9 Abschließende Bemerkungen und Ausblick

Aus den Reflexionen, die wir in den vorhergehenden Kapiteln angestellt haben, ist deutlich geworden, dass die Umsetzung prüfungsdidaktischer Erkenntnisse im Einzelfall nicht einfach ist. Gleiches gilt für die von uns vorgebrachten Empfehlungen. Es ist ebenso deutlich geworden, dass die hier behandelten Gesichtspunkte in ihrer Gesamtheit eine beachtliche Faktorenkomplexion repräsentieren und dass es manchem Prüfungskonzeptor nahezu unmöglich erscheinen mag, eine „ideale“ Prüfung durchzuführen, also beispielsweise eine „ideale“ Prüfungsklausur zu erstellen bzw. eine „ideale“ mündliche Prüfung abzunehmen.

Dieser Eindruck, der nach der Lektüre der vorliegenden Arbeit nahezu unweigerlich entstanden sein dürfte, ist jedoch nicht der von uns intendierte: Ziel kann es nicht sein, in jedem einzelnen Falle und in jedem einzelnen Durchgang eine „perfekte“ Prüfung zu kreieren. Dieses Ziel wäre ein entmutigendes und eines, das dazu führen würde, dass sich selbst nach der Lektüre dieser Publikation in der Prüfungspraxis nichts ändern würde, weil jeglicher Klausur- oder Prüfungskonzeptor durch einen solch hohen Anspruch abgeschreckt würde. Ziel kann es vielmehr nur sein, sich Schritt für Schritt - von konzipierter Klausur zu konzipierter Klausur, von Prüfungsjahrgang zu Prüfungsjahrgang - dem hier vorgestellten Idealbild anzunähern und nicht die noch unerfüllten Forderungen als negativ anzusehen, sondern jeden einzelnen - noch so kleinen - Schritt in die richtige Richtung positiv zu bewerten. Aufgrund einer solchen Einstellung wird es jeder Klausurkonzeptorin, jedem Klausurkonzeptor, möglich sein, ihr bzw. sein eigenes Prüfungsverhalten, ihren bzw. seinen eigenen Überblick über abzuprüfende Aspekte oder Details zu optimieren und somit die eigene Prüfungspraxis zu verbessern. Und lediglich darum kann es gehen: um eine Verbesserung der Prüfungspraxis, wobei unsere Reflexionen nicht als autoritäre - gleichsam mit erhobenem Zeigefinger umzusetzende - Forderungen angesehen werden dürfen, sondern vielmehr als Empfehlungen, die Prüfer und Prüferinnen partnerschaftlich ermutigen sollen, ihre Arbeit konstruktiv zu hinterfragen und dabei immer weiter zu optimieren.

Wichtig dabei ist - und auch hierzu mögen die Fremdsprachenprüfer ermutigt werden -, die eigenen Erfahrungen mit Kolleginnen und Kollegen zu besprechen, so dass diese die Möglichkeit haben, davon zu profitieren und sie in ihre eigene Prüfungstätigkeit einzubeziehen, so dass sich letztendlich von Prüfergeneration zu Prüfergeneration Fortschritte erzielen lassen.

In diesem Sinne sei die vorliegende Arbeit als Hilfestellung verstanden. Sie hat Empfehlungscharakter - und dies auf ausschließlich konstruktiver Ebene.

Zugleich ist deutlich geworden, dass das Fach Prüfungsdidaktik eine hohe Aktualität besitzt und die vorliegende Arbeit eine in der Wissenschaftslandschaft bisher klaffende Lücke zu schließen ansetzt.

