, jedoch nicht zuvor im Unterricht erarbeitet worden sind, werden von den Prüflingen in vielen Fällen aufgrund des Kontextes oder auf der Basis ihres sachlichen Erfahrungshintergrundes inferiert werden können. In den Fällen, in denen nicht von dieser Möglichkeit ausgegangen werden kann, sollten die entsprechenden lexikalischen Einheiten in Form von Vokabelhilfen angegeben werden.

In enger Verbindung zu der soeben diskutierten Frage steht die Problematik von Umfang und Ausrichtung der in Prüfungstexten zum Leseverstehen verwendeten Fachtermini[15] (vgl. auch Tinnefeld 2002: 45ff). Auf diese soll im Folgenden kurz eingegangen werden[16].

In diesem Zusammenhang stellt sich als erstes die Frage, in welchem Umfang Prüfungstexte zum Leseverstehen mit Fachtermini durchsetzt sein sollten. Auch im Hinblick auf diese Problematik bietet sich ein Mittelweg an, innerhalb dessen weder zu viele Fachtermini darin figurieren noch solche Texte ausgewählt werden sollten, die mehr oder minder frei von Fachbegriffen sind. Wenn diese Antwort auf den ersten Blick auch ein wenig unbefriedigend erscheinen mag, so enthält sie doch die - nicht unwichtige - Implikation, dass ein fachlicher Text nicht allein dadurch einen guten Prüfungstext darstellt, dass er eine Vielzahl von Fachbegriffen enthält.

Diese Implikation ist auf dem Hintergrund der gegenwärtigen Fachsprachenforschung zu sehen. Während in der Fachsprachenforschung der 1970er und 1980er Jahre eine weitgehende Gleichsetzung von Fachsprache und Terminologie vorgenommen worden war (vgl. Tinnefeld 1993: 9ff), wird heutzutage davon ausgegangen, dass es sich bei Fachsprache um ungleich mehr handelt als um reine Terminologie, sondern dass (jede einzelne) Fachsprache in einem beträchtlichen Ausmaß durch eine spezifische Syntax und spezifische Texterstellungsprinzipien gekennzeichnet ist (vgl. hierzu auch Tinnefeld (1993)). Auf diesem Hintergrund ist als Zielstellung für die Prüfungspraxis somit von einer Auswahl von Leseverstehenstexten mit einer durchschnittlichen, für die zu prüfende Fachsprache mehr oder minder charakteristischen Frequenz von Fachtermini auszugehen. Für dieses Vorgehen spricht zudem das Faktum, dass ein Fachtext gerade unter der Bedingung sprachlich und inhaltlich leichter zugänglich sein kann, wenn er eine große Anzahl an Fachtermini enthält: Die diesen innewohnenden Konzepte erlauben es Experten - und als solche sind Studierende eines entsprechenden Faches in fachsprachlichen Prüfungssituationen bereits mehr oder minder anzusehen -, die dargestellten Sachzusammenhänge auf einer nicht ausschließlich sprachlich angesiedelten Metaebene zu verstehen und auf diese Weise ungleich mehr Informationen zu dekodieren, als es dem aktuellen Stand ihrer Intersprache entspricht. Umgekehrt kann ein Fachtext gerade aus dem Grunde schwieriger sein, dass in ihm relativ wenige Fachtermini vorkommen. In diesem Falle ist es ungleich wichtiger als in einem, viele Termini enthaltenden Fachtext, die Syntax adäquat zu dekodieren und somit die Prüfungsleistung des Leseverstehens erfolgreich zu erbringen.

In Bezug auf die inhaltliche Ausrichtung der Fachtermini ist darauf zu achten, solche Texte auszuwählen, die für das (Teil)Fach zentral sind, um auf diese Weise zu gewährleisten, dass dort Fachtermini figurieren, die eine hohe sach-fachliche Relevanz besitzen. Wenig angemessen wäre es dagegen, periphäre Bereiche der entsprechenden Fachsprache bzw. des entsprechenden Teilfaches zur Grundlage von Leseverstehensprüfungen zu machen, da dann das Kriterium der inhaltlichen Validität nicht erfüllt würde. Für ihre Verwendung in Prüfungen zum Leseverstehen ist der Gebrauchswert der ausgewählten Fachtermini somit von erheblicher Bedeutung.

Die hier diskutierte Frage erweist sich also als ungleich diffiziler, als dies auf den ersten Blick scheinen mag, und kann daher nicht pauschal beantwortet werden. Dennoch ist es möglich, Praktikern - wie hier geschehen - nützliche Hinweise und entsprechende Orientierungsgrößen anzubieten und sie auf indirektem Wege in die Lage zu versetzen, diese in ihre tägliche Arbeit zu integrieren und schließlich in individueller Adaptation auf neue Prüfungssituationen anzuwenden.  


6.2.3 Textaufbau

Im Folgenden wollen wir uns mit der prüfungsdidaktischen Nutzung des Kriteriums Textaufbau in Prüfungen zum Leseverstehen befassen (vgl. hierzu auch Tinnefeld 2002: 46f).

Eine Möglichkeit der Nutzung dieses Kriteriums besteht in der strengen Orientierung an textsortenspezifischen Aufbauprinzipien. Wenn beispielsweise ein Pressetext (vgl. hierzu auch Lüger 1995) den Prüfungstext darstellt, sollten Texte, die diese Prinzipien dominant berücksichtigen, solchen vorgezogen werden, in denen pressesprachliche Texterstellungprinzipien lediglich in verwässerter Form auftreten. Durch eine solche Textauswahl wird den Prüflingen geholfen, sich auf struktureller Ebene in dem jeweiligen Text zurechtzufinden und ihre Prüfung durch die konsequente Anwendung zuvor gelernter Texterstellungsprinzipien erfolgreich zu gestalten. Ein weiteres Anwendungsbeispiel, in dem diese Prinzipien angewandt werden können, sind französische  Gesetzestexte (vgl. hierzu auch Tinnefeld 1993).

Gegenstand von Prüfungen zum Leseverstehen können - alternativ oder komplementär zu der Berücksichtigung textsortenspezifischer Aufbauprinzipien - auch solche Texte sein, die gemäß den  Texterstellungskonventionen, die im Land oder in den Ländern der Zielsprache gültig sind, geschrieben worden sind. Für den anglo-amerikanischen Sprachraum könnte beispielsweise darauf geachtet werden, dass die ausgewählten Prüfungstexte zum Leseverstehen streng den Prinzipien des essay writing folgen, die dann natürlich zuvor den Prüflingen vermittelt worden sein müssen. Eine prüfungsdidaktische Orientierung an diesem Prinzip erleichtert den Prüflingen im jeweiligen Prüfungstext die intellektuelle Orientierung und stellt gleichzeitig eine rezeptive Anwendung der von ihnen erlernten Texterstellungskriterien dar.

Solche Texte, die in speziell für deutsche Lerner publizierten Zeitungen oder Zeitschriften erscheinen und die in aller Regel durch vokabularische Annotationen charakterisiert sind[17], erfüllen diese Bedingung hingegen oft nicht. Bei einer Zugrundelegung solcher Medien für die Auswahl möglicher Prüfungstexte sollte dieser Aspekt immer beachtet und es sollte dann auf die Auswahl von im beschriebenen Sinne nicht geeigneten Texten verzichtet werden.

Die Berücksichtigung des Textaufbaus als Kriterium für die Auswahl von Leseverstehenstexten ist somit aus den folgenden Gründen prüfungsdidaktisch von erheblichem Vorteil:
  • Die Prüflinge können solche Leseverstehensprinzipien anwenden, die sie im prüfungsvorbereitenden Unterricht gelernt haben;
  • Sie erhalten eine gewisse textuelle Orientierung und durch die enge Verzahnung von Textstruktur und Textinhalt somit ein Gerüst, an dem sie sich entlang arbeiten können;
  • Sie wenden funktionale Lesestrategien an, die auch geübte muttersprachliche Leser bewusst oder unbewusst nutzen.
Graphisch lassen sich diese Gesichtspunkte wie folgt darstellen:
                                               Abb. 67: Das Kriterium Textaufbau

Das Kriterium Textaufbau sollte somit von Klausurkonzeptoren bei der Auswahl von Prüfungstexten zum Leseverstehen entsprechend funktional berücksichtigt werden.

Ein weiteres prüfungsdidaktisch relevantes Auswahlkriterium ist dasjenige der Authentizität. Mit diesem wollen wir uns nunmehr beschäftigen.


6.2.4 Authentizität  

Im Rahmen der Auswahl von Prüfungstexten sind zwei Typen von Authentizität zu unterscheiden: die thematische und die sprachliche Authentizität (vgl. auch Tinnefeld 2002: 40ff). Da wir auf die thematische Authentizität in Kap. 6.2.7 ausführlicher eingehen werden, wird an dieser Stelle lediglich die sprachliche Authentizität behandelt.

Die sprachliche Authentizität ist ihrerseits auf zwei einander ergänzende Ansätze beziehbar, die auf die Fertigkeit des Leseverstehens abzielen:
·   Authentische - also nicht-didaktisierte - Texte sollten in Fremdsprachenprüfungen so oft wie möglich und in einem möglichst frühen Stadium des fremdsprachlichen Lernprozesses eingebracht werden;
·  Fremdsprachige Prüfungstexte sollten möglichst wenige, über den eigentlichen Text hinausgehende Hilfen, wie beispielsweise Vokabelangaben, beinhalten. Diese Forderung gilt idealtypisch für alle fremd-sprachlichen Ausbildungsniveaus.

Beide Ansätze sollen helfen zu gewährleisten, die Studierenden in ihrem Lernprozess so früh wie möglich mit einem möglichst hohen Ausmaß sprachlicher Selbständigkeit auszustatten. Die Selektion authentischer Prüfungstexte bereits in einem frühen Lernstadium einer gegebenen Fremdsprache erfordert für Klausurkonzeptoren ein erhebliches Ausmaß an Erfahrung und Einfühlungsvermögen, da sie potentielle Prüfungstexte gründlich auf die ihnen inhärenten Schwierigkeiten zu untersuchen haben. Gerade in einem frühen Lernstadium wird es dabei unumgänglich sein, potentielle Prüfungstexte in enger Anlehnung an den im auf die Prüfung vorbereitenden Unterricht zu selektieren. Dabei ist realistischerweise jedoch davon auszugehen, dass es auf einem solch niedrigen Lernniveau kaum möglich sein wird, gänzlich auf jegliche vokabularische Hilfen zu verzichten.

Die generelle Vermeidung vokabularischer Hilfen ist Ziel des zweiten Ansatzes zur Gewährleistung von Authentizität. Dabei geht es um die exakte Vorab-Analyse von in einem gegebenen Prüfungstext potentiell für die Prüflinge problematischen lexikalischen Einheiten und die Frage, ob diese für das Textverständnis absolut notwendig sind. Bei solchen lexikalischen Einheiten, deren erfolglose Dekodierung die Rezeption des gesamten Textes oder zentraler Textteile gefährdet, ist vom Klausurkonzeptor zu klären, ob sie:
·   intratextuell - also anhand von im Text selbst enthaltenen, bisweilen versteckten Erklärungen - analysierbar sind;
·   kontextuell - also auf der Basis des Sinnzusammenhanges - inferiert werden können;
·   auf der Basis solcher Fremdwörter lateinischer oder griechischer Herkunft, die in die Muttersprache des Prüflings - in der Regel also das Deutsche - Eingang gefunden haben, dekodierbar sind;
·   in ähnlicher Form in einer weiteren Fremdsprache des Prüflings vorhanden sind und somit von diesem rezipiert werden können. Hierbei geht es darum, die lexikalischen Parallelitäten, die zwischen dem Englischen (als erster Fremdsprache des Prüflings) einerseits und dem Französischen oder Spanischen (als möglicher zweiter Fremdsprache) andererseits bzw. zwischen dem Französisch und Spanischen (als einander ergänzender zweiter und dritter Fremdsprache) existieren, zu nutzen.
·   auf dem Hintergrund der vorhandenen oder anzunehmenden Vorbildung der Prüflinge inferierbar sind;
·   sie für das Sprachenpaar Muttersprache - Fremdsprache als falsche Freunde einzustufen sind. Dieses Analyseergebnis verweist dann auf ein negatives Dekodierungspotential dieser und somit auf die Notwendigkeit, dem Prüfling zusätzliche Hilfen zur Verfügung zu stellen, um die dann vorhersehbaren Kommunikationsprobleme zu neutralisieren.

Sind die ersten fünf Bedingungen erfüllt, so ist der Zusatz sprachlicher Hilfen oder Erklärungen in aller Regel nicht notwendig. Notwendig sind diese dagegen hinsichtlich der als letzten genannten Bedingung, da das Vorhandensein falscher Freunde immer mit der Gefahr von Missverständnissen einhergeht.

Das Prinzip der Verwendung möglichst authentischer Texte als Prüfungstexte zum Leseverstehen kann also am besten in der Weise realisiert werden, dass diese so geringfügig wie möglich modifiziert oder durch Hilfen ergänzt werden. Modifikationen, die den Authentizitätsgrad von Texten nicht betreffen, sind Textkürzungen, bei denen ganze Sätze oder auch gesamte Abschnitte weggelassen werden. Der Austausch von Textelementen durch andere, die dann vom Klausurkonzeptor hinzugefügt werden, reduziert hingegen den Authentizitätsgrad von Texten und ist somit möglichst zu vermeiden.

Die Authentizität von Prüfungstexten zum Leseverstehen repräsentiert ein wesentliches Auswahl- und Qualitätskriterium, das nach Möglichkeit respektiert werden sollte. Nur Fremdsprachenprüfungen, im Rahmen derer das Kriterium Authentizität in den hier beschriebenen Ausprägungen erfüllt sind, können als gut fundiert und prüfungsdidaktisch adäquat angesehen werden.

Die Kriterien für die Auswahl von Prüfungstexten beziehen sich jedoch nicht nur auf den eigentlichen Fließtext, sondern auch auf darüber hinausgehende und sogar außersprachliche Elemente.


