5.1 Allgemeine Bemerkungen
Im vorliegenden Kapitel geht es darum aufzuzeigen, welche Rolle die
Prüfungsdidaktik im Bereich der fremdsprachlichen Philologien spielt. Es wird
unter anderem die Frage zu stellen sein, welche Typen von Prüfungen in den
einzelnen Gebieten zur Anwendung kommen, welche prüfungsdidaktischen Kriterien
darauf angewendet werden bzw. angewendet werden sollten und in welcher Weise
Verbesserungen der gegebenen Prüfungssituation vorgenommen werden können. Es
geht also um eine Bestandsaufnahme der gegebenen Situation und um die
Aufzeigung von Potentialen, die diese Situation effizienter zu gestalten
verhelfen mögen.
Dabei sind vordringlich die folgenden Fragen zu klären:
· Wie sieht die
Relation zwischen der wissenschaftlichen Ausrichtung der jeweiligen
philologischen Teildisziplin einerseits und der prüfungsdidaktischen Umsetzung
andererseits aus? Diese Frage bezieht sich auf die Möglichkeit der Abprüfung
von Lerninhalten durch geeignete Prüfungstypen. Nicht jeder Inhalt ist durch
den gleichen Prüfungstyp gleichermaßen gut zu erfassen: Nach unserer Auffassung
existieren Affinitäten zwischen Inhalten und Prüfungstypen. Welche Typen sind
für welche Inhalte wünschenswert?
· Wie sehen
Prüfungen in dem jeweiligen philologischen Teilfach - Linguistik,
Literaturwissenschaft, Fachdidaktik und Landeswissenschaften - in der Realität
aus? Entsprechen diese den soeben erwähnten, wünschenswerten Prüfungstypen?
Wenn ja, dann stellt dieser Befund ein positives Ergebnis dar. Wenn nein, dann
wird danach zu fragen sein, wie sich die gegebene Situation verbessern lässt.
· Ist das
jeweilige Teilfach in den Rahmen der Prüfungsdidaktik integrierbar oder -
umgekehrt gefragt - lassen sich prüfungsdidaktische Kriterien auf dieses Fach
anwenden und - wenn ja - wie? Diese Frage zielt darauf ab, die inhaltliche
Bandbreite der Prüfungsdidaktik abzustecken und auf diese Weise ihre Bedeutung
als wissenschaftliche Disziplin zu beschreiben und zu bewerten.
· Was haben
Prüferinnen und Prüfer in dem jeweiligen Teilfach zu beachten, wollen sie
prüfungsdidaktisch sauber und erfolgreich agieren? Welche Anforderungen werden
in der Praxis an sie gestellt und welche Anforderungen könnten in Zukunft an
sie gestellt werden?
Im vorliegenden Kapitel wird zudem deutlich werden, in welchem Ausmaß
die Prüfungsdidaktik auch politische Implikationen aufweist, die in direktem
Zusammenhang mit den Entscheidungen der Kultusministerien stehen können. Dies
gilt in erster Linie auf nationaler Ebene, kann sich jedoch ebenso gut auf die
internationale Ebene erstrecken.
So stellt der Bologna-Prozess einen tiefen Einschnitt in bestehende
Lehr- und Prüfungspraktiken dar. Auf diesen Gesichtspunkt soll eingegangen
werden, bevor wir uns mit den einzelnen philologischen Prüfungstypen im Detail
beschäftigen.
Der im Jahre 1999 von 29 europäischen
Nationen initiierte Bologna-Prozess verfolgt das Ziel der Schaffung eines einheitlichen
europäischen Hochschulraumes. In der Bologna-Deklaration wird im Wesentlichen die
Absicht formuliert:
- ein System leicht verständlicher und vergleichbarer Abschlüsse zu kreieren,
- ein zweistufiges System von Studienabschlüssen (undergraduate (= Bachelor) / graduate (= Master)) zu schaffen,
- ein Leistungspunktesystem (nach dem ECTS-Modell) einzuführen,
- die Mobilität durch Beseitigung von Mobilitätshemmnissen zu fördern,
- die europäische Zusammenarbeit im Bereich der Qualitätssicherung zu verbessern und
- die europäische Dimension in der Hochschulausbildung zu befördern
(vgl. Bundesministerium
für Bildung und Forschung 2008).
Diese Ziele resultieren in der Praxis nicht zuletzt darin, Studienpläne
und Studienordnungen formal zu vereinheitlichen. Abschlussprüfungen sind durch
diesen Prozess weitgehend abgeschafft und durch eine Art Leistungsakkumulation
(vgl. ECTS-Punkte) ersetzt worden. Ein wesentlicher Vorteil dieses Systems ist
evident: Die Studierenden unterliegen nicht länger einer Abschlussprüfung (pro
Fach), die den Großteil des gesamten Studienerfolgs determiniert. Nach dem
traditionellen und noch an zahlreichen deutschen Hochschulen verwendeten System
konnte (bzw. kann immer noch) die Tagesform eines Studierenden den gesamten
Studienerfolg maßgeblich beeinflussen. Die traditionellen Abschlussprüfungen
waren (bzw. sind immer noch) punktuell und spiegel(te)n nicht hinreichend exakt
die Leistungen der Studierenden durch ihre gesamte Studienzeit hindurch wider -
es sei denn, ihre Professoren dokumentierten diese privat für sich und aus
eigener Initiative, was jedoch den Ausnahmefall darstellte und in der Regel auf
sehr engagierte Lehrende beschränkt war. Das gesamte traditionelle Prüfungssystem
war (ist zum Teil noch) auf Punktualität ausgerichtet.
Ein unbestreitbarer Nachteil[1]
der neuen Bachelor- und Master-Studiengänge liegt darin, dass der früher auf
Tiefgründigkeit zielende Leistungsaspekt insgesamt zugunsten eines eher
quantitativen Ansatzes zurückgeschraubt worden ist, innerhalb dessen - gleichsam in Ersetzung reflektorischer Tiefe - eine vorgegebene Zahl an Punkten
gesammelt wird. Die Studierenden haben insgesamt ein Mehr an Einzelprüfungen
abzulegen, diese weisen jedoch weniger typologische Vielfalt auf als nach dem
traditionellen System: So werden gegenwärtig häufig dort, wo früher Seminararbeiten
verlangt wurden, Klausuren geschrieben. Die Quantität der Ableistung von
Prüfungen steht somit tendenziell über der Qualität von Prüfungsleistungen. In
diesem Zusammenhang existieren insgesamt mehr Prüfungen auf Seminarebene, dabei
sind jedoch die Abschlussprüfungen drastisch reduziert bzw. gänzlich
abgeschafft worden. Im Lehramtsbereich der Philologien - und nicht nur dort -
wurde jedoch die Schriftliche Hausarbeit im Staatsexamen
(gemeinhin „Staatsarbeit“ genannt) beibehalten und die Masterarbeit (auch Master-Thesis genannt) eingeführt,
die in Anspruch und Umfang mit jener vergleichbar ist.
Die gesamten Veränderungen, die durch den Bologna-Prozess induziert
worden sind bzw. weiterhin induziert werden, können an dieser Stelle nicht
aufgezeigt werden. Es zeigt sich jedoch bereits hier, dass sie tiefgreifende
Auswirkungen auf die Prüfungsdidaktik haben und weiterhin haben werden. In den
nun folgenden Ausführungen zu den einzelnen Prüfungstypen werden wir im
Bedarfsfalle auf diese Entwicklungen eingehen. Wichtig ist es dabei jedoch, im
Blick zu behalten, dass wir uns gegenwärtig in einem Umstrukturierungsprozess
befinden, der nicht nur höchst nachhaltig sein wird, sondern auch die
Prüfungsdidaktik stark beeinflusst und in Zukunft beeinflussen wird. Diese und
mit diesen verbundene Zusammenhänge sind im Folgenden somit im Blick zu
behalten.