Es ergibt sich als dringendes Desiderat, dieses neue Fach im Auge zu behalten und intensiv in seiner Entwicklung voranzutreiben. Dabei wird es in einem ersten Schritt notwendig sein, die Prüfungsdidaktik in den modernen Philologien und den modernen Fremdsprachen  flächendeckend anzuwenden und weiter zu vertiefen. In einem zweiten Schritt wird es notwendig werden, unsere auf die modernen Fremdsprachen bezogene Arbeit zunächst auf andere geisteswissenschaftliche Disziplinen auszuweiten und dann auf weitere Fachgebiete auszudehnen und zu überprüfen, welche der von uns behandelten Gesichtspunkte auf diese übertragbar, in diesen anwendbar sind, und in welchen Bereichen der Prüfungspraxis dort Ergänzungen und Erweiterungen notwendig werden. Daran anschließen wird sich eine immer größere Verbreitung der auf diese Weise initiierten prüfungsdidaktischen Denkweise, so dass in Zukunft - so unsere Hoffnung - nahezu keinerlei Prüfungen mehr geplant und durchgeführt werden, die vordringlich von ad hoc-Entscheidungen der Prüferinnen und Prüfer bestimmt werden.

In diesem Sinne hoffen wir, mit der vorliegenden Arbeit und unserem Anliegen der weiteren Fundierung des Faches Prüfungsdidaktik einen Anstoß sowohl zu tiefergehenden wissenschaftstheoretischen als auch zu konkreten prüfungspraktischen Reflexionen gegeben zu haben.

In unseren Ausführungen dürfte zudem deutlich geworden sein, dass das Fach Prüfungsdidaktik von großer Notwendigkeit und hoher Dringlichkeit ist. Wenn hier auch ein großer Schritt in Richtung auf eine exakte Absteckung und weitere Grundlegung hin erfolgt ist, so bedeutet dies nicht, dass die Arbeit in dieser Disziplin damit abgeschlossen ist - ganz im Gegenteil: Sie beginnt nun erst. Die nunmehr zu leistende Arbeit ist auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelt, die im Folgenden kurz skizziert werden sollen.

Es wird nunmehr notwendig sein, die Prüfungsdidaktik erfolgreich zu propagieren und ihren Bekanntheitsgrad zu steigern. Dies kann auf verschiedenen Ebenen geschehen. Zum einen dadurch, dass dieses Fach in weiteren Publikationen und Vorträgen noch bekannter gemacht wird. Dazu ist es notwendig, dass die Überzeugung von der Notwendigkeit dieses Faches von der Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen geteilt und aus dieser Motivation heraus weiter verbreitet wird. Diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die dieses Fach ebenfalls als essentiell empfinden, sollten daher ihrerseits darüber publizieren und dadurch den wissenschaftlichen Diskurs, den wir hiermit angestoßen haben, fortsetzen und vertiefen.

Es wäre somit von Vorteil, wenn die Prüfungsdidaktik nicht nur im Rahmen der fremdsprachlichen Philologien propagiert würde, sondern auch im Bereich der philologischen Sprachpraxis und im Rahmen von UNIcert®, und wenn auf diese Weise die Bereiche, die die vorliegende Monographie abdeckt, in Kontinuität und stetiger Vertiefung bearbeitet würden. Wenn diese Arbeit geleistet werden könnte, wäre dies ein beachtlicher Erfolg.

An dieser Stelle sei nochmals darauf hingewiesen, dass der Bereich der modernen Fremdsprachen nur ein Feld darstellt, auf dem geprüft wird. Die hier durchgeführte Analyse kann auf dem Hintergrund des gegenwärtigen Forschungsstandes für diesen Bereich als durchaus gründlich betrachtet werden. Zudem ist sie von exemplarischem Charakter für die übrigen Wissenschaften. Es wird somit notwendig sein, dass die Prüfungsdidaktik im Hinblick auf die übrigen Wissenschaften beschrieben und ihre unterschiedliche Ausprägung in ihnen herausgearbeitet wird. Erst dann wird der Prüfungsdidaktik die Basis zuteil werden, deren sie bedarf, um eine wirklich umfassende Disziplin zu werden.