6.2.5 Dominant nonverbale Textsorten 

Nach der Behandlung solcher Kriterien wie dem Aufbau und der Authentizität, der Textsorte und der Textlänge von Prüfungstexten zum Leseverstehen wollen wir uns nunmehr der Frage widmen, ob als Prüfungsgrundlage geeignete Texte ausschließlich bzw. primär sprachliche Elemente zu enthalten haben oder ob es ebenso möglich - und vielleicht sogar ratsam - ist, solche Textsorten auszuwählen, die dominant von nonverbalem Charakter sind, die also in erster Linie Tabellen, Graphiken, Zeichnungen und / oder Fotos enthalten (vgl. ergänzend Tinnefeld 2002: 47ff).

Die Fragen, die sich in diesem Zusammenhang stellen, beziehen sich auf die grundsätzlichen Unterschiede zwischen herkömmlichen, primär sprachlich ausgerichteten Prüfungstexten und solchen, in denen weitgehend auf sprachliche Elemente verzichtet wird, und mit den sich daraus ergebenden prüfungsdidaktischen Implikationen.

In vorliegenden Kontext ist zunächst jedoch eine Grundbedingung zu fordern, deren Erfüllung für die Verwendung dominant nonverbal konzipierter Textsorten als Prüfungstexte gewährleistet sein muss. Diese Bedingung ist der grundsätzlich fertigkeitsübergreifende Charakter der mit dominant nonverbal ausgerichteten Textsorten einhergehenden Prüfungsaufgaben (vgl. hierzu auch Kap. 6.1). Damit ist gemeint, dass solche Texte sich nicht eignen für die isolierte Prüfung des Leseverstehens, sondern vielmehr für dessen integrierte Testung. Es kann bei dominant nonverbal ausgerichteten Textsorten also nicht darum gehen, ausschließlich das Verständnis der Prüflinge abzutesten, sondern es müssen Prüfungsaufgaben damit verbunden werden, die über die reine Wiedergabe von Fakten hinausgehen. So ist beispielsweise die Vorlage von Tabellen oder Graphiken zur wirtschaftlichen oder politischen Entwicklung eines Landes nur unter der Bedingung sinnvoll, dass die Rezeption dieser Zusammenhänge mit der Schreibfertigkeit verbunden wird und den Prüflingen die Aufgabe gestellt wird, diese Tabellen oder Graphiken nicht nur zu beschreiben, sondern sie auch zu analysieren und zu interpretieren. Nur in einer solchen Konstellation können dominant nonverbal ausgerichtete Textsorten ihr prüfungsdidaktisches Potential voll entwickeln. Werden die hier ausgeführten Zusammenhänge jedoch berücksichtigt, so erweisen sich diese Texte als hochgradig nützlich und stellen eine sinnvolle Ergänzung zu herkömmlichen Prüfungstexten dar. 

Die prüfungsdidaktischen Implikationen, die mit ihnen einhergehen, sind im Wesentlichen die folgenden: 
  • Im Unterschied zu herkömmlichen Texten, die den Prüflingen indirekt immer auch eine sprachliche Hilfestellung bieten, indem sie thematisch relevantes Vokabular bereithalten, werden in dominant nonverbal ausgerichteten Textsorten die potentiellen Hilfen für die Prüflinge auf ein Minimum reduziert. Die Prüflinge sind daher gezwungen, ihr sprachliches Feedback auf die dort dargebrachten Informationen ausschließlich auf der Basis ihres eigenen Wissens und Könnens zu pro-duzieren;
  • Die von den Prüflingen erbrachten sprachlichen Leistungen sind somit höher zu bewerten als in denjenigen Fällen, in denen sie lexikalische, terminologische, grammatische oder syntaktische Informationen aus primär sprachlich ausgerichteten Prüfungstexten entnehmen - und übernehmen - können, mit deren Hilfe sie gegebenenfalls imstande sind, ihre Prüfungsleistung auf ein Niveau zu heben, das sie aus eigener Kraft nie hätten erreichen können.
Auf der Basis prioritär nonverbaler Textsorten erbrachte Prüfungsleistungen können somit - bei ansonsten gleichem thematischen und auch intellektuellem Schwierigkeitsgrad - tendenziell als anspruchsvoller gewertet werden als solche, die auf der Basis herkömmlicher Texte erbracht werden.

Ein weiterer Vorteil prioritär nonverbal ausgerichteter Textsorten ist darin zu sehen, dass sie als Originale ohne jegliche didaktische Adaptation bereits auf den unteren Sprachlern- und -vermittlungsniveaus der Prüflinge einsetzbar sind. Sie sind somit nicht - wie gemeinhin angenommen werden mag - auf mittlere oder fortgeschrittene Lernniveaus beschränkt: Eine von Prüflingen aufgrund von Zeichnungen oder Fotos vorgenommene Bildbeschreibung oder die Versprachlichung einer Geschichte stellt im Allgemeinen eine anspruchsvollere Leistung dar als dieselbe Bildbeschreibung oder Geschichte, die auf der Basis eines kurzen, als Auslöser dienenden Textes - der dann zudem in aller Regel ein didaktisierter Text sein wird - entstanden ist.

Klausurkonzeptoren sollten aus den genannten Gründen mehr als bisher die Verwendung von Prüfungstexten mit hohem nonverbalen Anteil erwägen. Texte mit dieser Ausrichtung enthalten ungeahntes prüfungsdidaktisches Potential.


6.2.6 Unterrichtliche Vorbereitung

Auf die Problematik von im prüfungsvorbereitenden Unterricht[18] behandelten Themen oder von entsprechendem Wortschatz, auf die als sekundäres Prüfungsmerkmal bereits hingewiesen worden ist, soll im Folgenden näher eingegangen werden.

Um potentiellen Missverständnissen vorzubeugen, sei an dieser Stelle betont, dass es hier nicht darum geht, der Wiederverwendung bereits im prüfungsvorbereitenden Unterricht behandelter Texte oder Übungen in der Prüfung selbst das Wort zu reden. In Prüfungen sind im Gegenteil in identischer Form im Unterricht behandelte Einheiten nicht mehr verwendbar. Diese Grundbedingung gilt genauso wie diejenige, dass Prüfungen zu jedem Termin neu erstellt werden müssen: Die Wiederverwendung bereits verwendeter Prüfungen oder Prüfungsteile zu späteren Terminen läuft dem Qualitätsniveau zuwider, das an Fremdsprachenprüfungen auf Hochschulniveau zu stellen ist.

Die Frage, um die es hier im eigentlichen Sinne geht, ist diejenige, in welcher Weise und in welchem Ausmaß die im prüfungsvorbereitenden Unterricht erfolgte Behandlung einer Thematik in die entsprechende Prüfung Eingang finden könnte oder sollte, sowie der positive oder negative Einfluss, den sie auf die Prüfung selbst haben könnte. Zudem ist die Frage zu diskutieren, welche lexikalischen und welche thematischen Elemente in prüfungsrelevanter Form nutzbar gemacht werden können und welche für eine solche Nutzung nicht in Frage kommen.

Die erste Frage kann in der Weise beantwortet werden, dass eine zuvor im Unterricht durchgenommene Thematik unter der Bedingung nutzbringend in einer Prüfung verwendet werden kann, dass sie einen hinreichenden Facettenreichtum aufweist und im Unterricht nicht vollständig in allen ihren Teilaspekten berücksichtigt wurde. In einer solchen Konstellation wird es möglich, den Prüflingen in der Prüfungssituation neue thematische Aspekte deutlich zu machen und sie zu sowohl themen- als auch sprachbezogenen Transferleistung zu führen. Unter der Bedingung, das eine im Unterricht berücksichtigte Thematik in der Prüfung selbst einer vertiefenden Einsicht zugeführt werden kann, ist ihre Wiederverwendung in aller Regel somit als positiv anzusehen.

Als entsprechend negativ ist die Wiederverwendung einer gegebenen Thematik dann einzustufen, wenn ihr keine inhaltlichen Weiterentwicklungsmöglichkeiten inhärent sind und den Prüflingen somit kein Transfer ermöglicht werden kann, sondern ihre Leistung sich in reiner Reproduktion erschöpft. In einer solchen Situation ergibt sich kein Argument zugunsten einer Wiederverwendung dieser Thematik in der Prüfung. Für jeden Prüfer ist es somit notwendig, jegliche Thematik, die er in seinem Unterricht behandelt, bereits a priori auf ihre Prüfungstauglichkeit hin abzuklopfen und dann entweder nur solche Themen zu behandeln, die sich auch in der abschließenden Prüfung nutzbringend verwenden lassen oder auf solche Themen in der Prüfung zu verzichten, für die dies nicht gilt. Auch in dieser Hinsicht wird vom Prüfer somit eine langfristige Planung von Unterricht und Prüfung erwartet.

Im Hinblick auf das Vorkommen bestimmter lexikalischer Einheiten in Prüfungstexten ist festzuhalten, dass allgemeinsprachliche Vokabeln wie auch Fachtermini, die in einem gegebenen Text von erheblicher Wichtigkeit sind, für die Prüflinge inferierbar sein müssen[19]. Sind sie nicht inferierbar, müssen sie im prüfungsvorbereitenden Unterricht berücksichtigt worden sein. Die Verantwortung liegt hier beim Klausurkonzeptor.

Lexikalische Einheiten, die nicht im Unterricht vorgekommen sind, können dann in aller Regel unproblematisch im Prüfungstext figurieren, wenn:
  • in der Prüfung Wörterbücher verwendet werden dürfen,
  • die Häufung dieser potentiell unbekannten Vokabeln in sinnvoller Relation zu der verfügbaren Prüfungszeit steht und
  • die im - einsprachigen - Wörterbuch gegebenen Definitionen und Beispiele ein eindeutiges Verständnis dieser Vokabeln ermöglichen.
Die Pflicht des Klausurkonzeptors liegt dann darin, diese Bedingungen für jede einzelne in Frage kommende lexikalische Einheit zu überprüfen.

Auch die hier dem Versuch einer Beantwortung zugeführte Frage lässt sich somit nicht pauschal bejahen oder verneinen, sondern bedarf vielmehr - wie hier deutlich geworden ist - einer differenzierten Analyse.

Wir gehen nun über zu der thematischen Orientierung von Prüfungstexten zum Leseverstehen.  


6.2.7   Thematische Orientierung

6.2.7.1 Primat der Aktualität

Die in unseren bisherigen Reflexionen eingenommene Position zugunsten der Authentizität und zu Lasten der Künstlichkeit (vgl. Kap. 6.2.4) wird folgerichtig auf die thematische Ausrichtung derjenigen Texte übertragen, die sich als Grundlage für Prüfungen eignen. Ein Grundprinzip der Auswahl von Prüfungsthemen sollte es sein, solchen Themen den Vorzug zu geben, die etwa zum Zeitpunkt der Prüfung im Land oder in den Ländern der Zielsprache aktuell und in der Diskussion sind. Zudem sind solche Themen als geeignet einzustufen, die rekurrent auftauchen und / oder die Mentalität und die Einstellungen der Menschen in diesem Land oder diesen Ländern nachhaltig geprägt haben bzw. gegebenenfalls weiterhin prägen. Unter Berücksichtigung dieser Leitlinien wird es möglich, die theoretisch allenthalben geforderte Interkulturalität im Unterricht auch praktisch umzusetzen.

Diese Ausführungen sind jedoch nicht in der Weise misszuverstehen, dass Deutschland in der Planung fremdsprachlichen Unterrichts und fremdsprachlicher Prüfungen thematisch nicht mitberücksichtigt werden solle. Ganz im Gegenteil: Die Studierenden fungieren immer dann, wenn sie Auslandsaufenthalte absolvieren - unabhängig davon, ob diese studienbedingter oder privater Natur sind - in dem entsprechenden Zielland als „Deutschland-Experten“, von denen erwartet wird, dass sie über ihr eigenes Land kompetent Bescheid wissen und dieses Wissen sprachlich adäquat kommunizieren können. Im fremdsprachlichen Unterricht müssen sie somit auf solche Situationen vorbereitet werden. Aus diesem Grunde ist es nicht nur unvermeidlich, sondern geradezu notwendig, Deutschland thematisch in den Fremdsprachenunterricht  - und in fremdsprachliche Prüfungen - mit einzubeziehen. Diese Forderung gilt jedoch nicht pauschal, sondern ist auf der Basis zweier zentraler Bedingungen zu sehen:
·   Auf Deutschland bezogene Themenstellungen sollten unter anderen vorkommen, nicht jedoch in dominanter Form;
· Das jeweilige, auf Deutschland bezogene Thema sollte immer auf der Hintergrundfolie des Zielsprachenlandes gesehen werden, so dass sich daraus interkulturell nutzbare Vergleich zwischen beiden Ländern ergeben, die für Auslandsaufenthalte der Prüflinge von kommunikativem Nutzen sind.

Für jegliche Prüfungsklausur - sei sie allgemeinsprachlicher oder fachsprachlicher Natur - ist die Maßgabe der Themenvielfalt zu fordern. Die Gewährleistung thematischer Vielfalt ist aus einem zentralen Grund von Bedeutung: Wird eine gesamte Prüfung auf einem einzigen Thema aufgebaut, so verringert dies die Erfolgschancen der Prüflinge, da sie dann, wenn sie mit dem jeweiligen Thema nicht zurechtkommen, nicht die Möglichkeit haben, dieses Problem im Rahmen der Prüfung zu kompensieren. Thematische Vielfalt kann somit auch zur Prüfungsobjektivität beitragen; monothematische Prüfungen wirken dieser jedoch entgegen. Die Konzeption plurithematischer Prüfungen lässt diese zudem interessanter werden und erhöht dadurch deren Bearbeitungsmotivation durch die Prüflinge.