In diesem Umstrukturierungsprozess weg von Staatsexamens- und
Magisterabschlüssen hin zu Bachelor- und Masterabschlüssen hat sich zwar die
Bedeutung der einzelnen Prüfungstypen verschoben, deren Existenz besitzt jedoch
gleichermaßen für beide Ansätze Gültigkeit. Unsere Ausführungen beziehen sich
somit ebenso auf die traditionellen Lehramts- und Magisterstudiengänge
wie auf die Bachelor- und Master-Studiengänge. Dabei werden wir uns mit
drängenden Fragen beschäftigen, die prüfungsdidaktisch in näherer Zukunft
angegangen werden sollten und die nicht zuletzt einige politische Implikationen
bergen. In diesem Zusammen-hang wollen wir uns zunächst mit dem Prüfungstyp Schriftliche Hausarbeit befassen.
5.2 Schriftliche
Hausarbeiten
In Schriftlichen Hausarbeiten[2]
stellen die Studierenden ihre Befähigung zur Erstellung einer umfangreichen
wissenschaftlichen Arbeit[3]
unter Beweis. Im Rahmen des Magisterstudiums hat diese Prüfungsform durchaus
ihre Berechtigung, da der Magisterabschluss - zumindest theoretisch - mehr die
Vorbereitung auf eine Promotion darstellt, als es beispielsweise für das
Staatsexamen der Fall ist: Die Studierenden zeigen, dass sie dazu in der Lage
sind, eine noch umfangreichere wissenschaftliche Arbeit - die Dissertation -,
die zudem tiefer geht, zu verfassen, wenn sich eines Tages die Notwendigkeit
dazu oder der Wunsch danach ergeben sollte. Die Magisterarbeit stellt somit
die notwendige Vorstufe zu dem nächsten, folgerichtigen Schritt - der Promotion
- dar.
Im Lehramtsbereich ist die Situation eine andere: Die
Staatsexamensarbeit[4] ist im
Hinblick auf Umfang und inhaltliche Anforderungen durchaus mit der
Magister- oder Materarbeit vergleichbar, die Staatsprüfung ist in aller Regel jedoch nicht
die Vorstufe zur Promotion. Aufgrund der Ausrichtung der Staatsprüfung als
berufsqualifizierender - und weniger als akademischer - Abschluss ist die
Erstellung von Doktorarbeiten durch Absolventen dieser Studiengänge eher die
Ausnahme. Es stellt sich somit dringend die Frage, ob die Staatsexamens- oder Masterarbeit
prüfungspolitisch und prüfungsdidaktisch sinnvoll sind: In welchem denkbaren
Tätigkeitsbereich sind künftige Lehrer gefordert, den Staatsexamensarbeiten vergleichbare
Texte zu erstellen? Auch nach reiflicher Überlegung lässt sich kaum ein solcher
Bereich finden. Eine Verknüpfung der Lehramtsstudiengänge mit der Verleihung
der formalen Qualifikation zur Promotion ist daher nicht länger sinnvoll. Hier
wird es in Zukunft notwendig sein, eine Trennung vorzunehmen. Diese ist wie
folgt vorstellbar: Im Lehramtsbereich erwerben die Studierenden die
Qualifikation, Lehrer in den verschiedenen Schulformen zu werden. Erst in einem
weiteren Schritt erwerben sie - innerhalb eines einjährigen Aufbaustudiums nach
dem Staatsexamen - die Befähigung zur Promotion. Diese wird durch die Erstellung
einer Staatsexamens- oder Masterarbeit erworben. Das Lehramtsstudium kann
somit verkürzt werden; eine Staatsexamensarbeit oder ihr Äquivalent ist nicht länger notwendig;
diese ist nur für diejenigen Studierenden unerlässlich, die eine Promotion
anstreben. Diese Lösung würde - unter der Bedingung der Beibehaltung des
traditionellen Studiensystems an manchen Hochschulen der Bundesrepublik - die
im Vergleich zum bestehenden System bessere Lösung darstellen.
In denjenigen Studiengängen, die zum Lehramt hinführen, jedoch bereits
auf Bachelor- und Master umgestellt sind, wäre es denkbar, eine weniger
anspruchsvolle Masterarbeit I für
reine Lehramtsstudenten und eine anspruchsvollere Masterarbeit II für solche Studierenden einzuführen, die eine Hochschulkarriere
anstreben. Diese Differenzierung entspräche dem soeben für traditionelle Lehramtsstudiengänge
skizzierten Modell.
Der Übergang von Diplom und Staatsexamen zu Bachelor und Master findet sich
zudem in der Regel nicht optimal umgesetzt: Im Bachelor-Bereich werden von den
Prüflingen zuweilen in ihren Schriftlichen Hausarbeiten Leistungen erbracht,
die denen von Master-Arbeiten nicht nachstehen. Der Bachelor ist jedoch nach der
bisherigen Erwartung mit weit geringeren Berufschancen verknüpft als der Master,
so dass in Zukunft mit hoher Wahr-scheinlichkeit lediglich diejenigen
Studierenden, die einen Master-Abschluss erwerben, berechtigte Chancen auf
einen ihrer Ausbildung entsprechenden Arbeitsplatz haben werden. Im
Master-Bereich wird dann erneut eine Abschlussarbeit verlangt, die den
Studierenden vergleichbare Fähigkeiten in den Techniken wissenschaftlichen
Arbeitens abverlangt. Dies bedeutet, dass die Studierenden vom Beginn ihres
Studiums bis zu ihrem Masterabschluss zwei grundlegende wissenschaftliche
Arbeiten schreiben müssen, während sie früher lediglich eine solche zu
bewältigen hatten. Dies entspricht nicht nur einer Doppelbelastung, sondern
bringt prüfungsdidaktisch zudem kaum einen Erkenntnisgewinn: Die Erstellung einer umfangreichen Schriftlichen Hausarbeit
genügt in aller Regel, um einschätzen zu können, ob ein Prüfling die Techniken
wissenschaftlichen Arbeitens beherrscht.
Mit der Schaffung der Bachelor-Arbeit ist somit eine Pseudoprüfung kreiert
worden, die im prüfungsdidaktischen Nichts angesiedelt ist: Eine
Abschlussarbeit, die die Studierenden weder adäquat auf eine Promotion vor-bereitet
- dazu ist sie zu oberflächlich angelegt -, die von Ihnen jedoch Techniken
verlangt, die sie in ihrer späteren Berufstätigkeit kaum je benötigen werden[5].
Dies bedeutet nichts anderes, als dass mit der Einführung von Bachelor und
Master-Studiengängen dem Prüfungstyp Schriftliche
Hausarbeit kein Gefallen getan worden ist. Dieser Prüfungstyp ist im
Bachelor formal auf ein Mindestmaß zurückgeschraubt worden und erfüllt somit
keinerlei Anforderung mehr, die als prüfungsvalide eingestuft werden könnte: weder die Befähigung zur späteren Erstellung einer Dissertation noch die
Vorbereitung auf die spätere Berufstätigkeit der Studierenden. Die
Master-Arbeit erfüllt diese Voraussetzungen zwar, vermittelt jedoch - abgesehen
von der intellektuellen Tiefe der behandelten Themenstellung - kaum weitergehende
prüfungsdidaktische Erkenntnisse, da die eigentlichen wissenschaftlichen
Arbeitstechniken nach dem bestehenden System ja bereits auf der Ebene der
Bachelorarbeit erworben und angewendet worden sind. Prüfungsdidaktisch zu
fordern ist daher:
- Die generelle Abschaffung der Bachelorarbeit, da sie strukturell
redundant ist und kaum Qualifikationen vermittelt, die die Studierenden in
den von diesem Typ von Studiengang avisierten Berufen werden verwenden
können;
- Die Schaffung einer Master-Arbeit
I für akademisch qualifizierte Studiengänge, die nicht primär auf
eine Promotion ausgerichtet sind.
- Folgerichtig die Schaffung einer Master-Arbeit II, die für solche Studiengänge reserviert ist,
die primär auf die Promotion abzielen, bzw. für solche Studierende, die
sich die Möglichkeit einer Promotion für ihre spätere akademische Entwicklung
offenhalten möchten.
Die Prüfungsdidaktik sollte unbedingt in hochschulpolitische Fragen wie
die vorliegende eingebunden werden, da nur durch ihre Einbeziehung Ergebnisse
erzielt werden können, die die Qualität, Zielgerichtetheit und Funktionalität
von Prüfungen auf befriedigende Weise reflektieren.
In unseren weiteren Betrachtungen kommen wir nun zu dem Prüfungstyp Examensklausuren.