Wenn dieser Schritt vollzogen worden ist, werden politische Schritte notwendig werden, um die Prüfungsdidaktik im Fächerkanon der Hochschulen zu implementieren: Es wird notwendig werden, an deutschen Hochschulen Professuren zu schaffen, die die Rahmenbedingungen für weitere prüfungsdidaktische Forschungstätigkeit abgeben. Die Schaffung dieser Stellen ist jedoch nicht nur für die Forschung von Bedeutung, sondern auch für die Vermittlung von Prüfungsfähigkeit und Prüfungsfertigkeiten: Zur langfristigen Verbesserung unseres Bildungssystems ist es von dringlicher Notwendigkeit, Prüfer auszubilden, die diese Bezeichnung auch verdienen - Hochschuldozenten und Lehrer an Schulen, die ihre Schüler und Studenten nicht nur in ihrem Unterricht, sondern auch in jeglicher Prüfungssituation begleiten und sie durch diese hindurch geleiten - und dies auf hoher fachlicher und ebenso auf akzeptabler menschlicher Ebene.

Solche Prüferinnen und Prüfer, die ihre Arbeit auf qualitativ hochwertige Weise erledigen, gibt es jedoch nicht umsonst: Sie müssen ausgebildet werden. Diese Ausbildung findet bislang in Deutschland nicht statt. Hier institutionelle Veränderungen vorzunehmen, ist von essentieller Bedeutung für die Qualität(ssteigerung) unseres Bildungssystems. Diese Bedeutung muss in Zukunft klarer erkannt und auch praktisch umgesetzt werden.

Zur Koordinierung der unterschiedlichen, in Angriff zu nehmenden Aktivitäten und Maßnahmen wird es notwendig sein, an einer deutschen Hochschule ein Zentrum für Prüfungsdidaktik einzurichten. Hier können alle Projekte, die mit diesem neuen Fach in Zusammenhang stehen, angemeldet und ausgewertet werden. Auf diese Weise wird es nicht nur möglich, einen Überblick über die Entwicklung dieses neuen Faches zu erlangen und zu behalten, sondern es wird ebenso möglich sein, Forschungslücken zu identifizieren und deren systematische Füllung anzustreben. Eine zentrale Funktion, die diesem Zentrum ebenfalls zukommen wird, liegt darin, als eine Anlaufstelle für praktizierende Dozenten und Lehrer zu fungieren, die spezielle Fragen zu Prüfungen in ihrem Arbeitsumfeld haben. Dieses kann sich sowohl auf die Schule als auch auf die Hochschule beziehen. Auf diese Weise wird es möglich sein, Prüfungen - zwar kleinschrittig, aber dafür stetig - zu verbessern und einer praktischen Vervollkommnung zuzuführen. Zusätzlich zu den bestehenden wissenschaftlichen Texten zur Prüfungsdidaktik wird sich somit auch eine menschliche Ebene ergeben, auf der Prüfungsprobleme im persönlichen Gespräch oder im personalisierten Schriftverkehr (E-Mail) einer Lösung zugeführt werden können.

Doch auch an dieser Stelle wird die theoretische Auseinandersetzung mit diesem Fach nicht aufhören. Hier wird sie vielmehr erst nachhaltig einsetzen. Dabei spielt die Vorantreibung neuer und innovativer Forschung eine zentrale Rolle. Ist diese Forschung erst multilateral initiiert, so wird sich eine Eigendynamik ergeben, die kaum mehr zu stoppen sein dürfte. Dabei wird von grundsätzlicher Bedeutung sein, dass die Wichtigkeit der Prüfungsdidaktik generell erkannt und in Handlung umgesetzt wird. Zu diesem Prozess beizutragen, ist eines der Ziele der vorliegenden Monographie: Mit ihr soll ein neuer, ein weiterer Impuls dafür gegeben werden, das Fach Prüfungsdidaktik nachhaltig zu implementieren, wobei natürlich davon ausgegangen werden muss, dass dieser Prozess eher in Jahrzehnten als in Jahren vonstatten gehen wird. Die vorliegende Arbeit soll somit nicht zuletzt ein weiterer Tropfen sein, der den sprichwörtlichen Stein höhlt. Dass dieser Prozess ein Höchstmaß an Ausdauer und Durchhaltevermögen sowie an Geduld erfordert, ist nichts anderes als eine realistische, jedoch auf lange Sicht fruchtbringende Erkenntnis.