Hinsichtlich der thematischen Orientierung von Prüfungen, die dann, wenn ein gegebener prüfungsvorbereitender Unterricht auf einem Lehrwerk fußt, von der in diesem präsentierten thematischen Auswahl (mit)bestimmt wird, sei an dieser Stelle ein eindringlicher Appell an die Lehrwerkverlage und die bei diesen beschäftigten Autoren und Lektoren formuliert: Es sollte in Zukunft mehr als bisher darauf geachtet werden, in verschiedenen Lehrwerken nicht immer die gleichen oder allenfalls sehr ähnliche Themen abzudecken (vgl. ergänzend auch Tinnefeld 2002: 54ff). Thematische Gleichförmigkeit sollte dabei nicht nur auf fortgeschrittenem Niveau ausgeschlossen werden, sondern ebenso auf mittlerem Niveau und gleichfalls auf der elementaren Lernstufe, auch wenn die Realisierung thematischer Vielfalt auf diesen, in vielen Fällen auf Standardsituationen abhebenden Niveaus nicht immer einfach ist. Die Konfrontation mit immer gleichen Themenkomplexen bewirkt letztlich eine Demotivierung der Lernenden und setzt nicht nur deren Lernwillen herab, sondern ebenso deren Einsatz für eine effiziente Prüfungsvorbereitung. Würden Lehrwerkverlage nicht vordringlich die Konkurrenzsituation sehen, in der sie sich mit anderen Verlagshäusern befinden, könnte hier eine inhaltliche Abstimmung untereinander helfen, denn diese würde bewirken, dass die in Fremdsprachenlehrwerken behandelten Themen und Themenschwerpunkte diversifizierter und auf diese Weise für alle Beteiligten interessanter würden. In diesem Falle könnte eine Komplementarität entstehen, die dauerhaft nicht nur dem Lernen und Prüfen zuträglich wäre, sondern letztendlich auch den jeweiligen Verlagen helfen könnte, sich mit ihren Produkten - eben aufgrund von deren Vielfalt - am Markt zu behaupten.


6.2.7.2 Primat von Studien- und Berufsrelevanz

Der Studien- und späteren Berufsrelevanz von Unterrichts- und Prüfungsmaterialien sollte im Interesse der Studierenden bzw. Prüflinge eine besondere Bedeutung zukommen (vgl. Tinnefeld 2002: 56ff). Diese Feststellung sei im Folgenden anhand der thematischen Ausrichtung dieser Materialien verdeutlicht. Sie gilt gleichermaßen für allgemeinwissenschaftlich wie für fachsprachlich ausgerichtete Sprachlehrveranstaltungen. Dabei sollte eine Verknüpfung solcher Fertigkeiten stattfinden, die eine Affinität zu den jeweiligen thematischen Bereichen aufweisen. Nur die Kombination eines gegebenen Themas mit einer oder mehreren, zu diesem passenden Fertigkeiten kann in diesem Zusammenhang sinnvoll sein und zu einer wirklich gelungenen Konzeption von Prüfungen führen. Dieser Zusammenhang sei im Folgenden exemplarisch aufgezeigt.

Innerhalb eines Themas wie der Wahl des Staatsoberhauptes in Deutschland und Frankreich (indirekte Wahl vs. Direktwahl) wäre es beispielsweise nur begrenzt sinnvoll, die Prüflinge einen Aufsatz schreiben zu lassen, in dem sie die Vor- und Nachteile beider Systeme gegeneinander abwägen sollen. Ungleich besser wäre es hingegen, den Prüflingen eine mündliche oder schriftliche Stellungnahme eines Verfechters des einen oder des anderen Verfahrens in Form eines Presseartikels, eines Interviews oder einer Rede vorzulegen und diesen Text mit der Aufgabenstellung zu kombinieren, den dort thematisierten Ansatz zu kommentieren und gegebenenfalls zu kritisieren. Eine solche Aufgabenstellung hat im Vergleich zum reinen Aufsatz folgende Vorteile:
·   Es ist für die Prüflinge notwendig, zugunsten des einen oder anderen Verfahrens klar Stellung zu beziehen;
·  Von den Prüflingen wird erwartet, beide Ansätze zueinander in Beziehung zu setzen, und zwar in Bezug auf die im Ausgangstext ausgedrückte Position. Diese Leistung ist sprachlich und intellektuell auf einer höheren Ebene anzusiedeln als die Abwägung der Vor- und Nachteile beider Ansätze unabhängig von einer vorgegebenen Position: In dem von uns vorgeschlagenen Prüfungstyp können die Prüflinge ungleich mehr Flexibilität unter Beweis stellen.
·  Die Prüflinge werden in die Lage versetzt, ihr enzyklopädisches Wissen zu diesem Thema ebenfalls auf einer höheren Ebene zu aktivieren, da sie es kontextbezogen anwenden müssen;
·   Die Prüflinge müssen ihre eigene Position zu dieser Themenstellung definieren und verbalisieren; sie werden zu eigener Meinungsbildung angeregt.

In vielen vorstellbaren beruflichen Kontexten werden an die gegenwärtigen Prüflinge später ähnliche Anforderungen gestellt, wie sie in der beschriebenen Prüfungsaufgabe enthalten sind:
· die Zusammenfassung und Weiterverarbeitung gegebener Argumente;
·  deren Synthese und Abwägung;
·  die fundierte Verfechtung einer eigenen inhaltlichen Position.

Diese Einzelleistungen werden in direkter Abhängigkeit von der authentischen Sprachäußerung des Ausgangstextes generiert. Dies bedeutet, dass die hier beschriebene Aufgabe dem geforderten Primat der Studien- und Berufsrelevanz entspricht. Dies bedeutet zudem - übertragen auf Prüfungen allgemein -, dass die von den Prüflingen zu erbringenden Leistungen immer in direkter Linie zu dem ihnen präsentierten Stimulus - dem Ausgangstext selbst - gesehen werden müssen.

Der weiteren Verdeutlichung dieser Gesichtspunkte möge ein zweites Beispiel dienen: In einer gegebenen Klausur zum juristischen Englisch kann den Prüflingen die Aufgabe gestellt werden, den Angeklagten in einem gegebenen Prozess, zu dem ihnen die erforderlichen Basisinformationen bereitgestellt werden, im Sinne eines schriftlich ausformulierten Plädoyers zu verteidigen. Eine solche Themenstellung ist ungleich sinnvoller, als die Prüflinge einfach einen Rechtsfall kommentieren zu lassen. Diese Aufgabe wäre ausschließlich theoretisch ausgerichtet, was jedoch prüfungsdidaktisch in fachsprachlicher Hinsicht nicht vollkommen befriedigend ist: Die Prüflinge werden in ihren Praktika während des Jurastudiums und in ihrer beruflichen Tätigkeit nach Studienabschluss viel eher in die Lage kommen, an der Rechtspraxis orientierte Aufgaben lösen zu müssen als theoretische Fragestellungen. Die Situation, einen Mandanten verteidigen zu müssen oder die strategische Planung von dessen Verteidigung ausarbeiten zu sollen, ist dabei von ungleich höherer Relevanz, als einen theoretischen Kommentar zu einem vorliegenden Fall verfassen zu sollen. Die Kombination eines juristischen Falles mit der Erstellung der schriftlichen Fassung eines Plädoyers ergibt sich somit auf der Basis der ausgeführten Argumentation als sinnvolle Prüfungsaufgabe von hohem Studien- und Berufsbezug.

Bevor Klausurkonzeptoren sich also für ein gegebenes Thema mit der einen oder anderen Aufgabenstellung entscheiden, ist es unbedingt notwendig, dass sie Überlegungen wie die hier exemplifizierten anstellen. Als Leitlinie ist die Realisierung des Studien- und Berufsbezugs leicht umsetzbar und stellt somit einen gut zugänglichen Weg zu der Erstellung inhaltsvalider Prüfungen dar.

Zusammenfassend lassen sich unsere Überlegungen hinsichtlich grundlegender Kriterien für Prüfungstexte zum Leseverstehen graphisch wie folgt veranschaulichen:
                                                         Abb. 68: Kriterien für Leseverstehenstexte

Nach diesen Reflexionen hinsichtlich der Kriterien für Prüfungen zum Leseverstehen wird es nunmehr notwendig sein, uns mit den entsprechenden Kriterien für Hörverstehensprüfungen zu befassen.


6.3 Grundlegende Kriterien für Prüfungstexte zum Hörverstehen

Die Kriterien für Prüfungstexte zum Lese- und Hörverstehen[20] können - trotz unterschiedlicher, für sie relevanter Kommunikationskanäle (schriftlich vs. mündlich)  - als weitgehend vergleichbar angesehen  werden.  Insofern lassen sich die meisten unserer, zu der Konzeption von Leseverstehensprüfungen angestellten Reflexionen durchaus auf die Konzeption von Hörverstehensprüfungen übertragen. Zu diesen kommen jedoch weitere Gesichtspunkte, die für das Hörverstehen spezifisch sind und sich auf die Textauswahl und die Prüfungskonzeption selbst beziehen. Diese Aspekte sollen im Folgenden behandelt werden.


6.3.1 Technische Bedingungen

Zunächst stellt sich das Problem, ob die Prüflinge hinreichend mit der Technik des Sprachlabors, in dem die Hörverstehensprüfung stattfinden soll, vertraut sind (vgl. auch Tinnefeld 2002: 144f). Mit diesem Punkt ist in der Tat nicht nur deren Vertrautheit mit der Institution Sprachlabor gemeint, sondern vielmehr die Frage, ob sie mit der konkreten Sprachlaboranlage, auf der die gegebenen Prüfung ablaufen soll, umgehen können. In Allgemeinen ist davon auszugehen, dass Studierende, die sich an den philologischen Seminaren und Sprachenzentren deutscher Hochschulen auf Fremdsprachenprüfungen vorbereiten, mit der Sprachlabortechnik - zumindest in ihren Grundzügen, also dem Anhören der relevanten Texte - auskennen[21]. Wir gehen hier somit davon aus, dass die grundlegende Bedienung der Geräte, die in dieser Funktion ja - wenn auch heutzutage vielfach in der Form von Computer-sprachlaboren - im Wesentlichen derjenigen eines Kassettenrekorders entspricht, vorausgesetzt werden kann. Hingegen kann realistischerweise wohl nicht davon ausgegangen werden, dass jeder einzelne Prüfling alle Funktionen einer komplizierten Sprachlaboranlage beherrscht - zumal auch viele Dozentinnen und Dozenten sie nicht (hinreichend) beherrschen -, was für Prüfungen jedoch in aller Regel auch nicht notwendig ist. Unerlässlich für die technisch sichere Ablegung von Hörverstehensprüfungen ist es jedoch, dass das Sprachlabor im prüfungsvorbereitenden Unterricht regelmäßig benutzt wird. Auf diese Weise werden mögliche Schwellenängste der Studierenden - und ebenso der Dozenten - vor dieser Technik abgebaut, und es wird ihnen auch und gerade in Prüfungsituationen der Zugang dazu erheblich erleichtert: Wenn die Benutzung der Sprachlabortechnik für die Studierenden alltäglich ist, kommen sie damit auch in Prüfungssituationen in aller Regel gut zurecht.


6.3.2 Phonetik und Aussprache

Mit Blick auf den ausgewählten Prüfungstext ist von Bedeutung, ob die Aussprache der Sprecher und Sprecherinnen in der entsprechenden Aufnah-me hinreichend deutlich ist (vgl. Tinnefeld 2002: 145ff). Dieser Gesichtspunkt betrifft in direkter Linie das Dilemma zwischen Authentizität[22] und Künstlichkeit, das bereits mehrfach angesprochen worden ist (vgl. auch Kap. 6.1 und 6.2.4) und daher hier nicht erneut thematisiert zu werden braucht, sondern vielmehr direkt angewendet werden kann. Allgemein kann in dem vorliegenden Zusammenhang für fremdsprachliche Hochschulprüfungen somit Folgen-des konstatiert werden.

Auf Oberstufenniveau[23] sollten Hörtexte sich durch ihre Authentizität auszeichnen. Die Fremdsprache sollte akustisch und artikulatorisch so präsentiert werden, wie es der ausgewählten Situation unter Alltagsbedingungen entspricht, was letztendlich bedeutet, dass der Sprachlehr- bzw. der Prüfungscharakter dieser Texte möglichst nicht durchscheint. Auf diesem hohen Sprachniveau sollte jegliche didaktische Reduktion des Schwierigkeitsgrades vermieden werden; als Orientierungsgröße ist der gebildete Muttersprachler zugrunde zu legen und dasjenige Sprachverhalten, das er in der gegebenen Situation typischerweise an den Tag legen würde. Von einer Auswahl von Prüfungstexten, in denen die Sprecher sich einer überdeutlichen, weitgehend untypischen Aussprache bedienen, sollte somit abgesehen werden. 

Auf Mittelstufenebene kann aus verständlichen Gründen ein derart hohes Authentizitätsniveau nicht gehalten werden. Auf diesem Niveau ist es daher unvermeidbar, solche Texte auszuwählen, die in etwa eine Mittelposition zwischen Authentizität und Künstlichkeit repräsentieren, die also eine gewisse didaktische Reduktion aufweisen.

Auf der Ebene der Grundstufe werden entsprechend solche Texte zugrunde gelegt werden müssen, die erhebliche phonetische - besonders artikulato-rische - Vereinfachungen enthalten. Dennoch sollten auch auf dieser Stufe solche Texte als Prüfungsgrundlage gemieden werden, in denen die Sprecher und Sprecherinnen so überdeutlich artikulieren, dass diese Aussprache von Muttersprachlern als untypisch empfunden wird.

Ein Aussprachebeispiel aus dem Französischen möge in diesem Zusammenhang der Illustration dienen: Die Realisierung des Satzes Je ne sais pas als /jәnәsεpα/[24] wäre selbst für eine Hörverstehensprüfung auf Grundstufenniveau aus Gründen seiner Hyperkorrektheit als inakzeptabel einzustufen. Auf Grund- und Mittelstufenniveau sollten zwar nicht gerade solche Aussprachevarianten dieses Satzes erscheinen, die hochgradig verkürzt sind (vgl. /Ѕepα/), es sollte hierbei jedoch ein Aussprachekompromiss gewählt werden wie etwa /jnsεpα/.