5.3 Examensklausuren
5.3.1 Philologie
Grundsätzlich problematisch können sich Examensklausuren dann darstellen,
wenn ihre Konzeption nicht dem eigentlichen Ziel der Prüfung entspricht. So
wird beispielsweise am Romanischen Seminar einer beliebigen bundesdeutschen
Universität - und diese Universität kann überall liegen und das beschriebene
Phänomen durchaus mehrfach vorhanden sein - von den Studierenden verlangt, die
Staatsexamensklausur vollkommen in der jeweiligen Fremdsprache - also auf
Französisch, Spanisch oder Italienisch - zu schreiben. Diese Klausur beinhaltet
dann beispielsweise zwei Teile von je zwei Stunden Bearbeitungszeit, die aus
den Teilfächern Linguistik, Literaturwissenschaft, Landeskunde /
Landeswissenschaft oder Fachdidaktik kommen. Diese Konzeption ist an sich gut
und kaum kritikabel. Prüfungsdidaktisch bedenklich hingegen ist das Faktum,
dass auf diese Klausur nicht im Mindesten vorbereitet wird. Die breite Mehrheit
der in diesen Bereichen angebotenen Vorlesungen und Seminare wird auf Deutsch
abgehalten. Die Studierenden sind bei der sprachlichen Vorbereitung dieser
Klausur weitgehend auf sich allein gestellt; sprachliche Unterstützung von
Seiten der Prüfer gibt es kaum.
Neben diesem zentralen Planungsproblem ergibt sich ein weiteres -
logisches - Problem: Selbst glühenden Verfechtern der frequenten Verwendung der
Fremdsprache während des Studiums fällt auf, dass sie im gegebenen Zusammenhang wenig sinnvoll ist: Es ist im künftigen Berufsalltag von Fremdsprachenlehrern
kaum ein Kontext denkbar, in dem sie linguistische, literaturwissenschaftliche,
fachdidaktische oder landeskundliche / landeswissenschaftliche Zusammenhänge im
Sinne eines längeren, zusammenhängenden schriftlichen Textes in der
Fremdsprache darstellen müssen[6].
Die Validität dieser Prüfungsanforderung ist somit kaum gegeben. Unter
prüfungsdidaktischen Gesichtspunkten reicht es dabei nicht hin, zu behaupten,
diese Prüfungsform teste die Fremdsprachenkenntnisse der Studierenden. Für die
Testung dieser existieren andere, lebens- und realitätsnähere
Prüfungsverfahren, wie beispielsweise die sprachpraktischen Veranstaltungen und
die diese abschließenden Klausuren während des Studiums. Es sollte daher unbedingt
vermieden werden, die Darstellung der fachwissenschaft-lichen philologischen
Inhalte in einem zentralen schriftlichen Examen in der Fremdsprache - zudem
ohne einschlägige Vorbereitung - zu verlangen. Eine solche Anforderung ist
schlichtweg als nicht sinnvoll einzustufen.
5.3.2
Sprachpraxis
Im Falle der Berücksichtigung von sprachpraktisch ausgerichteten
Klausuren sind an deutschen Universitäten auch heute noch bisweilen Übersetzungen
als Klausurform zu finden[7].
Die Übersetzung ist jedoch zur Überprüfung des Sprachkönnens Studierender
höchst problematisch. Es ist an dieser Stelle unmöglich, die
Forschungsliteratur zu dieser Problematik nachzuzeichnen, dennoch soll auf
einige wenige, zentrale Gesichtspunkte verwiesen werden[8]:
- Die Übersetzung mag als Form der gelenkten Textproduktion durchaus ihre Berechtigung haben, als Form der Wissensüberprüfung eignet sie sich - mit Ausnahme von Studiengängen der Übersetzerausbildung - nicht;
- Die Beeinflussung der Sprache des Ausgangstextes auf die
Fremdsprache, die latent immer gegeben ist, reflektiert nicht die
eigentliche Sprachbeherrschung der Prüflinge (vgl. hierzu z. B. Götz 2005);
- Das Übersetzen wird oft als die fünfte Sprachfertigkeit - neben dem Sprechen, Hören, Schreiben und Lesen - betrachtet (vgl. Krings 1995: 328); sie ist von spezifischer Natur und nicht allen Lernern gleichermaßen zugänglich. Sie korreliert zudem nicht mit den anderen sprachlichen Fertigkeiten: Menschen, die eine Fremdsprache ansonsten gut beherrschen, können durchaus schlechte Übersetzer sein. Ein Beleg dafür sind viele bilinguale Sprecher, die oft nur sehr unzureichend sprachmittelnd zu agieren imstande sind.
- Die Übersetzungsrichtung ist entscheidend und
differiert intern:
- Das Individuum ist im Allgemeinen nicht in der
Lage, Texte in die Muttersprache und in die Fremdsprache auf
vergleichbarem Niveau zu übersetzen. Aus diesem Zusammenhang ergeben sich die
folgenden grundlegenden Fragen:
- Sollten in Examensklausuren beide
Übersetzungsrichtungen - von der Muttersprache in die Fremdsprache und
umgekehrt - vorkommen?
- Wenn eine Übersetzungsrichtung hinreicht, welche sollte dies sein?
- Welche prüfungsdidaktische Aussagekraft haben Übersetzungen, wenn
deren Ergebnisse in Abhängigkeit von der Übersetzungsrichtung
differieren?
Diese Fragen deuten auf den begrenzten Nutzen von Übersetzungen zur
Leistungserhebung hin.
Bereits diese kurzen Ausführungen lassen deutlich werden, dass die
Übersetzung als Prüfungsform von mehr als zweifelhaftem Wert ist und aus
diesem Grunde nicht den aktuellen prüfungsdidaktischen Anforderungen
entspricht. Sie sollte daher in der Praxis als Prüfungsform nicht weiter verwendet
werden.
5.4 Mündliche
Prüfungen
Mündliche Prüfungen erstrecken sich in den fremdsprachlichen Philologien
in der Regel auf die Bereiche Linguistik, Literaturwissenschaft, Landeskunde / Landeswissenschaft
und Fachdidaktik. In den Prüfungsordnungen vieler Universitäten und Hochschulen[9]
werden im Rahmen mündlicher Prüfungen mehr oder minder umfangreiche Anteile in
der studierten (und zu prüfenden) Fremdsprache erwartet, die in aller Regel mit
dem Attribut „angemessen“ belegt werden. Diese Forderung ist berechtigt und
kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Gegner dieses Ansatzes, die versuchen, den fremdsprachigen Anteil an
mündlichen Staatsexamens-, Magister-, Bachelor- oder Master-Prüfungen möglichst
gering zu halten, lancieren oft das Argument, dass der Inhalt leide, sobald die
Prüflinge sich in der Fremdsprache ausdrückten. Diesem Argument muss aus
eigener Erfahrung vehement widersprochen werden: Die inhaltliche Qualität mutter-
und fremdsprachlicher Äußerungen deutscher Prüflinge - die die studierte
Fremdsprache ja auf mindestens befriedigendem, mehrheitlich jedoch eher gutem,
in Einzelfällen sogar sehr gutem Niveau beherrschen -, ist in aller Regel
vergleichbar. Dieses Argument gegen in der Fremdsprache abgehaltene und
abzuhaltende mündliche Prüfungen anzuführen, greift nicht. Es stellt lediglich
eine von Prüfern aus Gründen, die hier nicht weiter beleuchtet werden sollen,
genährte Behauptung dar, die höchst zweifelhaft ist.
Eine grundsätzliche Problematik mündlicher Prüfungen in den Philologien
liegt zudem in der Interaktion zwischen Prüfern und Prüfling: Die Philologien
als Geisteswissenschaften bieten einerseits der Diskussion einen breiten Raum.
Andererseits ist es hier leicht möglich, Missverständnisse zu generieren.
Hinsichtlich des angesprochenen Freiraums bietet sich in mündlichen Prüfungen
die Chance, diese nicht nur als Frage-Antwort-Interaktion zu gestalten, sondern
sie zu einem echten Gespräch werden zu lassen (vgl. Kap. 4.3.4.5). Gelingt
dies, so ergibt sich auf diese Weise die Optimalform einer mündlichen Prüfung:
Prüfer und Prüfling interagieren miteinander in sachbezogener Weise; die
Interaktion ist relativ gleichberechtigt. Der Gesichtspunkt der
Leistungsüberprüfung tritt zeitweise in den Hintergrund. Eine Situation wie die
beschriebene stellt die beste denkbare Variante einer mündlichen Prüfung dar
und gibt dem Prüfling die größtmögliche Sicherheit, da auch er den
Prüfungsaspekt reduziert sieht.
Eine potentiell problematische Seite mündlicher Prüfungen in den
Geisteswissenschaften liegt in der Breite des Faches. Dieses Problem ist in allen
philologischen Teilfächern gegeben, stellt sich jedoch besonders in den
Literaturwissenschaften, weswegen diese hier als Beispiel herangezogen werden.
Diese Situation führt dazu, dass Prüfer und Prüfling nachgerade dazu gezwungen
sind, die Prüfungsthemen funktional einzugrenzen, sie also miteinander
abzustimmen. Dies führt prüfungsdidaktisch zu einer nicht einfach zu
handhabenden Konstellation:
- Der Prüfling muss sich darauf verlassen können, dass ihm nicht
mehrheitlich Fragen über Epochen, Gattungen oder Autoren gestellt werden,
die er für die Prüfung nicht vorbereitet hat. Diese Bedingung stellt im
gegebenen Zusammenhang kein Entgegenkommen des Prüfers dar: Viele
Literaturprofessoren sind vielmehr der Meinung, dass sie selbst kaum dazu
in der Lage wären, sich mit Kollegen auf hohem Niveau qualifiziert über
literaturwissenschaftliche Fragestellungen und Gebiete auszutauschen, die
von ihren Spezialgebieten weit entfernt sind. Daher kann eine solche
Forderung an Studierende im Examen ebenfalls nicht gestellt werden. Diese
Praxis der funktionalen thematischen Eingrenzung ist somit legitim.
- Für Prüfer stellt sich die Notwendigkeit, die Prüfung anspruchsvoll
und wissenschaftlich befriedigend zu gestalten, obwohl sie nicht zu sehr
von den zuvor abgesteckten Gebieten abweichen sollten. Viele Prüfer mögen
die Schwierigkeit einer mündlichen Prüfung darin sehen, dem Prüfling
solche Fragen zu stellen, die nicht seiner Vorbereitung entsprechen, die für
ihn also intellektuell vermeintlich schwierige Aufgaben repräsentieren.
Fragen dieses Typs haben jedoch mit der Abprüfung intellektueller Fähigkeiten
nur wenig zu tun: Sie stellen meist lediglich die Testung von Fachwissen
dar - es sei denn, es handelt sich um vergleichende Fragestellungen.
Prüfer sind in der beschriebenen Situation in ganz anderer Weise gefordert
oder sollten dies zumindest sein: Statt dem Prüfling Fragen aus anderen Bereichen
als seinen Spezialgebieten zu stellen, die ihn gegebenenfalls aus dem
Konzept bringen und die Prüfung somit negativ beeinflussen können, sollten
sie unbedingt in den Spezialgebieten des Prüflings verharren und ihm in
deren Rahmen Transferfragen stellen, um die Prüfung auf hohem Niveau zu
halten. Transferfragen sind - im Unterschied zu reinen Wissensfragen - von
hohem Anspruch und reflektieren die indi-viduellen Fähigkeiten und
Fertigkeiten des Prüflings (vgl. Kap. 4.2.6 und 4.3.4.5). Letztlich sind
nur sie hinsichtlich der Validität mündlicher Prüfungen von befriedigender
Aussagekraft: Nur Transferfragen er-möglichen es festzustellen, ob das
intellektuelle Niveau des Prüflings für ein Bestehen der Prüfung
hinreichend ist.
Werden die hier aufgezeigten Zusammenhänge berücksichtigt, bestehen in
den fremdsprachlichen Philologien gute Chancen, didaktisch wertvolle und funktionale
mündliche Prüfungen abzuhalten.
Zusammenfassend lassen sich die angesprochenen Problemfelder graphisch
wie folgt darstellen:
5.5 Thematische
Affinitäten
In den fremdsprachlichen Philologien existieren Themen und
Themenschwerpunkte, die sich für die verschiedenen Prüfungsteile besser oder
weniger gut eignen. Auf diese soll im Folgenden eingegangen werden. Dabei werden
die einzelnen Prüfungsformen - Staatsexamens-, Magister- und Bachelor- / Master-Arbeiten[10]
einerseits sowie Klausuren und mündliche Prüfungen andererseits - unter dem
Blickwinkel der einzelnen Teilfächer betrachtet, was sich zum Zwecke der
besseren Übersichtlichkeit graphisch wie folgt darstellen lässt:
relevante thematische Affinitäten
5.5.1 Linguistik
Aufgrund ihres umfangreichen und strukturell tiefgehend angelegten
Ansatzes eignen sich Schriftliche Hausarbeiten[11]
- Staatsexamens, Magister- Bachelor- und Master-Arbeiten - für die breite
Mehrheit denkbarer Themen(stellungen) in der Regel gut. Es erübrigt sich daher
an dieser Stelle, eine Positivliste dieser anzuführen. Fruchtbarer ist es
hingegen, ex negativo vorzugehen und Überlegungen
darüber anzustellen, welche Themen(stellungen) sich weniger plausibel anbieten,
und diese für das Teilfach Linguistik
kurz zu beschreiben.
Im Teilfach Linguistik sind
empirische Arbeiten zwar im Bereich dieser Prüfungsform machbar, sie sollten
jedoch möglichst vermieden werden und Dissertationen vorbehalten bleiben, es
sei denn, ihr Untersuchungsgegenstand ist gut abgrenzbar. Von den Studierenden
kann nicht erwartet werden, dass sie über mehrere Wochen Materialerhebungen und
statistische Auswertungen vornehmen, wenn ihnen für eine solche Arbeit
lediglich vier bis sechs Monate zur Verfügung stehen. Eine solche Konstellation
ist für die Prüflinge kaum zu bewältigen.
Bei „Literaturarbeiten“, also solchen, in denen im Bereich der
Linguistik vorhandene wissenschaftliche Literatur aufgearbeitet wird und die
dort erarbeiteten Ergebnisse in einen übergeordneten Zusammenhang gestellt
werden, kann nicht erwartet werden, dass in ihnen der Gesamtstand der
Wissenschaft abgebildet wird. Lücken in Forschungsüberblicken und in der zu der
spezifischen Themenstellung behandelten Literatur mögen natürlich durchaus die
Note senken. Unter der Bedingung, dass diese Lücken nicht allzu schwerwiegend
sind, sollten sie jedoch nicht in der Weise gewertet werden, dass die gesamte
Arbeit gefährdet ist. Hier sollten von Seiten der Prüfer somit realistische
Vorstellungen vorherrschen.
Als Beispiel für eine geeignete Themenstellung sei aus eigener Erfahrung
hier angeführt:
Das Passiv in der französischen Pressesprache.
oder:
Das Passiv in der französischen Rundfunksprache.
Diese Themenstellungen sind für Staatsexamens-, Magister- und Masterarbeiten
hinreichend eingegrenzt und vom Prüfling somit realistisch behandelbar. Weniger
geeignet wäre im Vergleich dazu die Kombination beider Themenstellungen - also
eine Untersuchung des Passivs in der französischen Presse- und Rundfunksprache, die als Themenstellung zu weit ist -, es sei
denn, sie wird von besonders begabten Prüflingen explizit gewünscht. Auch eine allgemeine
Themenstellung wie beispielsweise „Das französische Passiv“ ist viel zu weit
und geht über die Prüfungsform Schriftliche
Hausarbeit im Bachelor- / Master-, Staats- oder Magisterexamen deutlich
hinaus. Sie wäre dem Prüfungstyp Dissertation
vorbehalten.
Wie begrenzt sich beispielsweise Bachelorarbeiten im Vergleich zu Staatsexamens-, Magister- und auch Masterarbeiten ausnehmen, wird deutlich, wenn man sich in diesem Zusammenhang
eine mögliche Themenstellung für diese vorstellt. Aufgrund der geringeren Länge
dieses Typs Schriftlicher Hausarbeit und der damit verbundenen, geringeren
inhaltlichen Tiefgründigkeit, die ihr dadurch inhärent ist, wären die beiden
oben aufgeführten Themenstellungen nicht eingegrenzt genug. Für Bachelorarbeiten
könnte man sich allenfalls eine Themenstellung denken wie beispielsweise:
Das französische Passiv in der Zeitung Le Monde in den Monaten April bis Juni des Jahres 2012.