Die zuvor über die Klarheit der Aussprache angestellten Reflexionen besitzen auch für die Sprechgeschwindigkeit eine Rolle, in der der Prüfungstext gehalten ist. Auf Oberstufenniveau sollte als Orientierungsgröße die typische Sprechgeschwindigkeit von Muttersprachlern bei Situationskonstanz dienen: In einem Prüfungstext sollten die agierenden Personen in etwa so schnell sprechen wie es im realen Leben für Muttersprachler in der gleichen oder einer vergleichbaren Situation üblich ist. Jegliche Reduzierung didaktischer Art, durch die das Sprechtempo herabgesetzt wird, ist dabei zu vermeiden, da die erbrachten Prüfungsleistungen dann nicht mehr als Indikator für die Chancen der Prüflinge, während eines Auslandsaufenthaltes sprachlich zurechtzukommen, fungieren werden können. Analog sollten Prüfungstexte zum Hörverstehen auf Grund- und Mittelstufenniveau tendenziell durch eine etwas zu hohe als durch eine zu niedrige Sprechgeschwindigkeit gekennzeichnet sein, da davon ausgegangen werden kann, dass Prüflinge in aller Regel Hörverstehenstexte von viel höherem Authentizitätsgrad und mit viel höherem Sprechtempo zu dekodieren in der Lage sind, als Lehrende ihnen allgemein zutrauen[25]. Angesichts dieser Überlegungen ist jedoch zu bedenken, dass in unterschiedlichen Situationen von Muttersprachlern im Allgemeinen auch unterschiedliche Sprechgeschwindigkeiten an den Tag gelegt werden - ein Phänomen, das pragmatisch motiviert ist: Zwei junge Freundinnen am Telefon werden in all ihrer Spontaneität und dem Bemühen, sich so schnell wie möglich die neuesten Nachrichten aus dem Bekanntenkreis mitzuteilen, im Allgemeinen in höherem Sprechtempo miteinander kommunizieren als zwei Passanten auf der Straße, die sich in dem Bestreben, den Straßenlärm zu übertönen, miteinander unterhalten, und diese werden wiederum schneller miteinander sprechen, als ein Mathematikprofessor dies in seiner Vorlesung tut, in der es ihm darum geht, seinen Studenten schwierige Sachzusammenhänge in nachvollziehbarer Form auseinanderzusetzen. Es geht uns also hier nicht darum, in Prüfungstexten zum Hörverstehen ausnahmslos einer hohen Sprechgeschwindigkeit das Wort zu reden. Es geht uns vielmehr um das Abzielen auf eine jeweils situational angemessene, authentische Sprechgeschwindigkeit. Dies heißt nichts Anderes, als dass diejenigen Situationen, in denen Muttersprachler eher schnell sprechen, in Prüfungstexten ebenfalls durch ein hohes Sprechtempo charakterisiert sein sollten. In solchen Situationen hingegen, in denen Muttersprachler im Allgmei-nen eher langsam sprechen, sollte dieses im Vergleich niedrigere Sprech-tempo auch in Prüfungstexten reflektiert werden. Diese Maxime kann dank ihres hohen Plausibilitätsgrades in Hörverstehensprüfungen eine wertvolle Orientierungsgröße liefern.  


6.3.3 Realismus der Kommunikationssituation

Ein weiterer zu berücksichtigender Gesichtspunkt besteht in der Frage, ob in Prüfungstexten zum Hörverstehen Nebengeräusche zu hören sein sollten (vgl. auch Tinnefeld 2002: 148f). Auf den ersten Blick ist diese Frage natürlich verneint zu beantworten - in der Weise, dass ein prüfungsrelevanter Hörverstehenstext dann von besserer Qualität sei, wenn er ausschließlich aus dem gesprochenen Wort bestehe, so dass die Prüflinge sich ausschließlich darauf konzentrieren könnten. Bei näherer Betrachtung ergibt sich jedoch eine ganz andere Antwort: Auch in Prüfungstexten zum Hörverstehen sollte die Tatsache berücksichtigt werden, dass nahezu jegliche mündliche Kommu-nikation nicht im luftleeren Raum stattfindet, sondern vielmehr von akustischen Störungen und solchen Geräuschen begleitet wird, die nicht im eigentlichen Sinne etwas mit ihr zu tun haben. Auch eine Sprachprüfung sollte daher nicht im Sinne eines aseptischen Umfeldes geplant werden, sondern vielmehr derart, dass die Prüflinge unter Beweis stellen können, dass sie orale Kommunikation rezeptiv auch dann zu meistern in der Lage sind, wenn sie nicht jedes einzelne Wort verstehen, sondern Leerstellen durch Inferenzen füllen und gezielt auf sprachliche Redundanzen[26] hören können. Die erfolgreiche und effiziente Nutzung sprachlich immer vorhandener Redundanzen kann als eine Schlüsselqualifikation der Prüflinge in Sprachprüfungen angesehen werden. Das Vorhandensein von Nebengeräuschen macht die Testung des Umgangs der Prüfungsteilnehmer mit Redundanzen also erst möglich. Nebengeräusche sollten in Prüfungstexten zum Hörverstehen somit nicht nur nicht ausgeblendet, sondern bewusst integriert werden. Mit ihrer Hilfe wird eine weitere Möglichkeit zur Testung der Bewältigung authentischer Kommunikationssituationen geschaffen.

Von Bedeutung ist weiterhin die Frage, ob ein gegebener Hörverstehenstext von Muttersprachlern eingesprochen worden sein sollte oder nicht. Diese Frage lässt sich im vorliegenden Kontext eindeutig beantworten: Es sollte keine hochschulische Fremdsprachenprüfung geben, in der Hörverstehenstexte verwendet werden, die von Nichtmuttersprachlern eingesprochen worden sind. Diese Forderung besitzt für alle Niveaus von Fremdsprachen-prüfungen Gültigkeit. Texte, die diese Basisforderung nicht erfüllen, sind für diese Prüfungen ungeeignet, auch dann, wenn sie aus anderen Gründen heraus akzeptabel erscheinen.


6.3.4 Monolog vs. Dialog

Hinsichtlich der Frage, ob ein Prüfungstext in monologischer oder in dialogischer Form vorliegen sollte, können hingegen keine eindeutigen Aussagen getroffen werden. Als grundlegende Orientierungsgröße lässt sich auch hinsichtlich dieser Frage jedoch von dem Kriterium der Lebens- bzw. späteren Berufswirklichkeit der Prüflinge ausgehen, das für didaktisch wertvolle Prüfungen erfüllt sein sollte (vgl. auch Tinnefeld 2002: 149ff). Auf der Basis dieser Forderung kann festgehalten werden, dass diejenigen Situationen, in denen mehrere Personen miteinander in Interaktion stehen, dort frequenter sein werden als solche Situationen, in denen nur eine Person spricht und sich dabei an ein gegebenes Publikum wendet: Der Großteil menschlicher Kommunikation findet in Form von Dialogen und eben nicht monologisch statt. Dennoch kann nicht so weit gegangen werden zu behaupten, ein dialogischer Hörverstehenstext sei generell ein guter und ein monologischer sei generell ein schlechter Prüfungstext. So kann es in fachsprachlichen Kontexten durchaus sinnvoll sein, den Prüflingen hier und da einen monologischen Hörverstehenstext vorzulegen und gerade dadurch die von uns aufgestellte Forderung zu erfüllen. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn die Textsorte Vorlesung ausgewählt wird, der per definitionem dominant monologisch[27] ist und mit deren Hilfe die Studierfähigkeit der Prüflinge in ihrem Fachgebiet auf akustisch-rezeptive Ebene abgeprüft wird. Die Auswahl eines solchen Hörverstehenstextes ist hochgradig sinnvoll, gerade weil dieser ein monologischer Text ist. Dieses Beispiel soll deutlich machen, dass die hier aufgeworfene Frage der Selektionsdichotomie zwischen monologischen und dialogischen Hörverstehenstexten im Einzelfall zu prüfen ist und nur eine situationsbezogene Entscheidung eine gute Entscheidung sein kann: Pauschale Antworten dienen der gegebenen Sache also auch in diesem Falle nicht.

Eine kommunikationstechnisch zentrale Problematik der Eignung von Hörverstehenstexten als Prüfungstexte liegt darin, ob in einem dialogisch realisierten Text Klarheit darüber herrscht, wer spricht und wann er spricht. Hiermit ist die Frage gemeint, of die Prüflinge ohne jegliche schriftliche Textvorlage die Identität und die kommunikativen Rollen der interagierenden Partner erkennen können, wodurch sie erst in die Lage versetzt werden, die Kommunikation adäquat zu dekodieren. Wenn diese Frage auf den ersten Blick auch geradezu banal erscheinen mag, so steht sie doch in direktem Zusammenhang mit dem Prüfungserfolg. Diese eindeutige Identifizierung geschieht natürlich am einfachsten durch die Nennung von Namen, die jedoch hinreichend unterschiedlich sein müssen, um zweifelsfrei auseinander-gehalten werden zu können. Zudem sollte darauf geachtet werden, dass die in Prüfungstexten auftauchenden Personen nicht einmal mit ihrem Vornamen und dann wieder mit ihrem Nachnamen angeredet werden, da bei den Prüflin-gen dadurch Verwirrung entstehen kann. Die namentliche Identifikation der Protagonisten in Prüfungstexten zum Hörverstehen sollte somit unbedingt die Bedingung der Eindeutigkeit erfüllen.  

Hinzu kommt die Notwendigkeit dessen, dass in dialogischen Texten die Stimmen der Protagonisten in ihrem jeweiligen Timbre hinreichend verschieden sein müssen: Die Auswahl von Texten mit zwei, einander allzu ähnlichen Frauenstimmen, ist dabei ebenso wenig sinnvoll wie diejenige zweier oder mehrerer Männerstimmen, die nahezu gleich klingen, da solche Konstellationen mit großer Wahrscheinlichkeit zur Konfusion der Prüflinge führen. Eine wichtige Aufgabe von Prüfungskonzeptoren besteht somit darin, darauf zu achten, dass die Stimmlagen der verschiedenen Sprecher und Sprecherinnen hinreichend unterschieden sind und von den Prüflingen folglich ohne großen Aufwand auseinandergehalten werden können. Ist diese Bedingung nicht erfüllt, wird den Prüflingen eine unnötige intellektuelle Extraarbeit abverlangt, die sie sinnvoller in die eigentlich geforderten Prüfungsleistungen investieren könnten.   


6.3.5 Prinzipiell geeignete Textsorten

Die Realisierung eines möglichst hohen Authentizitätsniveaus prüfungsrele-vanter Hörverstehenstexte sollte nicht nur mit Blick auf die Phonetik gewährleistet werden, sondern auch mit Blick auf die Textkonzeption. Für Hörverstehensprüfungen sollten entsprechend solche Textsorten als Grundlage gewählt werden, die für muttersprachliche Adressaten konzipiert worden sind. Als Beispiele sind hier (Ausschnitte aus) Fernseh- und Radionachrichten, Fernsehdokumentationen, Radioreportagen, Interviews mit Politikern oder Prominenten zu nennen. Im Idealfalle sollten diese Texte direkt für Prüfungen verwendet, also nicht didaktisiert werden. Ist eine Didaktisierung - zum Beispiel für die Verwendung in einer Mittelstufenprüfung - unvermeidlich, so sollte sie derart professionell vorgenommen werden, dass sie so nah wie möglich an die genannten Authentizitätsbedingungen heranreicht, also wie für Muttersprachler produziert worden ist.

Die Problematik der Auswahl von Prüfungstexten, die die Lebens- bzw. die spätere Berufswelt der Prüflinge reflektieren, ist auch hinsichtlich der Frage der Ausgrenzung prinzipiell geeigneter Textsorten von zentraler Bedeutung, dabei jedoch schwer fassbar (vgl. Tinnefeld 2002 151ff). Die Grundproblematik ihrer Operationalisierbarkeit kann hier zwar nicht abschließend geklärt werden, es ist jedoch möglich, anhand von Beispielen eine gewisse Orientierung in dieser Frage zu vermitteln. Dabei wollen wir zunächst auf das Grundstufenniveau, dann auf das Mittelstufenniveau und schließlich auf das Oberstufenniveau eingehen.

Auf Grundstufenniveau ist denkbar, den Prüflingen die Aufgabe zu stellen, ein - in aller Regel didaktisiertes - Telefongespräch mit dem Ziel der Buchung eines Hotelzimmers zu verfolgen und die darin versprachlichten Eckdaten in einer Matrix anzukreuzen oder die entsprechenden Informationen stichwortartig darin aufzulisten. Denkbar ist ebenfalls, die so gewonnenen Informationen - in Kombination von Hörverstehens- und Schreibfertigkeitsprüfung - in der Weise weiterverarbeiten zu lassen, dass die Prüflinge entweder einem imaginären Freund davon berichten, wo und für wie lange der Protagonist des Hörverstehenstextes ein Hotelzimmer gebucht hat, oder selbst per E-Mail eine imaginäre Hotelreservierung vornehmen müssen. Diese letztere Aufgabe ist bereits auf die Realisierung einfacher Handelskorrespondenz ausgerichtet; die Reservierung eines Hotelzimmers ist zweifelsfrei der Lebens- und späteren Berufswelt der Prüflinge zuzurechnen. Alternativ denkbar wäre die Dekodierung eines - didaktisierten - Fernseh- oder Radiowerbespots über einen bekannten Urlaubsort und die damit verbundene Aufgabe, schriftlich ein Hotelzimmer in diesem Ort zu reservieren oder einen Freund in einem Brief oder einer E-Mail von einer gemeinsamen Reise an diesen Ort zu überzeugen. Es wird an diesen Beispielen deutlich, dass es mit ein wenig Geschick bereits auf Grundstufenniveau möglich ist, solche Prüfungssituationen zu generieren, die der gegenwärtigen oder zukünftigen Lebenswirklichkeit der Prüflinge gerecht werden.

Eine berufsspezifische Aufgabenstellung in einem Wirtschaftsenglischkurs auf Mittelstufenniveau kann darin bestehen, die Dekodierung einer mündlichen Abmachung eines Geschäftstermins zum Gegenstand der Prüfung zu machen und den Inhalt von den Prüflingen anhand entsprechender Fragen schriftlich festhalten zu lassen. Auch eine solche Aufgabenstellung zeichnet sich durch eine erhebliche Realitätsnähe aus.