Eine solche Themenstellung ist im Rahmen dieses Prüfungstyps gerade noch
adäquat zu behandeln. Darüber hinausgehende thematische Abgrenzungen sind dort
nicht mehr erfolgreich abbildbar.
In Klausuren eignen sich
lediglich sehr begrenzte Fragestellungen für eine erfolgreiche und angemessene
Behandlung. So ist es im Teilfach Linguistik
vorstellbar, die Prüflinge aufzufordern, eine Themenstellung wie die folgende
zu behandeln:
Beschreiben und analysieren Sie die Vor- und Nachteile der Kontrastiven Linguistik. Was kann die Kontrastive Linguistik auf der Basis der aktuellen Forschungslage leisten? Begründen Sie Ihre Meinung und geben Sie geeignete Beispiele.
Eine solche Themenstellung ist durchaus adäquat in einer vierstündigen
Klausur behandelbar. Dagegen wäre es unsinnig zu verlangen, eine detaillierte
Beschreibung und Analyse der Kontrastiven Linguistik vorzunehmen -
gegebenenfalls auch noch unter Berücksichtigung historischer Faktoren. Die
Behandlung eines gut abgegrenzten Gebietes in tiefer gehender Form ist dabei
der oberflächlichen Behandlung eines (relativ) weiten Gebietes vorzuziehen.
Der erste Ansatz erfordert mehr intellektuelle Fähigkeiten und analy-tische
Fertigkeiten als Letzterer, der eher auf das Auswendiglernen von Fachwissen
abzielt.
Weitere geeignete Themenstellungen für Klausuren im Bereich der
Linguistik können - mit Bezug auf das Englische, Französische und Spanische - sein:
Können Phonetik und Phonologie - als theoretische Disziplinen - für die Ausbildung einer korrekten Aussprache des Englischen für Nichtmuttersprachler hilfreich sein oder beschränken sich ihre Erkenntnisse lediglich auf den reinen Forschungsbereich? Nehmen Sie zu dieser Frage kritisch Stellung, indem Sie eine klare Entscheidung treffen und diese mit geeigneten Mitteln begründen.
Beschreiben Sie kurz einen Ihnen bekannten Ansatz der Fachsprachenforschung des Französischen. Welche sind die Vorteile, welche die Nachteile dieses Ansatzes? Ist er für die gegenwärtige linguistische Forschung noch aktuell oder bedarf er einer Weiterentwicklung? Wenn ja, in welcher denkbaren Hinsicht?
Beschreiben und analysieren Sie die Möglichkeiten und Grenzen der Didaktischen Grammatik in Bezug auf das Spanische. Ist dieser Ansatz für die hispanoamerikanische Linguistik von Bedeutung oder ist er für diesen Bereich weitgehend vernachlässigbar?
Wie die soeben angeführten Beispiele zeigen, eignen Klausuren sich im
Allgemeinen eher zur Darstellung theoretischer Sachverhalte als zur
Beschreibung und Analyse empirischer Daten oder auf einer großen Anzahl von Beispielen
beruhender Reflexionen: Während die Analyse einzelner Beispiele im Allgemeinen kein
Problem darstellt, ist die Auswertung von Beispielkorpora den Prüflingen
dagegen nur dann zuzumuten, wenn sie ihnen in der Klausur auch an die Hand
gegeben werden, was aber als Aufgabenstellung zu zeitaufwendig und somit eher
unüblich ist. So wäre es nicht sinnvoll, den Prüflingen eine Themenstellung
vorzulegen, die beispielsweise auf die Analyse und Kategorisierung
fremdsprachlicher Fehler von Schülern in der Sekundarstufe I abzielt. Eine
solche Themenstellung ist zu beispiellastig, als dass sie mit Prüfungsrelevanz
präsentiert werden sollte. Zu sehr auf Exemplarizität abzielende
Themenstellungen sind in Klausuren somit zu vermeiden. Sie sind nicht nur
kontraproduktiv - da wenig aussagekräftig - in ihrer Behandlung, sondern führen
tendenziell auch eher zu einer reinen Aufzählung sprachlicher Phänomene als zu
deren Analyse. Da jedoch nur letztere wirkliche Aufschlüsse über die
intellektuelle Leistungsfähigkeit der Prüflinge zulässt, ergibt sich hier somit
ein weiterer Nachteil solcher Themenstellungen.
Auch in mündlichen Prüfungen
eignen sich in prüfungsdidaktischer Perspektive nicht alle Themen
gleichermaßen. So ist es in der Linguistik beispielsweise auch in dieser
Prüfungsform ungünstig, solche Themen auszuwählen, die auf umfangreichen
Beispielsammlungen oder gar auf Beispielkorpora basieren. Grundsätzlich gelten
in dieser Hinsicht analoge Gesichtspunkte, wie sie bereits für Fachklausuren
beschrieben worden sind. Auf dem Hintergrund dieser Überlegungen sind
lexikologische Themen im Allgemeinen eher ungünstig, es sei denn, die gewählten
Beispiele dienen lediglich der Illustration von Einzelphänomenen. Jegliche
Fragestellungen, die beispielsweise auf die umfangreiche Behandlung einiger
weniger Wortbildungsgesetze oder gar einzelner Affixe abzielen, eignen sich für
mündliche Prüfungen kaum. Gleiches gilt für Themenstellungen aus dem Bereich
der (Meta)Lexikographie, es sei denn, den Prüflingen würden in der Prüfung
Wörterbücher an die Hand gegeben, was jedoch aufgrund der jeweils benötigten
Nachschlagezeit unpraktikabel ist. Generell kann festgestellt werden, dass die
abstrakteren Ebenen der Linguistik sich für mündliche Prüfungen besser eignen
als die konkreteren. So sind die Ebenen Textlinguistik,
Pragmatik, Syntax und Semantik für
mündliche Prüfungen und ihre Konzeption generell den Ebenen Phonetik/Phonologie, Morphologie und Lexikologie vorzuziehen: Die abstrakteren Ebenen sind weniger
beispiellastig als die konkreteren, und sie erfordern tendenziell mehr das
Verständnis und die Darstellung der großen Zusammenhänge, was zudem in der
Regel intellektuell anspruchsvoll ist.
In graphischer Darstellung ergibt sich somit folgendes Bild:
5.5.2 Literaturwissenschaft
Schriftliche Hausarbeiten im Teilfach Literaturwissenschaft - also
Staatsexamens- und Magisterarbeiten oder Bachelor- und Master-Arbeiten -
sollten so konzipiert sein, dass sie mehr in die Tiefe als in die Breite gehen:
Es ist günstiger, ausgewählte Werke - oder ggf. auch nur ein einziges Werk -
eines Autors zu behandeln, als dessen Gesamtwerk oder zu groß angelegte Vergleiche
mit anderen Autoren bzw. mit Werken derselben Gattung zu analysieren. Arbeiten
wie Letztere können von Seiten der Studierenden leicht zu einem Mangel an
Gründlichkeit führen und somit die Abprüfung der Fähigkeit zu fundiertem
wissenschaftlichen Arbeiten, die mit Hilfe dieses Prüfungstyps unter Beweis gestellt
werden soll, gefährden. Bei Werkinterpretationen ist darauf zu achten, dass die
Prüflinge sich an der Forschungsliteratur orientieren und ihre Reflexionen auf
der Basis dieser weiterentwicklen, bzw. dass sie - wenn sie eine Gegenposition
zum main stream einnehmen - dies in
Kenntnisnahme und gegebenenfalls in Falsifizierung des bestehenden
Forschungsstandes tun. Schriftliche Hausarbeiten zur Literaturwissenschaft
sollten dabei nicht zu poetisch formuliert sein, sondern vielmehr eine gewisse
Distanz der Prüflinge zum Gegenstand ihrer Reflexionen erkennen lassen. Dieser
Gesichtspunkt ist besonders dann von Bedeutung, wenn der Literaturwissenschaft
daran gelegen ist, ihre Wissenschaftlichkeit gewahrt zu wissen.
Auch für das Teilfach Literaturwissenschaft gilt, dass Master-Arbeiten -
und mehr noch Bachelor-Arbeiten - hier lediglich mit sehr begrenzter Themenstellung
erfolgreich absolviert werden können. Hier ist allenfalls ein Einzelwerk eines
gegebenen Autors - gegebenenfalls im Vergleich mit einem ähnlichen Werk eines
anderen Autors - erfolgreich absolvierbar, nicht jedoch Themenstellungen, die
darüber hinausgehen.
Als Beispiele können hier angeführt werden:
Das Identifikationspotential der Hauptfigur in Alain-Fourniers Roman Le Grand Meaulnes.
oder:
Molières École des Femmes im Spiegel der Zeit – ein Beitrag zur Rezeptionsästhetik.
oder auch:
Eugène Ionescos Stück La Cantatrice chauve als Symbol der menschlichen Kommunikationslosigkeit.
In Klausuren zur
Literaturwissenschaft sollten allzu überblicksartig angelegte Themenstellungen
vermieden werden: Auch sie führen eher zu der Aufzählung von Fakten als zu
deren Analyse. Aufgabenstellungen, die sich auf die Beschreibung der
Entwicklung einer ganzen literaturwissenschaftlichen Epoche erstrecken, sind
beispielsweise viel zu weit gefasst, um es den Prüflingen zu ermöglichen, ihre
wahren intellektuellen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Vorzuziehen sind
dagegen beispielsweise die Analyse eines oder mehrerer zentraler Werke eines
Autors und - bei der Berücksichtigung mehrerer Werke - die prägnante Herausarbeitung
von deren Beziehung zueinander. Solche Themenstellungen sind von analysefreundlicher
Natur; sie lassen den Prüflingen den nötigen Raum zu intellektueller
Selbstentfaltung. Durch die geschickte Wahl der Themenstellung ist es somit möglich,
die notwendige Sachkenntnis der Studierenden abzuprüfen, ohne auf dieser Ebene
zu verharren: Die Einarbeitung relevanter Sachverhalte erfolgt dann
ausschließlich in funktionaler Art und Weise, d.h. nur in denjenigen Fällen, in
denen sie für die eigentliche Analyse von Relevanz ist. Die Aufführung von
Sachverhalten um ihrer selbst willen entfällt dann, was die Leistungen der
Prüflinge - und zudem das Niveau der Prüfungen - erheblich steigert. Für die
jeweiligen Fachprüfer ergibt sich dadurch zusätzlich der Vorteil von mehr
Abwechslungsreichtum: Während sie die eigentlichen Sachverhalte kennen und sie
dann, wenn vorwiegend diese abgeprüft werden, von den Prüflingen wieder und
wieder präsentiert bekommen, was die Lektüre der Klausuren ab einem gegebenen
Moment langweilig werden lässt, sind die Ausführungen der Prüflinge bei
analytischen Fragestellungen immer wieder neu, und in besonders guten Fällen
sogar aufschlussreich, was die Korrekturarbeit für die Prüfer interessanter
werden lässt und ihnen bisweilen gar die eine oder andere Anregung liefern mag.
Beispiele für solche Themenstellungen können die folgenden sein:
Diskutieren Sie George Bernard Shaws Stück Pygmalion und setzen Sie dieses zu dem Musical My Fair Lady von Frederic Loewe und Alan J. Lerner in Relation. Arbeiten Sie dabei besonders die Beziehung der beiden Hauptpersonen Eliza und Professor Higgins im Theaterstück und im Musical heraus.
Ist die Aussage des Stückes L’Avare von Molière in der heutigen Zeit noch aktuell? Begründen Sie Ihre Meinung auf der Basis geeigneter Beispiele.
Beschreiben und analysieren Sie kurz die Rezeptionsgeschichte des Romans El ingenioso hidalgo Don Quixote de la Mancha von Miguel de Cervantes. Welcher Ansatz ist der aus Ihrer Sicht wichtigste? Welcher Ansatz sagt dem heutigen Leser am meisten? Begründen Sie Ihre Meinung.
Es wird somit deutlich, dass auch im Bereich der Literaturwissenschaft
die Wahl analytischer Themenstellungen für alle Beteiligten nur von Vorteil
sein kann.
Mündliche
Prüfungen zur Literaturwissenschaft sind
aufgrund der bereits erwähnten inhaltlichen Breite des Faches von hohem
Problemgehalt (vgl. auch Kap. 5.4). Auch hier sind analytische Themenstellungen
bzw. Transferfragen jedoch hilfreich. Sie ermöglichen die Behandlung ausgewählter
Inhalte in einer Weise, die es dem Prüfer erlaubt zu beurteilen, ob der
Prüfling die Grundprinzipien der Literaturwissenschaft verstanden hat und über
einen soliden Überblick über das Fach verfügt. Zudem haben sie die Funktion,
deutlich werden zu lassen, ob die Prüflinge Verbindungen zwischen einzelnen
Epochen, Genres, Autoren oder Werken herzustellen in der Lage sind.
Transferfragen im Bereich der Literaturwissenschaft können sich somit auf
Vergleiche eben dieser Entitäten beziehen. Für sie gelten im Wesent-lichen die
gleichen Gesetzmäßigkeiten, wie sie weiter oben diskutiert worden sind (vgl.
ergänzend Kap. 4.2.6, 4.3.4.5 und 5.4).
In mündlichen Prüfungen zur Literaturwissenschaft ist zudem zu
beobachten, dass Prüflingen ein Text vorgelegt wird, auf den die gesamte
Prüfung aufgebaut wird. Den Prüflingen wird beispielsweise ein konkreter
Ausschnitt aus einem von ihnen speziell vorbereiteten literarischen Werk an die
Hand gegeben. Ein solcher Text als zentraler Anhaltspunkt vermittelt ihnen
zunächst Sicherheit: Die Prüflinge können von einem Inhalt ausgehen, den sie
mit hoher Wahrscheinlichkeit kennen, und auf diese Weise Selbstvertrauen für
den weiteren Verlauf der Prüfung aufbauen. Diese Maßnahme der Auswahl eines
Textausschnittes aus einem den Prüflingen mit Sicherheit bekannten Werk hat
somit potentiell positive Auswirkungen auf den weiteren Prüfungsverlauf. Diese
Aussage gilt jedoch ausschließlich unter der Bedingung, dass kein den
Prüflingen unbekannter Text gewählt wird und kein Ausschnitt, der nicht
aussagekräftig genug ist. In solchen Fällen würde der gegenteilige Effekt
erzielt: Die Prüflinge würden verunsichert, verlören jeglichen Glauben an sich
selbst, und die gesamte Prüfung würde auf diese Weise negativ beeinflusst. Eine
solche Prüfung wäre hinsichtlich der Leistungsfähigkeit der Prüflinge somit von
lediglich begrenzter Aussagekraft.
Die thematischen Affinitäten im Teilfach Literaturwissenschaft können in prüfungsdidaktischer Hinsicht
graphisch wie folgt dargestellt werden:
5.5.3 Fachdidaktik
Schriftliche
Hausarbeiten im Teilfach Fachdidaktik können sowohl mit theoretischer als auch mit
praktischer Ausrichtung erstellt werden. Theoretisch ausgerichtete Arbeiten
können in begrenztem Umfang dazu dienen, die Disziplin weiter voranzubringen,
und beziehen sich auf bestehende Theorien und Ansätze, diskutieren und
modifizieren diese. Dies alles ist im Prüfungstyp Schriftliche Hausarbeit in begrenztem Maße machbar und stellt kein
grundsätzliches Problem dar[12].
Eher an der Praxis orientierte Arbeiten beziehen sich auf die Unterrichtsforschung.