Gegenstand einer Prüfung zum juristischen Französisch auf Oberstufenniveau kann ein Ausschnitt aus einer Vorlesung eines Professors der Jurisprudenz sein, der den Prüflingen - Jurastudenten - in Form eines Videoclips präsentiert wird und den sie zusammenzufassen haben. In einem auf die verschiedenen sprachlichen Fertigkeiten bezogenen, integrativen Ansatz kann sich an diese Hörverstehensaufgabe zum Beispiel die schriftliche Beantwortung einer Frage, die der Professor während der Vorlesung stellt, anschließen. Diese Aufgabenstellung weist eine erhebliche Nähe zu dem Studienumfeld der Prüflinge auf und dient in direkter Linie dazu, ihre Studierfähigkeit im Ausland zu testen.

Die beschriebenen Beispiele lassen deutlich werden, dass die Kriterien Lebensnähe und Berufsspezifik auch im Rahmen der Fertigkeit des Hörverstehens prüfungsdidaktisch mit begrenztem Aufwand umgesetzt werden können. Dabei wird durch die Kombination mehrerer sprachlicher Fertigkeiten der angestrebte Realismus der jeweiligen Prüfung optimiert. Auch hierin kommt implizit zum Ausdruck, dass eine strikte Trennung der vier Fertigkeiten in aller Regel die sprachliche Realität nur sehr unbefriedigend widerspiegelt. Unter prüfungsdidaktischen Gesichtspunkten erscheint eine Kombination von jeweils mindestens zweien dieser daher fruchtbar.


6.3.6 Arten der Textpräsentation

Ein Problem technischer Qualität bezieht sich auf die grundsätzliche Entscheidung, ob ein gegebener Hörverstehenstext in der Prüfung mehrmals über Lautsprecher vorgespielt oder auf die Schülerplätze des Sprachlabors kopiert werden soll. Wenn dieses Problem auf den ersten Blick auch eher  sekundär erscheint, liegen hierin dennoch zwei zueinander entgegengesetzte Ansätze verborgen. Hinzu kommt, dass viele Prüfer erfahrungsgemäß eine starke Präferenz je einer der beiden Varianten verspüren und die jeweils andere in den von ihnen konzipierten Prüfungen entsprechend kaum berücksichtigen. Dabei lässt sich hinsichtlich dieser Fragestellung in der Tat eine recht einfache Antwort finden: 



Die Form der Textpräsentation in der Prüfung
hängt dominant von dem ausgewählten Texttyp ab.



Generell gilt dabei:
·  Ein relativ langer Hörverstehenstext, der die herauszuarbeitenden Informationen in nicht allzu dichter zeitlicher Abfolge aufweist und zu dem die prüfungsrelevanten Informationen in linearer Form abgefragt werden, bietet sich für die mehrmalige Präsentation über den Raumlautsprecher an. Die Überspielung eines solchen, längeren Textes auf die Schülerplätze hingegen könnte bewirken, dass die Prüflinge sich in dem Text verlieren und für die Bewältigung der damit verbundenen Aufgabenstellungen zu viel Zeit benötigen.
·   Ein kürzerer Text mit relativ dichter Informationsstruktur bzw. ein Text, zu dem die prüfungsrelevanten Informationen in nicht-linearer Form abgefragt werden, lässt sich dann besser erarbeiten, wenn er jedem Prüfling individuell zur Verfügung steht und die relevanten Stellen von diesem wiederholt abgespielt werden können. Für solche Texte wäre die kollektive Rezeption mittels Raumlautsprecher dagegen eher kontraproduktiv.

Für Prüfer ist es wichtig, sich diese und ähnliche Fragen bei der Konzeption einer jeden Hörverstehensprüfung vor Augen zu führen und ein Verständnis der grundsätzlichen Abhängigkeit von zugrunde liegendem Texttyp einerseits und gewählter Präsentationsform andererseits zu entwickeln. In dem Falle, dass ein Text auf die Schülerplätze kopiert wird, sollte der Prüfer die Prüflinge jedoch wiederholt auf die bereits verstrichene Zeit aufmerksam machen, damit diese sich nicht allzu lange dem Hörverstehenstext zuwenden, was unweigerlich zu einem Intensitätsverlust in der Bearbeitung der Prüfungsteile zu den übrigen sprachlichen Fertigkeiten führen würde.

Eine weitere Frage grundsätzlicher Art besteht darin, ob ein Video- oder ein Audiotext zur Grundlage von Hörverstehensprüfungen gemacht werden sollte. Da auch auf diese Fragestellung keine allgemeingültige Antwort gegeben werden kann, soll hier lediglich auf einige grundlegende Gesichtspunkte hingewiesen werden.

Auf Videoclips basierende Hörverstehenstexte sind dann verwendbar, wenn der ausgewählte Text allen Prüflingen gemeinsam per Raumlautsprecher dargebracht werden soll und die Lösung der Prüfungsaufgaben kein Spulen erfordert, der Text also linear bearbeitet werden kann. Natürlich ist es prinzipiell mit der heutigen Computertechnik unproblematisch möglich, recht zielgenau eine bestimmte Textstelle auch in einem solchen Videoclip anzusteuern, jedoch treten dabei zwei prüfungstechnische Probleme auf:
·  Haben die Prüflinge direkten und uneingeschränkten Zugriff auf einen Computer, könnten sie natürlich unproblematisch den entsprechenden Videoclip direkt auf der jeweiligen Website - also beispielsweise You Tube - anschauen, wenn ihnen die entsprechende URL gegeben würde. Technisch wäre dies zweifellos die beste Möglichkeit. Jedoch würde damit zugleich auch potentiellem Pfuschen Raum gegeben, da der Internetzugang zugleich auch für die Beschaffung anderer -  prüfungstechnisch unerwünschter - Informationen genutzt werden könnte.
·  Es ist zwar prinzipiell möglich, im Internet verfügbare Videoclips auf einen Computer herunterzuladen. Dieses Verfahren kann jedoch zeitlich recht aufwendig sein, so dass es unrealistisch ist, davon auszugehen, dass dieser Vorgang für den Computer jedes einzelnen Prüflings durchgeführt werden könnte. In einer solchen Konstellation stünde der notwendige technische Aufwand in keinem Verhältnis zum erzielten Nutzen. Aus diesen Gründen ist die Option der Darbringung eines individuell von den Prüflingen zu bedienenden Hörverstehenstextes per Videoclip realistischerweise zu verwerfen.

Videoaufnahmen sind jedoch zudem aus einem anderen Grund mit besonderen Erwägungen zu bedenken, bevor sie für Prüfungen verwendet werden. Dieser ist mit dem Vorhandensein der Bildelemente verbunden. Diese visuellen Elemente bieten Klausurkonzeptoren gerade auf Grund- und Mittelstufenniveau die Möglichkeit, schwierigere Hörverstehenstexte zur Grundlage von Prüfungen zu machen als die Prüflinge auf der Basis ihres Könnens eigentlich bewältigen könnten, da sie nicht ausschließlich auf akustische Informationen angewiesen sind: Erfolglos dekodierte akustische Signale können in dieser Situation durch die zusätzlich gegebenen visuellen Signale kompensiert werden. Auf Oberstufenniveau mag die beschriebene, ihrem Wesen nach positive Konstellation dagegen unter Umständen nicht wünschenswert erscheinen, da die durch die Bildelemente bewirkte Verein-fachung im Einzelfall unangemessen sein mag. Auch auf dieser Ebene gilt als mögliche Richtschnur daher, dass nur dann videobasierte Prüfungstexte gewählt werden sollten, wenn diese deutlich schwerer sind, als es dem sprachlichen Leistungsvermögen der Prüflinge entspricht.

Implizit ist aus diesen Reflexionen bereits Folgendes hervorgegangen:



Die ausschließlich akustische Präsentation
von Prüfungstexten zum Hörverstehen stellt die höchste Stufe
eines gegebenen Anforderungsprofils dar.



Dieser Zusammenhang sollte bei der Konzeption jeglicher Hörverstehensprüfungen im Blick behalten werden. Die in diesem Zusammenhang angestellten Reflexionen können graphisch wie folgt veranschaulicht werden:

Abb. 68: Kriterien für Prüfungstexte zum Hörverstehen

Nach der Behandlung der Konzeption von Hörverstehenprüfungen wollen wir uns nunmehr mit der Konzeption von Hörverstehensaufgaben befassen.



6.4 Konzeption von Prüfungsaufgaben zum Lese- und Hörverstehen

Die Behandlung der Konzeption von Prüfungsaufgaben zum Lese- und Hörverstehen kann im gegebenen Zusammenhang weitgehend gemeinsam erfolgen, da beide grundlegenden sprachlichen Fertigkeiten - abgesehen von einigen, speziell Hörverstehensaufgaben betreffenden Aspekten - auf durchaus ähnliche Weise abgeprüft werden können. Auf diejenigen Gesichtspunkte, die sich speziell auf die Abprüfung das Hörverstehens beziehen, soll dabei zunächst eingegangen werden (vgl. Kap. 6.4.1). Diejenigen Gesichtspunkte, die sich auf beide sprachlichen Fertigkeiten beziehen, werden im Anschluss daran behandelt (vgl. Kap. 6.4.2).
  

6.4.1 Genuine Hörverstehensaufgaben

Bei den genuinen Formen von Hörverstehensaufgaben[28], die sich grundsätzlich von solchen zum Leseverstehen unterscheiden, handelt es sich um Multiple-Choice-Aufgaben, die auf phonetische Diskrimination ausgerichtet sind, Lückentexte, die auf Grund von Gehörtem zu vervollständigen sind, sowie Transkriptionen akustisch rezipierter Texte. Auf diese Aufgabentypen soll im Folgenden näher eingegangen werden (vgl. hierzu auch Tinnefeld 2002: 155ff).


6.4.1.1 Multiple-Choice-Aufgaben

Hinsichtlich der auf phonetische Diskrimination abhebenden Multiple-Choice-Aufgaben[29] sind einige grundlegende Bedingungen zu beachten, die hier kurz diskutiert werden sollen (vgl. auch Tinnefeld 2002: 155ff).

Die erste dieser Bedingungen besteht darin, dass die phonetische Ähnlichkeit der Antwortalternativen hinreichend groß ist, so dass sie alle als potentielle Lösung in Frage kommen. In diesem Gesichtspunkt liegt eine Anwendung einer für Multiple-Choice-Aufgaben grundsätzlich zu fordernden Bedingung, die hier jedoch auf die Phonetik angewandt wird. Ist diese Grundbedingung nicht erfüllt, dann wird die Identifikation der korrekten Lösung für die Prüflinge zu einfach und die Aussagekraft der jeweiligen Distraktoren wird herabgemindert oder gar vollkommen neutralisiert. In der Praxis der Prüfungskonzeption bedeutet dies, dass potentielle Verwechslungen zwischen den Distraktoren und der eigentlichen Lösung gegeben sein müssen. Idealerweise können diese auf der Basis von Minimalpaaren präsentiert werden, in denen ja lediglich ein einziges Phonem das unterscheidende Merkmal bildet. Wenn diese Forderung auch nicht einfach in die Praxis umzusetzen ist, so muss doch festgehalten werden, dass solche Distraktoren, die sich allzu weit von dieser Idealoption entfernen, in aller Regel keine befriedigende Bewertungsbasis für die Textung des Hörverstehens bieten und somit kaum einen hinreichenden Aussagewert bereitstellen. Auf sie kann dann ebensogut verzichtet werden.

Eine weitere Notwendigkeit bei der Konzeption von Hörverstehensaufgaben besteht darin, dass die gegebenen Aufgabenstellungen so gewählt sein müssen, dass sie auf eindeutige, deutlich ausgesprochene und somit zweifelsfrei verständliche Stellen in der Tonaufnahme bezogen sind: Bei aller Forderung nach akustischer Ähnlichkeit der angebotenen Distraktoren im Sinne der soeben diskutierten Problematik muss eine eindeutige phonetische Diskrimination der einzelnen Antwortalternativen gewährleistet sein. Multiple-Choice-Aufgaben dürfen somit nur auf solche Textpassagen angewandt werden, die diese Forderung erfüllen. Wird trotz aller Umsicht im Nachhinein - also bei der Korrektur der Aufgaben - festgestellt, dass diese Forderung für eine Aufgabe nicht erfüllt ist, muss diese aus der Bewertung herausgenommen werden.

Eine weitere Forderung besteht in der sachlichen und inhaltlichen Sinnhaftigkeit der ausgewählten Distraktoren. Bei phonetisch ausgerichteten Multiple-Choice-Aufgaben dürfen daher keine sachlich unsinnigen Alternativen zu finden sein oder solche, die von Muttersprachlern in dieser Form nie geäußert würden. Eine solche Konzeption würde zu einem erheblichen Qualitätsverlust der gesamten Hörverstehensprüfung führen, da in dieser Weise konzipierten Aufgaben so gut wie kein prüfungsdidaktischer Wert zukommt.

Eine wichtige Forderung an Multiple-Choice-Aufgaben besteht zudem in der Gewährleistung von Plausibilität. Multiple-Choice-Aufgaben, die diese Forderung nicht erfüllen, sind schlichtweg sinnlos: Nur durch die theoretische Chance, dass alle angebotenen Distraktoren prinzipiell korrekt sein könnten, werden Multiple-Choice-Aufgaben zu einem wertvollen Testinstrument. Diese allgemeine Forderung gilt selbstverständlich ebenso für Hörverstehensprüfungen, und nicht nur für deren inhaltliche, sondern ganz genauso für ihre phonetische Seite.

Kommen wir nun in dem Bereich von Hörverstehensprüfungen zu dem Aufgabentyp Lückentext.


6.4.1.2 Lückentexte 

Lückentexte sollten für Hörverstehensaufgaben in der Weise eingesetzt werden, dass sie im Sinne eines gezielt auf bestimmte Schwierigkeiten ausgerichteten Diktats[30] eingesetzt werden. Für dieses spezifische Diktat sind in erster Linie die im Folgenden zu diskutierenden Gesichtspunkte zu berücksichtigen (vgl. ergänzend auch Tinnefeld 2002: 157ff).