Diese zielt beispielsweise darauf ab, Lehrerverhalten zu optimieren. Die
jeweilige inhaltliche Stoßrichtung kann sich dabei sowohl auf die Verbesserung
des Verhaltens der beobachteten Lehrer erstrecken als auch - in dessen
Verallgemeinerung - in überindividuell nutzbaren Aussagen und
Handlungsanweisungen resultieren. Eine weitere Möglichkeit der praktischen
Ausrichtung fachdidaktischer Hausarbeiten kann darin bestehen, dass der
Prüfling eigenen Unterricht durchführt und diesen in all seinen Phasen -
einschließlich der Planung und Vorbereitung - beschreibt und analysiert. Dieser
Ansatz ist zwar grundsätzlich kritikabel, da er weniger wissenschaftlich ausgerichtet
ist als die zuvor beschriebenen Ansätze und da er demjenigen der im Zweiten
Staatsexamen für Lehrämter anzufertigen Hausarbeit sehr nahe ist. Dennoch hat
auch er seine Berechtigung: Wenn Studierende als Prüflinge im Ersten
Staatsexamen bzw. im Master-Studium sich selbst ausprobieren und im Unterricht
erleben, dies dokumentieren und analysieren möchten, so sollten Prüfer ihnen
dies nicht verwehren. Diese ist die pädagogische Seite der Problematik, die
zwar nicht von oberster Priorität ist, die jedoch auch nicht vernachlässigt
werden sollte.
Von großer Bedeutung ist jedoch der folgende Gesichtspunkt: Führen
Studierende im Rahmen ihrer Schriftlichen Hausarbeit Unterrichtseinheiten -
oder seltener, Unterrichtsreihen - durch und dokumentieren und analysieren
diese, so hinterlassen sie gegenwärtigen und künftigen Studien- und Lehrerkollegen
ein wichtiges Dokument, aus dem diese für ihre eigene Arbeit Anregungen zu
schöpfen vermögen. Selbst unter der Bedingung, dass solche Arbeiten eher
punktuell ausgerichtet sind, stellen sie für andere Unterrichtspraktiker in
ihrer Gesamtheit eine potentiell relevante Informationsquelle dar. Dies kann
jedoch nur unter zwei Bedingungen erfolgreich sein:
- Die so ausgerichteten Schriftlichen Hausarbeiten müssen inhaltlich
in einen höheren Zusammenhang gestellt werden: Sie müssen Elemente
enthalten, die verallgemeinerbar sind, so begrenzt sie im Einzelfall auch
sein mögen.
- Diese Arbeiten müssen in geeigneter Weise publik gemacht werden:
Sie sind gleichsam ohne jeglichen, über die eigentliche Prüfungsleistung
hinausgehenden Wert, wenn sie lediglich in Archiven von Prüfungsämtern
aufbewahrt werden. Sie müssen vielmehr allgemein zugänglich gemacht
werden: In Form von Buchveröffentlichungen beispielsweise als fachdidaktische
Reihe, in der konkrete Unterrichtsanregungen gegeben werden, oder im
Internet auf unterrichtsbezogenen Websites.
Unter diesen beiden Bedingungen stellen auch an der Praxis orientierte Schriftliche
Hausarbeiten im Bereich Fachdidaktik eine wichtige Prüfungsinstanz einerseits
und eine wertvolle Möglichkeit zur Verbesserung von Unterricht andererseits
dar.
Als Beispiele für Themenstellungen für Schriftliche Hausarbeiten im
Bereich Fachdidaktik seien hier genannt:
Das Verhalten des Lehrers in motivationaler Perspektive.
oder:
Die Darstellung der Grammatik in Englischlehrwerken der gymnasialen Mittelstufe.
oder auch:
Die Darstellung des gesprochenen Französisch in Lehrwerken des Erwachsenenunterrichts.
Fachdidaktische Klausuren
können ebenso auf theoretische Themenstellungen von begrenztem Umfang abzielen
wie auch auf praktische Themenstellungen, die jedoch umfassender sein sollten
als reine Stundenentwürfe. Letztere stellen zwar die Berufspraxis des Lehrers
in geradezu idealer Weise dar, sind jedoch für Fachklausuren zum Abschluss des
akademischen Studiums nicht hinreichend anspruchsvoll. Dagegen sind Stundenentwürfe,
zu denen ein umfassender didaktischer Kommentar gefordert wird, als angemessen
zu betrachten. Der fachwissenschaftliche Anspruch liegt dann mehr in dem
Kommentar als im Unterrichtsentwurf selbst. Dennoch sollte der Gefahr
vorgebeugt werden, Fragestellungen zu sehr an die zweite Ausbildungsphase - den
Vorbereitungsdienst - anzubinden: Die Hochschulausbildung ist der - wenn auch
gegebenenfalls praxisorientierten - Wissenschaft gewidmet, die eigentliche
Praxis folgt im Vorbereitungsdienst.
Als für fachdidaktische Klausuren geeignete Themenstellungen seien hier
beispielsweise die folgenden genannt:
Klassifizieren und typisieren Sie Arbeits- und Übungsformen, die im Englischunterricht von Nutzen sein können. Welche sind ihre Vorteile, welche ihre Nachteile? Beschreiben Sie diese und geben Sie eine persönliche Einschätzung ab.
Welche Möglichkeiten der Leistungsmessung existieren im Fremdsprachenunterricht? Geben Sie Beispiele, indem Sie Probleme analysieren und mögliche Lösungen diskutieren.
Themenstellungen wie die angeführten sind aus mehreren Gründen von
Vorteil:
- Sie sind praxisorientiert und ermöglichen eine Einschätzung des
pädagogischen Potentials der Prüflinge;
- Sie inkludieren die Berücksichtigung des jeweiligen theoretischen
Hintergrundes und ermöglichen somit eine Verzahnung von Theorie und
Praxis.
- Sie geben den Prüflingen - und auch den Prüfern - das berechtigte Gefühl,
eine sinnvolle Tätigkeit auszuüben, die das Ziel verfolgt, die schulische
Fremdsprachenausbildung langfristig zu verbessern.
Diese Vorteile besitzen ebenso dann Gültigkeit, wenn eine eher
theoretische Themenstellung gewählt wird, die dann ihrerseits praktische und
praxisorientierte Aspekte einschließen sollte. Eine solche Themenstellung kann
die folgende sein:
Stellen Sie den Begriff Interkulturelles Lernen auf dem Hintergrund der aktuellen Forschungsliteratur dar. Zeigen Sie die Relevanz dieses Ansatzes für den modernen Fremdsprachenunterricht auf und geben Sie ein Beispiel für seine konkrete Umsetzung.
Themenstellungen wie die hier aufgezeigten können somit für
Staatsexamensklausuren uneingeschränkt empfohlen werden. Prüfer und Prüferinnen
sollten diese Gesichtspunkte bei der Konzeption ihrer Klausuren
berücksichtigen.
Mündliche
Prüfungen in Fachdidaktik können
beispielsweise die Analyse und Bewertung einer relevanten Unterrichtssituation
zum Gegenstand haben, die den Prüflingen in Form eines kurzen Textes vorgelegt
wird, und zu der sie die Rolle und das Verhalten des Lehrers analysieren sollen.
Mündliche Fachdidaktikprüfungen können sich auf unterschiedliche Methoden der
Unterrichtung der vier grundlegenden sprachlichen Fertigkeiten beziehen. Sie
können ebenso Aspekte der Literaturdidaktik aufgreifen und auf diese Weise
komplementär zu literaturwissenschaftlichen Prüfungen gesehen werden. Sie können
gleichermaßen die derzeit aktuellen Fragen interkulturellen Lernens zum
Gegenstand haben. Welche thematische Stoßrichtung im Einzelfall auch immer gewählt
wird - von Bedeutung im Bereich der Fachdidaktik ist immer, dass diese
Problemfelder offen diskutiert und nicht schlicht abgefragt werden. Fachdidaktische
Fragestellungen bedürfen der kritischen Diskussion, der freien Reflexion; sie verlangen
nach möglichst großer Kreativität. Diese drei Bereiche im Hinblick auf
fachdidaktische Fragestellungen zu prüfen, muss das zentrale Ziel mündlicher
Prüfungen in diesem Bereich sein. Dieses Ziel zu erreichen, ist nur möglich im
Rahmen offener Fragestellungen, von denen Transferfragen wiederum ein wichtiger
Teil sind. Mündliche Prüfungen sind somit auch im Bereich Fachdidaktik von
hohem qualitativen Anspruch und setzen von Seiten des Prüfers ein hohes Maß an
Lehr- und Unterrichtserfahrung voraus - und zwar nicht nur sekundär als
Fachdidaktikdozent an der Hochschule, sondern primär als Fremdsprachenlehrer an
der Schule, der Hochschule oder in der Erwachsenenbildung. Prüfer, die - in
welchem Kontext auch immer - nie selbst aktiv Fremdsprachen unterrichtet haben,
sind nicht qualifiziert, Fachdidaktikprüfungen durchzuführen, was sich
insbesondere in mündlichen Prüfungen äußert. Somit stellen mündliche Prüfungen
im Bereich der Fachdidaktik hohe Anforderungen nicht nur an die Prüflinge,
sondern ebenso an die Prüfer.