Von besonderer Bedeutung ist, dass bei dieser Form des Diktats die jeweils adäquaten Elemente ausgelassen werden, also diejenigen, die dem Klausurkonzeptor die von ihm hinsichtlich des Sprachstandes seiner Prüflinge gewünschten Informationen vermitteln. Auch diese Problematik kann nur mehr oder minder individuell behandelt werden: Welche Elemente die in diesem Sinne „richtigen“ sind, kann nur vom Prüfer selbst entschieden werden. Prinzipiell funktional auslassbare Elemente sind dabei:
·  Wörter mit hohem orthographischen Schwierigkeitsgrad,
·  Wörter, die in einem gegebenen Lückentext ausschließlich einer bestimmten Wortart angehören, also z.B. nur Substantive, nur Verben, nur Adjektive oder nur Adverbien.
·  Wörter, die orthographisch relevante, grammatische Funktion haben oder in enger Beziehung zu grammatischen Funktionen stehen. Als Beispiel für das Französische oder Spanische sei im Rahmen dieser Kategorie auf solche Wortformen verwiesen, die die Realisation des accord bzw. der concordancia bewirken und deren Beherrschung auf diese Weise effizient abgeprüft werden kann. 

Bei diesen Überlegungen muss jedoch im Blick behalten werden, dass in all denjenigen Fällen, in denen nicht ausschließlich das Hörverstehen getestet wird, sondern zudem die Orthographie und / oder grammatische Gesichts-punkte in die Prüfung miteinbezogen werden, deren reiner Hörverstehenscharakter verloren geht. Eine solche, simultane Testung von Hörverstehen, Orthographie und / oder Grammatik ist durchaus legitim und in vielen Fällen sogar sinnvoll; sie überwindet jedoch die bereits erwähnte Trennung der sprachlichen Fertigkeiten (vgl. Kap. 6.1). Der gewichtigste prüfungsdidaktische Nachteil, der sich aus einer solchen Konstellation ergeben mag, ist dabei derjenige potentieller Bewertungsprobleme hinsichtlich der Inhaltsvalidität der jeweils gestellten Aufgabe.

Ein weiterer Gesichtspunkt bei der Planung von Lückentexten im Rahmen der Testung des Hörverstehens besteht in der Frage, ob jeweils nur ein einziges Wort des Originaltextes ausgelassen wird oder ob auch solche Einheiten getilgt werden, die - im Sinne eines Syntagmas - mehr als ein einziges Element umfassen. Dabei kann im Allgemeinen davon ausgegangen werden, dass eine Mischform dieser beiden Alternativen - also der Auslassung von Einzelwörtern und derjenigen von Syntagmen - das Mittel der Wahl darstellt. Durch diese Mischform lässt sich die Abprüfung des Hörverstehens effizient und zuverlässig gestalten: Nur auf diese Weise kann sich der Prüfling nicht darauf verlassen, jeweils nur ein einzelnes Element erkennen zu müssen, sondern er muss sich auf die potentielle Tilgung mehrerer Wörter einstellen und im Extremfall gar die Auslassung ganzer Teilsätze in seine Lösungsoptionen einbeziehen, wodurch er sich in der Rezeption des Prüfungstextes einer mehr oder minder offenen Situation gegenübersieht. Auf diese Weise wird er beispielsweise in der Fähigkeit geprüft, orthographische Grenzen zwischen solchen Elementen zu setzen, die phonetisch nicht voneinander getrennt und somit auf rein akustischer Ebene nicht als selbständige Elemente wahrnehmbar sind. Dies ist der Fall bei den so genannten mots phonétiques[31], die ein kennzeichnendes Kriterium der romanischen Sprachen - jedoch nicht nur dieser - darstellen. Unter prüfungsdidaktischen Gesichtspunkten hebt die Auslassung von über die Ebene des Einzelwortes hinausgehenden Textelementen die Qualität der vorliegenden Testform für das Hörverstehen also erheblich; diese Form des Lückentextes verleiht der vorliegenden Testform für qualitativ hochstehende Prüfungen daher eine unübersehbare Relevanz.  

Weiterhin von Bedeutung ist die Frage, ob ausschließlich orthographisch schwierige Wörter ausgelassen worden sind oder auch solche, bei denen die Orthographie nicht das zentrale Problem darstellt. Werden vorwiegend orthographisch komplexe Wörter ausgelassen, so führt diese Klausurkonzeption dazu, dass in der Prüfung eher die Rechtschreibung getestet wird als das Hörverstehen. Eine solche Orthographie-Orientierung ist durchaus legitim und oft nicht vermeidbar. Wichtiger als diese ist es jedoch, die auszulassenden Wörter nicht ausschließlich nach orthographischen Gesichtspunkten festzulegen, sondern nach ihrer Leistung für das Verständnis des gegebenen Textes. Für reine Hörverstehensprüfungen ist es ungleich wichtiger, solche Elemente zu tilgen, die inhaltlich von hohem Gewicht sind und durch deren Rekonstruktion die Prüflinge unter Beweis stellen können, dass sie den Text wirklich verstanden haben. Nur wenn diese Zusammenhänge berücksichtigt werden, lässt sich das Hörverstehen in Reinform effizient prüfen.

Schließlich ist von Relevanz, ob in einem gegebenen Lückentext zum Hörverstehen auch solche Elemente ausgelassen werden, die grammatische Phänomene umfassen. Ist dies der Fall, wird in der entsprechenden Prüfung zumindest ebenso viel Grammatik wie Hörverstehen getestet; gegebenenfalls mag die Testung grammatischer Fragen dabei überwiegen oder gar prioritär sein. In diesem Zusammenhang sei jedoch betont, dass die Abprüfung von Grammatik in Verbindung mit derjenigen des Hörverstehens durchaus eine fruchtbare Kombination darstellen kann - und dies nicht nur in solchen grammatischen Bereichen wie dem weiter oben erwähnten Phänomen des accord im Französischen, sondern in Bezug auf viele weitere grammatische Strukturen. Die prüfungsdidaktische Kombination von Grammatik und Hörverstehen dient nicht zuletzt dem Nachweis eines höheren Sprachverständnisses durch die Prüflinge, wobei deren Leistungen in diesem Bereich direkt proportional auf deren Sprachbeherrschung schließen lassen.


6.4.1.3 Transkriptionsübungen

Transkriptionsübungen können - in Erweiterung des Ansatzes, den Lückentexte darstellen - nicht nur als spezifisches Diktat bezeichnet werden, sondern als „Diktat vom Band“. Der Unterschied zwischen beiden Ansätzen besteht in erster Linie darin, dass bei Lückentexten Elemente vom Einzelwort bis zum Syntagma ausgelassen werden, bei Transkriptionsübungen hingegen Elemente vom Satz bis hin zu einem oder mehreren Absätzen. Für Transkriptionsübungen sind im Wesentlichen die nachstehend beschriebenen Gesichtspunkte von Relevanz (vgl. auch Tinnefeld 2002: 160ff).

Die Frage, ob die Transkription von Textpassagen gegenüber dem Lückentext prüfungsdidaktische Vorteile im Hinblick auf Textverständnis, Orthographie und Grammatik bietet, muss differenziert gesehen werden. Auf den ersten Blick mag man versucht sein, sie negativ zu beantworten, da eine gelenkte Prüfungsform, wie der Lückentext sie darstellt, im Allgemeinen solchen Prüfungsformen vorzuziehen ist, die eine geringere spezifische Orientierung aufweisen, da sie tendenziell solidere Resultate hervorbringen. Es sind jedoch durchaus Prüfungssituationen vorstellbar, in denen Transkriptionsübungen unübersehbare Vorteile aufweisen. Diese können vor allem für die Bearbeitung solcher Textteile günstig sein, in denen eine hohe Frequenz anaphorischer und / oder kataphorischer inhaltlicher und / oder grammatischer Bezüge enthalten sind, deren Identifikation und schriftliche Umsetzung von den Prüflingen vorzunehmen sind. In einem solchen Fall hat der Klausurkonzeptor zu entscheiden, ob er den gegebenen Teiltext von den Prüflingen in Gänze oder mit Hilfe gezielt ausgewählter Lücken bearbeiten lässt. Liegt das Gewicht dieser Teilprüfung auf dem Globalverständnis der jeweiligen Textpassage, so sollte die Transkriptionsübung bevorzugt werden. Liegt es hingegegen auf der Konzentration auf gezielte Textelemente, so ist der Lückentext vorzuziehen. Im direkten Vergleich weisen beide Prüfungsformen somit Vorteile auf, die direkt auf die einer gegebenen Prüfung innewohnende Ausrichtung bezogen werden können. Dass eine dieser beiden Formen die bessere sei, lässt sich hingegen nicht eindeutig formulieren. In der Abwägung dieser Frage ist somit eher von der Differenzhypothese als von der Defizithypothese auszugehen.  

Ein Problembereich, der den Prüfungserfolg in direkter Linie beeinflusst, ist derjenige, ob die zu transkribierende Textlänge den Prüflingen zuzumuten ist. Dabei darf nicht übersehen werden, dass die Hörverstehensprüfung nicht selten lediglich eine Teilprüfung darstellt und es daher nicht sinnvoll erscheint, die Transkription längerer Texte zu fordern. Dabei lässt sich als Höchstgrenze eine Textlänge von zehn bis fünfzehn Zeilen ansetzen. Anforderungen, die über diese Grenze hinausgehen, erweisen sich in der Praxis in aller Regel als kontraproduktiv.

Von erheblicher Bedeutung ist, ob von den Klausurkonzeptoren inhaltlich zentrale Textpassagen für die Transkription  ausgewählt werden. Die hier ausgesprochene Empfehlung geht klar dahin, den Prüflingen eine Textpassage von hoher inhaltlicher Relevanz zur Transkription vorzulegen, da ihnen dieser wichtige Textteil - zusätzlich zur akustischen Version des gesamten Textes - dann auch in schriftlicher Form vorliegt. Dieser Textteil kann den Prüflingen für die potentielle Beantwortung der weiteren Hörverständnisaufgaben eine gewisse Orientierung vermitteln. Eine solche Konzeption - die nicht illegitim ist, da die Prüflinge sich die beschriebene Hilfestellung durch die aktive Bearbeitung dieser Textpassage selbst verdient haben - kann besonders bei solchen Texten von Vorteil sein, die in ihrem Schwierigkeitsgrad oberhalb des sprachlichen Potentials der Prüflinge liegen und ihnen somit sprachliche Dimensionen eröffnen, die  ansonsten für sie weitgehend unerreichbar bleiben würden. Eine solche Prüfungskonzeption ist adressatenfreundlich, da sie die Prüflinge zur Ausschöpfung ihres sprachlichen Potentials anregt. 

Bei der Konzeption von Hörverstehensprüfungen ist es unbedingt zu vermeiden, solche Informationsbestandteile abzufragen, die dem inhaltlichen Grundtenor des Textes widersprechen. In Texten jedweder Art und Ausrichtung kann es durchaus vorkommen, dass sie solche Details enthalten, die der Gesamtaussage des Textes nicht vollkommen entsprechen oder dieser sogar entgegenstehen. Die Erfragung dieser Details würde bei den Prüflingen unweigerlich zu Konfusion führen - was die Textrezeption beeinträchtigen und zu einer erheblichen Leistungsminderung führen kann. Klausurkonzeptoren sollten auf diese Zusammenhänge achten.

Ebenso sollten Klausurkonzeptoren bei der Planung von Hörverstehenstests ausschließlich von der Hörfassung des die Prüfungsgrundlage darstellenden Textes ausgehen und nicht von dessen Transkription, falls eine solche vorliegt. Ansonsten könnte der Fall auftreten, dass sie nach solchen Details fragen, die auf der Grundlage der schriftlichen Textfassung zwar eindeutig zu beantworten sind, jedoch in der Hörfassung aufgrund gegebenenfalls auftretender akustischer Störquellen nicht eindeutig zu dekodieren sind. So trivial diese Feststellung erscheinen mag, so bedeutsam ist sie für die Prüfungspraxis: Klausurkonzeptoren sollten einen für eine Hörverstehensprüfung  in Frage kommenden Text vor Beginn der eigentlichen Arbeit der Klausurerstellung mehrmals gehört haben und exakt einzuschätzen in der Lage sein, wo dessen rezeptorische Schwierigkeiten liegen. Der Versuchung der Planung von Hörverstehensprüfungen ausschließlich auf der Basis gegebener Transkriptionen sollten sie nicht erliegen.

Die Testung des Hörverstehens erweist sich somit als eine hochgradig schwierige Aufgabe, die umfangreicher Planung und gründlicher Reflexion bedarf. Diese Feststellung gilt nicht minder für die Abprüfung des Leseverstehens. Mit solchen Prüfungsaufgaben, die prinzipiell für die Testung beider sprachlichen Fertigkeiten - des Lese- und des Hörverstehens - geeignet sind, wollen wir uns im Folgenden befassen.


6.4.2 Aufgaben zum Lese- und Hörverstehen

Da die Konzeption von Leseverstehensprüfungen und diejenige von Hörverstehensprüfungen - abgesehen von den in Kap. 6.4.1 behandelten Gesichtspunkten - im Wesentlichen gleich geartet sind, werden sie im vorliegenden Zusammenhang gemeinsam behandelt.  


6.4.2.1 Allgemeine Aspekte der Konzeption

Prüfungen zum Leseverstehen sind ebenso wie solche zum Hörverstehen durch ein Zusammenspiel zweier Faktoren charakterisiert, die zum einen den Prüfungstext und den ihm zugrunde liegenden Schwierigkeitsgrad und zum anderen die Prüfer-Prüfling-Relation betreffen. Zwar ergibt sich dieses Zusammenspiel auch für die Testung aller anderen sprachlichen Fertigkeiten, dennoch ist sie für diejenige des Leseverstehens - und ebenso für diejenige des Hörverstehens - in dem Sinne eine besondere, da gerade die Prüfer-Prüfling-Relation hier lediglich diffus vorhanden zu sein scheint; dieser Schein trügt jedoch. Dieses Faktum ist für die folgenden Ausführungen im Blick zu behalten.

Auch für die Konzeption von Lese- und Hörverstehensprüfungen ist die Problematik der Validität eine ganz zentrale. Konkret bedeutet dies, dass die Frage danach gestellt und schließlich positiv beantwortet werden sollte, ob die an einen Lese- oder einen Hörverstehenstext angelagerten Fragen und Aufgaben das prüfen, was geprüft werden soll, nämlich das Textverständnis. Die Problematik der Validität lässt sich mit Hilfe einer informellen und recht einfach durchzuführenden Voruntersuchung verhältnismäßig zielgenau operationalisieren. Diese Operationalisierung soll im Folgenden in allgemeiner Form exemplifiziert werden.

Die erste wesentliche, sich in diesem Zusammenhang stellende Frage ist diejenige, ob der für die Prüfung ausgewählte Lese- oder Hörverstehenstext einen Bezug zum prüfungsvorbereitenden Unterricht besitzt. Dieser Bezug kann ein thematischer oder ein sprachlicher sein. Ein thematischer Bezug zum prüfungsvorbereitenden Unterricht kann dabei als wünschenswert betrachtet werden, da eine Prüfung nicht vollkommen losgelöst vom zuvor erteilten Unterricht konzipiert werden sollte. Grundsätzlich zu begrüßen ist ebenso eine sprachliche Anbindung, da jegliche Prüfung zumindest in Teilen solche Inhalte zum Gegenstand haben sollte, die zuvor im Unterricht behandelt worden sind. Besonders in fachsprachlichen Prüfungen sind die Prüflinge darauf angewiesen, dass solches Fachvokabular abgeprüft wird, das zuvor im Unterricht behandelt worden ist, ansonsten wären sie angesichts der Komplexität der einzelnen Fächer im Allgemeinen vollkommen überfordert. Solche Prüfungen, in denen ein Bezug zum vorbereitenden Unterricht wie der hier beschriebene nicht gegeben ist, stellen die Prüflinge somit nicht nur vor prüfungsdidaktisch irrelevante Probleme, sondern sie weisen zudem einen erheblichen Mangel an Inhaltsvalidität auf. Betont werden soll an dieser Stelle jedoch, dass die Prüfungsinhalte und Prüfungstexte nicht (vollkommen) mit denjenigen identisch sein dürfen, die zuvor im Unterricht behandelt worden sind, da in einem solchen Falle sowohl der sprachliche als auch der fachliche Anspruch der Prüfung litte.  

Der Schwierigkeitsgrad des Lese- bzw. Hörverstehenstextes muss dem Lernniveau der Prüflinge angepasst sein. Die grundsätzliche Problematik der Feststellung des Schwierigkeitsgrades eines Textes bei der Konzeption von Klausuren ist ja bereits in Kap. 6.2.1 zum Ausdruck gekommen. Trotz der sich hier im Allgemeinen stellenden Probleme sollten Prüfer darauf bedacht sein, diese Anpassung von Textschwierigkeit und Lernniveau ihrer Prüflinge so exakt wie möglich vorzunehmen: Die möglichst hohe Übereinstimmung dieser beiden Variablen stellt nicht zuletzt eine conditio sine qua non für die zuverlässige Bewertung der Prüfungsleistungen dar.

Von Bedeutung ist zudem, ob der Prüfungstext zum Lese- bzw. Hörverstehen hinsichtlich seiner Länge in der vorgegebenen Zeit bewältigt werden kann. Wenn wir in Kap. 6.2.1 auch gesehen haben, dass Textlänge und Schwierig-keitsgrad als weitgehend unabhängige Kriterien zu betrachten sind, muss dennoch darauf geachtet werden, dass die Prüflinge nicht mit solchen textuellen Vorgaben konfrontiert werden dürfen, die jenseits der Grenze des-sen liegen, was sie bewältigen können. Zu kurze Texte sind als Prüfungstexte  ebenso wenig geeignet, da sie leicht zu einer Unterforderung der Prüflinge und somit ebenfalls zu nicht hinreichend validen Prüfungsergebnissen führen.  

Hinsichtlich der an einen gegebenen Prüfungsstext angelagerten Aufgabentypen sind weitere Qualitätsanforderungen zu stellen, auf die im Folgenden eingegangen werden soll.

Der sich in diesem Zusammenhang ergebende, erste Gesichtspunkt betrifft die hinreichende Varianz dieser Aufgabentypen. Hierbei ist von Bedeutung, dass nicht mehrere Fragen oder Aufgaben auf denselben inhaltlichen oder sprachlichen Teilbereich abzielen[32]. Nur unter dieser Bedingung ist gesichert, dass der gesamte Inhalt eines gegebenen Prüfungstextes abgedeckt wird. Von Bedeutung ist zudem, dass dabei sowohl Globalfragen als auch Detailfragen  mitberücksichtigt sind (vgl. Kap. 6.4.2.2.4 und 6.4.2.2.5).

Prüfungsdidaktisch ist von Bedeutung, dass in den Aufgabentypen unterschiedliche Handlungsformen berücksichtigt werden. Solche Handlungsformen[33] können sein:
·        Textzusammenfassung
·        Globalfragen
·        Detailfragen
·        True-False-Statements
·        Multiple-Choice-Aufgaben
·        Antwortmatrix.

Allgemein kann davon ausgegangen werden, dass die Abprüfung des Leseverstehens - wie auch diejenige des Hörverstehens - umso zuverlässig vonstatten geht, je mehr Handlungsformen den Prüflingen in Verbindung mit dem jeweiligen Text abverlangt werden. Nur durch die Berücksichtigung einer gewissen Variation an Handlungsformen wird gewährleistet, dass die Prüflinge nicht dadurch beeinträchtigt werden, dass sie mit einer solchen Handlungsform nicht zurechtkommen. Variation ist hierbei somit ein dringendes Desiderat.

Einen wichtigen, jedoch leicht zu übersehenden Punkt stellt die Frage dar, ob die an einen Prüfungstext zum Lese- bzw. Hörverstehen angebundenen Fragen von den Prüflingen auch dann beantwortet werden können, wenn sie den Text nicht hinreichend verstanden haben. Mit anderen Worten: Gibt es über den Text hinausgehende Quellen, die ebenfalls die Beantwortung der gestellten Fragen ermöglichen? Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn die Prüflinge die Fragen auf der Basis ihrer persönlichen Bildung - des so genannten ‚Weltwissens’ - beantworten können. Die Verwendung solcher Fragen ist im Allgemeinen nicht sinnvoll, da diese die Bewertung der Lese- bzw. Hörverstehensfertigkeit der Prüflinge nicht hinreichend zuverlässig ermöglichen. Prüfungsdidaktisch relevant können nur solche Fragen sein, die in direkter Linie aufgrund des Textverständnisses beantwortet werden können. Dieser Gesichtspunkt muss von den Prüfern unbedingt im Blick behalten werden. Stellen sie im Nachhinein fest, dass die gestellten Fragen nicht ausschließlich auf der Basis des Prüfungstextes beantwortbar sind, sollten sie diese Erkenntnis entsprechend in ihre Bewertung einfließen lassen.  

Sollen die Leistungen der Prüflinge entsprechend gewürdigt werden, ist die Forderung von Transferleistungen (vgl. hierzu auch Kap. 4.2.6) von erheblicher Bedeutung, da eine Transferleistung immer das Verständnis der-jenigen Sachzusammenhänge, auf die sie sich gründet, mit einschließt. Auf die Fertigkeiten Leseverstehen bzw. Hörverstehen bezogen, bedeutet dies, dass das Verständnis des zugrundeliegenden Textes eine wesentliche Voraussetzung für die Erbringung einer Transferleistung darstellt. Somit ist die Transferleistung der Königsweg jeglicher Lese- und Hörverstehensprüfung.

Ein für die Planung (nicht nur) von Lese- oder Hörverstehensprüfungen wichtiger Gesichtspunkt ist zudem derjenige, ob die Fragen und Aufgaben zum Prüfungstext eindeutig gestellt sind oder ob sie mehr als nur eine Antwort zulassen. Gemeint ist hier nicht so sehr die zwischen dem Prüfungstext und der Aufgabenstellung bestehende Inhaltsrelation als vielmehr die Art, in der die Prüfungsaufgaben formuliert sind. Von Bedeutung ist, dass sie hinreichend aussagekräftig sind. Ist diese Bedingung der Aussagekraft nicht gegeben, dann kann den Aufgabenstellungen keinerlei Diagnose-Erfolg innewohnen. Es ist prüferseitig also unbedingt auf eine präzise Formulierung zu achten, aufgrund derer die Prüflinge wissen, auf welche inhaltlichen Aspekte die Prüfungsaufgabe abhebt.

Von ebenso entscheidender Bedeutung ist die inhaltliche Beziehung zwischen einer gegebenen Aufgabenstellung und dem Prüfungstext selbst: Die Prüflinge müssen auf eindeutige Art und Weise auf diejenige Textpassage hingewiesen werden, auf die die jeweilige Prüfungsaufgabe sich bezieht. Ist diese Forderung nicht gegeben, so ist für die Prüflinge nicht klar erkennbar, auf welche inhaltlichen Aspekte in der Aufgabenstellung abgehoben wird, und folglich können sie die geforderte Leistung nicht adäquat erbringen. Dieser Bezug kann beispielsweise dadurch erfolgen, dass:
· bewusst Textteile, auf die die Frage sich bezieht, wörtlich in dieser wiederaufgegriffen werden,
·  die Prüfungsaufgaben in chronologischer Reihenfolge dargebracht werden und sich dann nur auf die entsprechenden, lokal definierten Textstellen beziehen können,
·   Lexeme aus dem korrespondierenden Textausschnitt in der Prüfungsaufgabe so deutlich durch entsprechende Synonyme ersetzt werden, dass die Prüflinge diese Strategie des Klausurkonzeptors unmittelbar erkennen und daraus schließen können, welche Textpassage gemeint ist.

Was jedoch auf jeden Fall zu vermeiden ist, ist es, die Frage aus einem unberechtigten Streben nach Eleganz so vom Prüfungstext abgehoben zu formulieren, dass dadurch ihr Bezug zu diesem dissimuliert wird. Ein solches Prüferverhalten wäre kontraproduktiv, da es mit der Gefahr einer Verwirrung der Prüflinge einherginge.

Auch an dieser Stelle konnten lediglich solche Gesichtspunkte erörtert werden, die relevante Grundfragen von Lese- bzw. Hörverstehensprüfungen abdecken, die jedoch bei weitem nicht mit Anspruch auf Vollständigkeit formuliert worden sind. Sie sind nicht mehr und nicht weniger als Anregungen für Prüfer und Prüferinnen, die sie in die Lage versetzen können, ihre eigenen Prüfungen effizienter zu gestalten, und die eine Reflexionsgrundlage für sie darstellen können, um ihre eigene Tätigkeit zu hinterfragen und immer weiter zu optimieren. Handelte es sich bei diesen Überlegungen um solche allgemeiner Art, so wollen wir uns im Folgenden mit den möglichen Vor- und Nachteilen bestimmter Typen von Prüfungsaufgaben zum Lese- bzw. Hörverstehen befassen.



6.4.2.2 Vor- und Nachteile von Aufgabentypen zum Lese-  und Hörverstehen

Die wichtigsten Aufgabentypen zum Lese- bzw. Hörverstehen weisen durchaus unterschiedliche Vor- und Nachteile auf, die im Folgenden kurz zu beschreiben sind. Die Gliederung erfolgt um einer besseren Übersicht willen anhand der Aufgabentypen selbst:

  • Antwortmatrix
  • True-False-Statements
  • Multiple-Choice-Aufgaben (als Beispiel für Ankreuzungsaufgaben)
  • Detailfragen
  • Globalfragen und
  • Zusammenfassung (summaryrésumé oder resumen).

Diese stellen natürlich nicht alle Aufgabentypen dar, die zum Lese- bzw. Hörverstehen vorstellbar sind. Es sind jedoch diejenigen, die gegenwärtig in der Prüfungspraxis vorherrschen und daher die größte Bedeutung aufweisen.


6.4.2.2.1  Antwortmatrix

Die Antwortmatrix ist nicht auf jeden beliebigen Lese- oder Hörverstehenstext anwendendbar, sondern lediglich auf bestimmte Typen von Texten[34]. Man kann sie sich in anschaulicher Weise als Konstellations-Zuordnungsaufgabe vorstellen: Von den Prüflingen sind hinsichtlich solcher Texte, für die dies möglich ist, bestimmte Konstellationen herauszuarbeiten, die dann als gültige Zuordnungen in das Formular einer Antwortmatrix einzutragen sind. Diese Konstellationen können die zwischen bestimmten Personen und bestimmten Sachen bestehenden Verbindungen sein, etwa in dem Sinne, welche Gegenstände einer gegebenen Auswahl bestimmter, miteinander interagierender Personen gehören. Ebenso ist denkbar herauszuarbeiten, welche Örtlichkeiten diese Personen aufsuchen. Auf einer abstrakteren Ebene ist vorstellbar, die Prüflinge herausarbeiten zu lassen, welche Argumente diese Personen in einer Diskussion vertreten. Die Eintragung dieser Konstellationen in der Antwortmatrix erfolgt entweder durch Ankreuzen oder durch die Vergabe von Plus- bzw. Minuszeichen, die die Gültigkeit bzw. Nichtgültigkeit der einzelnen Relationen symbolisieren. Visuell erscheint die Antwortmatrix dann in folgender Form:

Beispieltext[35]:

Peter was planning his next business trip. Actually his boss wanted him to go to Birmingham first, but then he decided that it be Edinburgh. When talking to his secretary Mary, Peter found that it would even be better to go to London first because his meeting there would be more promising for realising his present project. Therefore, he sent Mary to Edinburgh because she could represent him there. Jane, who was Peter’s colleague, actually was to go to Dublin since she had an important meeting there, but she then decided to accompany Peter to Edinburgh. When Peter, however, decided that he would travel to London, she thought it might be better to head for Birmingham because the project she had to do there was even more urgent than the one she had in Dublin. Besides, it could contribute to boosting her Dublin project even more. Therefore, she sent Linda, her secretary, to Dublin to represent her there although Linda had first been scheduled to go to Birmingham. This solution was the best for all of them.

Frage in Verbindung mit einer Antwortmatrix:
Which cities were these people travelling to? Establish the relationships between them and their destinations.




London


Birmingham

Edinburgh

Dublin

Peter

X





Mary



X



Jane


X




Linda




X



Unter Verwendung von Plus- und Minuszeichen ergibt sich für dieselbe Aufgabenstellung folgendes Bild:





London


Birmingham

Edinburgh

Dublin

Peter


+

-

-

-

Mary

-


-

+

-

Jane

-


+

-

-

Linda

-



-

-

+


Die Vorteile der Antwortmatrix liegen in den folgenden Gesichtspunkten:

·    Leicht zugängliche Erstellung der einzelnen Aufgaben:
Es ist intellektuell und auch hinsichtlich des zeitlichen Aufwandes weitgehend unproblematisch, eine Antwortmatrix für einen gegebenen Lese- oder Hörverstehenstext zu erstellen.

·    Einfache Korrektur:
Die Korrektur von Antwortmatrix-Aufgaben erfolgt sehr rasch, wobei zur Optimierung der Korrekturgeschwindigkeit mit einer Antwort-schablone gearbeitet werden kann. Der Korrektor braucht sich daher nicht bei jedem Korrekturvorgang erneut die gestellte Frage zu vergegenwärtigen. Die Korrektur erfordert keine intellektuelle Leistung, sie kann sogar auf zuverlässige Weise von einer nicht geschulten Person durchgeführt werden, die nicht mit dem Prüfer identisch ist. Diese Zusammenhänge sind besonders für die Bewältigung großer Populationen von Prüflingen von Bedeutung.

·   Eindeutigkeit in der Korrektur:
Bei der Antwortmatrix ergeben sich - unter der Bedingung, dass der Prüfungskonzeptor keine prinzipiellen Fehler gemacht hat - im Allgemeinen keine Zweifelsfälle: Die vom Prüfer erwarteten und vom Prüfling entsprechend markierten Antworten sind eindeutig. Es gibt somit keine Grauzone von gerade noch richtigen oder bereits falschen Antworten.

Als Nachteile der Antwortmatrix können die folgenden Aspekte gelten:
·   Erhebliche inhaltliche Beschränkung:
Die Antwortmatrix ist nur auf solche Texte anwendbar, bei denen bestimmte Konstellationen der beschriebenen Art versprachlicht werden. Bei Prüfungen zum Lese- bzw. Hörverstehen kommt zudem hinzu, dass die einzelnen Relationen, die beispielsweise zu Personen und Örtlichkeiten erstellt werden sollen, nicht zu trivial sein dürfen. In einem solchen Falle hätte die Prüfung kaum Aussagekraft.

·   Rezeptives Lösungsverhalten der Prüflinge:
Die Lösung von Antwortmatrizen erfordert von den Prüflingen keinerlei sprachliche Produktion. Sie lösen die einzelne Aufgabe rein rezeptiv - aufgrund des Gelesenen oder Gehörten - und sind nicht dazu gezwungen, sich aktiv zu äußern. Die Antwortmatrix ist somit ausschließlich als Aufgabentyp zur Identifikation gegebener Informationen verwendbar; ein Enkodierungspotential zur Abprüfung aktiver Sprachfertigkei-ten unterliegt ihr hingegen nicht.

·   Voraussetzung logischen Denkens:
Die Bewältigung einer Antwortmatrix setzt bei den Prüflingen - über das eigentliche sprachliche Verständnis des jeweiligen Textes hinaus - ein gewisses Maß an logischem Denken voraus. Solche Studierenden, die mit der Lösung von Denksportaufgaben vertraut sind und die Bewältigung logischer (Ausschluss)Operationen gut beherrschen, haben bei diesem Aufgabentyp somit Vorteile.

Ist man sich als Prüfer jedoch über die Nachteile der Antwortmatrix bewusst und wendet diesen Aufgabentyp unter Berücksichtigung dieser an, dann erweist sie sich als bisweilen durchaus attraktiv.






[1] Vgl. zu dem Problem der Authentizität in Sprachprüfungen allgemein auch Lewkowicz (2000: 43ff). Zur Authentizität im fachsprachlichen Testen und Prüfen vgl. Douglas (2001).
[2] Sprachlehrinstitute sind vorwiegend solche Hochschuleinrichtungen, die Studierenden die Möglichkeit eröffnen, an extracurrikularen Sprachkursen teilzunehmen und Sprachprüfungen zum Zwecke der persönlichen Weiterqualifikation abzulegen. Unsere Reflexionen beziehen sich jedoch auf jegliche Institution, die Fremdsprachenunterricht und Fremdsprachenprüfun-gen anbietet.
[3] Die erwähnte Realitätsferne tritt in mannigfaltigen Formen bisweilen ebenso in Abiturprüfungen wie in akademischen Abschlussprüfungen des tertiären Bildungswesens auf.
[4] Für Hintergrundinformationen zum Leseverstehen allgemein vgl. Wallace (1992), Krashen (1993), Silberstein (1994), Nutfall (1995), und Day / Barnford (1998).
Zum Leseverstehen als Lernziel vgl. beispielsweise Bernstein (1990) Groeben / Hurrelmann (2006), Lutjeharms (1992) und (1994), Zimmermann / Plessner (1998: 265ff) sowie mit Blick auf praktische Übungen im Fremdsprachenunterricht, die partiell natürlich ebenso für Prüfun-gen verwendbar sind, Stiefenhöfer (1995: 246ff).
[5] In diesem Zusammenhang wäre es interessant, empirisch festzustellen, ob längere Texte generell zu einem höheren Schwierigkeitsgrad und kürzere Texte entsprechend zu einem niedrigeren Schwierigkeitsgrad tendieren. Unseres Wissens nach existiert eine solche Untersuchung bisher nicht. Erst wenn eine ausgeprägte Korrelation von Textlänge und Schwierigkeitsgrad auf linguistischer Basis empirisch abgesichert festgestellt werden kann, ist es möglich, eine Beziehung zwischen beiden Parametern - also zwischen der Textlänge einerseits und dem linguistischen Schwierigkeitsgrad von Texten andererseits - auszugehen.
[6] Vgl. für das mit dieser Stufe korrellierbare UNIcert-Niveau III (TUDIAS 2009: 19).
[7] Da bei computergeneriertem Layout eine jeweils höchst unterschiedliche Textmenge auf einer gegebenen Seite platziert werden kann und Letztere dann nicht mehr als quantitative Orientierungsgröße dienen kann, werden hier Schreibmaschinenseiten als Vergleichsgröße gewählt, die - auf das Computer-Layout übertragen - in etwa der Schriftart Times New Roman in der Schriftart 12 Punkt bei 65 bis 70 Anschlägen pro Zeile und ungefähr 35 Zeilen pro Seite entsprechen.
[8] Vgl. hierzu auch die Ausführungen weiter oben in diesem Abschnitt.
[9] Eine fachsprachliche Zertifikatsprüfung – wie beispielsweise im UNIcert-Ansatz - besteht aus einer Klausur einer Länge von dreieinhalb Stunden. Diese enthält einen wie oben beschriebenen Leseverstehenstext, einen Aufsatz zu einem fachsprachlichen Thema, einen Hörverstehenstext und einen Prüfungsteil zur Fachterminologie. Die gesamte Prüfung besteht - zusätzlich zu dieser Klausur - aus einer dreißigminütigen mündlichen Prüfung zuzüglich einer Vorbereitungszeit von ebenfalls dreißig Minuten.
[10] Vgl. für das Französische hier in Bezug auf Gerichtsurteile Krefeld (1985 )und im Hinblick auf juristisch-administrative Textsorten Tinnefeld (1993).
[11] Wir gehen hier von der Verwendung eines einsprachigen Wörterbuches aus, da nur dieser Wörterbuchtyp aufgrund seines aktiven Charakters als Schreibwörterbuch in Fremdsprachenprüfungen zum Einsatz kommen sollte.
[12] Es muss vielmehr dem auf eine Prüfung vorbereitenden Unterricht vorbehalten bleiben, den Studierenden deutlich zu machen, welche Lücken sie in ihrem mentalen Lexikon in Zukunft noch zu schließen haben.
[13] Dabei lassen wir hier dasjenige Vokabular außer Acht, das im prüfungsvorbereitenden Unterricht erarbeitet worden ist
[14] In diesem Zusammenhang sei auf die im Buchhandel erhältlichen Grundwortschätze für die Weltsprachen verwiesen. Um den Eindruck - wissenschaftlich unlauterer - Werbung zu vermeiden, geben wir hier bewusst keine Literaturhinweise an.
[15] Vgl. mit Blick auf die Rezeption fachsprachlicher Texte im weitesten Sinne auch Christ-mann / Groeben (2006: 150ff).
[16] Wir beziehen uns natürlich im vorliegenden Zusammenhang nicht auf solche Prüfungsteile, die - etwa im Sinne von Zuordnungsaufgaben - der ausschließlichen Testung der Terminologie eines gegebenen (Teil)Faches gewidmet sind. Wir beziehen uns vielmehr auf die ganzheitliche Prüfung der Fachterminologie in entsprechend ausgerichteten Texten.
[17] Aus Gründen der Diskretion werden die hier angesprochenen Zeitungen und Zeitschriften nicht explizit genannt. Es soll im gegebenen Zusammenhang zudem betont werden, dass sie für den fremdsprachlichen Lernprozess wichtige Funktionen erfüllen und ihre Existenz daher zu begrüßen ist. Lediglich für die Auswahl von Prüfungsmaterialien sind sie weniger gut geeignet als authentische Medien im eigentlichen Sinne.
[18] Vgl. zum Leseverstehensunterricht ergänzend auch Pressley (2006).
[19] Vgl. hierzu die in Kap. 6.2.4 formulierten Bedingungen, die auch im vorliegenden Zusammenhang gelten.
[20] Zum Hörverstehen allgemein vgl. z.B. Ur (1984), Rost (1993), Underwood (1994) und Anderson / Lynch (1995). Zum Hörverstehen in seinen unterschiedlichen Ausprägungen vgl. auch Dirven (1992: 249) und Gob (2002: 185ff). Hinsichtlich der Überprüfung des Hörverstehens auf fortgeschrittenem Niveau vgl. Solmecke (1999: 313ff).
[21] Die geschilderte Situation kann an allgemeinbildenden Schulen im Einzelfall durchaus eine andere sein.
[22] Hinsichtlich eines interessanten Ansatzes der Verwendung authentischer Hörverstehenstexte auf einer relativ frühen Stufe der Fremdsprachenaneignung und eines Plädoyers für die Verwendung ebensolcher Texte im Unterricht vgl. Da Forno (1994) für das Italienische. Werden mehr authentische Hörverstehenstexte im Fremdsprachenunterricht verwendet, eröffnen sich allein dadurch ungeahnte Möglichkeiten, diese auch für Hörverstehensprüfungen zu nutzen.
[23] Wir beziehen uns mit den Begriffen OberstufeMittelstufe und Grundstufe hier in etwa auf die UNIcert-Stufen III, II und I.
[24] Die Notation (e) soll hier als Ersatz für den Schwa gelten, da dieses Symbol sich nicht im uns zur Verfügung stehenden Word-Zeichensatz befindet.
[25] Diese Aussage gilt natürlich nur unter der Bedingung, dass die Hörverstehensfertigkeit im prüfungsvorbereitenden Unterricht auch intensiv geübt worden ist.
[26] Jegliche - und besonders mündliche - Kommunikation zeichnet sich durch ein mehr oder minder hohes Maß an Redundanz, also den mehrfachen Ausdruck ein und desselben Informationbestandteiles, aus, durch das die Enkodierung und Dekodierung von Informa-tionen abgesichert wird. Redundanzen tragen somit maßgeblich zum Gelingen sprachlicher Kommunikation bei, da sie es den interagierenden Partnern ermöglichen, unverstanden gebliebene Elemente durch solche zu kompensieren, die den gleichen Sachverhalt nochmals ausdrücken. Redundanzphänomene sind prinzipiell auf allen linguistischen Ebenen zu finden - von der Phonetik über die Lexik, die Semantik, die Syntax bis hin zu Pragmatik und Textualität sprachlicher Äußerungen.
[27] Vgl. zu einer Möglichkeit der Ausgrenzung fachsprachlicher Textsorten auch Tinnefeld (1993: 49ff).
[28] Vgl. mit Blick auf Übungen zum Hörverstehen allgemein auch Schumann (1995a: 244ff).
[29] Vgl. zum theoretischen Hintergrund der Erstellung von Multiple-Choice-Aufgaben auch Haladyna et al. (2002) und Rodriguez (2005).
[30] Vgl. zum Diktat als Testinstrument ergänzend auch Macht (1997: 109ff).
[31] Bei den mots phonétiques werden ganze Sinnelemente, die jeweils aus mehr als einem Wort bestehen, jedoch bis an die Satzebene heranreichen können, zu einem einzigen aussprachebasierten Element zusammengefasst.
[32] Eine Ausnahme zu dieser Vorgabe ist dann gegeben, wenn eine Frage als Kontrollfrage konzipiert ist: In einem solchen Falle muss sie sich auf Inhalte beziehen, die bereits durch eine andere Frage abgedeckt werden.
[33] Wir sind uns dessen bewusst, dass der Begriff Handlungsformen - auf den Unterricht bezo-gen - gemeinhin anders verwendet wird, sind jedoch der Meinung, dass er ebenfalls auf Prüfungssituationen anwendbar ist - und zwar in der Weise, in der dies hier geschieht.
[34] Mit diesem Begriff meinen wir im gegebenen Zusammenhang nicht das Phänomen Textsorte.
[35] Es handelt sich um einen für den gegebenen Zusammenhang konstruierten, eigenen Beispieltext.