Schriftliche
Hausarbeiten im Bereich Landeswissenschaften oder auch Landeskunde können sich in
prüfungsdidaktischer Hinsicht idealerweise auf (inter)kulturelle
Fragestellungen beziehen. Diese eignen sich besonders, da dieser Bereich im
Rahmen der Landeswissenschaften eine zentrale Stellung einnimmt. Auf diese
Weise können sich die Fachdidaktik, in der dieser Bereich ebenfalls von großer
Bedeutung ist (vgl. Kap. 5.5.3) und die Landeswissenschaften thematisch
zuarbeiten. Kulturelle und interkulturelle Analysen eignen sich zudem dazu, den
Prüflingen das Land oder die Länder der Zielsprache (noch) näher zu bringen und
ihnen somit ein wichtiges Lernziel des Studiums zu vermitteln. In Schriftlichen
Hausarbeiten zur Landeswissenschaft kann es jedoch nicht darum gehen, diese
lediglich auf historische Gesichtspunkte zu reduzieren, wie dies bisweilen
geschieht. Historie kann im Teilfach
Landeswissenschaften behandelt werden, eine dominante Stellung sollte ihr hier
jedoch nicht eingeräumt werden.
Als thematische Beispiele können in diesem Zusammenhang angeführt werden:
Der Politikstil in Großbritannien von Margaret Thatcher bis David Cameron – eine vergleichende Analyse.
oder:
Die politische Mitte in Frankreich und Deutschland - Reflexionen zur aktuellen Lage in den Nachbarländern.
oder auch:
Das Königtum in Großbritannien und Spanien – ein institutioneller Vergleich[13].
Klausuren zur Landeswissenschaft können durchaus im Sinne der traditionellen
Landeskunde zur Abprüfung von Kenntnissen über das Land oder die Länder der
Zielsprache verwendet werden - über dessen / deren politische, wirtschaftliche
und andere Institutionen oder auch wichtige Vertreter in Vergangenheit und
Gegenwart. Sie sollten jedoch - wo immer dies möglich ist – mit
interkultureller Ausrichtung gestellt werden, da diese in erheblichem Umfang
die Auseinandersetzung mit der jeweils anderen Kultur fördert. Gerade diese
Ausrichtung ermöglicht es den Prüflingen, ihr Verständnis der zielsprachlichen
Kultur auf dem Hintergrund der eigenen Kultur zu vergleichen und auf diese
Weise tiefgehende Reflexionen anzustellen, die ihre eigene Identität betreffen.
Gerade solche Reflexionen werden von ihnen in ihrem späteren Berufsleben mit
großer Wahrscheinlichkeit verlangt - besonders natürlich im Lehrerberuf. Auf
diese Weise kann die Landeswissenschaft im Rahmen sinnvoller Prüfungs- und Klausuraufgaben
effizient der späteren Berufsrealität der Prüflinge zuarbeiten. Themen wie die
hier besprochenen können - am Beispiel der Studienfächer Englisch, Französisch und
Spanisch - beispielsweise sein:
Wie stellt sich die aktuelle Rolle Großbritanniens in der Europäischen Union dar? Vergleichen Sie sie anhand zweier ausgewählter Beispiele mit der Rolle der Bundesrepublik Deutschland.
oder:
Wie werden Amerikaner in Deutschland wahrgenommen? Welche Klischees, welche Vorurteile existieren? Nehmen Sie kritisch Stellung zu diesen und analysieren Sie sie mittels eines dafür geeigneten Ansatzes.
oder:
Wie stellt sich die Situation der beurs und beurettes im heutigen Frankreich in ausgewählten Bereichen dar? Vergleichen Sie diese mit der Situation junger Türken und Türkinnen im heutigen Deutschland. Geben Sie entsprechende Beispiele.
oder auch:
Beschreiben Sie die Funktionen des spanischen Königs unter Verwendung entsprechender Beispiele. Welche sind seine Rechte, welche seine Pflichten? Vergleichen Sie diese mit den Rechten und Pflichten des deutschen Staatspräsidenten.
Themenstellungen wie die hier exemplarisch aufgeführten verhelfen den
Prüflingen dazu, sich mit dem jeweiligen Land der Zielsprache in einer Weise
auseinanderzusetzen, die ihnen die Vermittlung gegebenenfalls neuer
persönlicher Einsichten ermöglicht.
In mündlichen Prüfungen kann
von einem ähnlichen Ansatz ausgegangen werden. Auch hier sollten - ebenso wie
in den soeben für Klausuren zitierten Themenstellungen - Transferfragen
vorherrschen und eine freie Diskussion über das gewählte Thema ermöglichen. Auf
diese Weise kann ein Thema wie das der beurs
und beurettes im heutigen Frankreich,
das sich auch für mündliche Prüfungen eignet, am Beispiel der verschiedenen
Lebensbereiche gründlich und in hinreichender intellektueller Tiefe analysiert
werden, und zwar im Hinblick auf:
- ihre Rolle in der Gesellschaft allgemein,
- ihre Rolle in der Familie,
- ihre Rolle im Freundeskreis,
- ihre kulturelle Zwitterrolle der „Fremden“
sowohl in Frankreich als auch in dem Heimatland ihrer Familie,
- kulturelle Phänomene, die im Widerspruch zu
der Kultur Frankreichs stehen,
um an dieser Stelle nur einige Ansatzpunkte zu nennen. In derart
geplanten mündlichen Prüfungen können die Prüflinge somit ihr
Reflexionsvermögen in einer Form unter Beweis stellen, die den eigentlichen
Prüfungscharakter dieser Situation zu minimieren hilft und somit ihre wahre
Leistungsfähigkeit zu Tage fördert.
Anhand unserer Reflexionen ist deutlich geworden, dass das Geflecht von Prüfungsthemen, der Prüfungskonzeption und dem Verhalten der Prüfer in den neueren Philologien hochkomplex ist und zu jedem Zeitpunkt der Planung und Durchführung der Prüfung in allen Einzelheiten im Blick behalten werden muss. Sind die Prüfer - und auch die Prüflinge - sich nicht über die in diesem Rahmen ablaufenden Mechanismen im Klaren, kann dies verheerende Folgen für die Prüfungen selbst sowie für ihre Ergebnisse haben und ganze Karrieren von Prüflingen bereits im Vorfeld negativ beeinflussen.
Es ist klar zutage getreten, dass die Berücksichtigung
prüfungsdidaktischer Prinzipien die reale Prüfungspraxis erheblich zu
verbessern vermag. Würden die hier herausgearbeiteten Zusammenhänge
konsequent befolgt, so ginge damit eine Vervollkommnung der Prüfungspraxis und mit großer Wahrscheinlichkeit
auch eine zuverlässigere Bewertung der Leistungen der Prüflinge einher. Es wird
in Zukunft notwendig sein, die hier diskutierten Fragen auf empirischer Ebene
zu erforschen, um ihnen eine entsprechende Nachhaltigkeit zu verleihen und auf
diese Weise zu bewirken, dass sie - aufgrund der Beweislast der dann vorliegenden
Forschungsergebnisse - von Prüfern mehrheitlich ernst genommen und schließlich
auch in die Praxis umgesetzt werden (vgl. hierzu auch Kap. 8).
Im folgenden Kapitel wollen wir uns mit der Konzeption von Prüfungen im
Bereich Sprachpraxis beschäftigen. Es
wird nunmehr darum gehen, grundlegende Aspekte aufzuzeigen und zu diskutieren,
die für die prüfungsdidaktische Konzeption von Fremdsprachenklausuren von
Bedeutung sind. Das folgende Kapitel baut somit in logischer Weise auf den
zuvor angestellten Reflexionen auf und ist als komplementär zu den im
vorliegenden Kapitel angestellten Überlegungen zu betrachten.
[1] Vgl. zu den grundlegenden Problemen des Bologna-Prozesses und ihrer
möglichen Abhilfe auch Wiarda (2009)
[2] Wenn wir von dem Prüfungstyp Schriftliche
Hausarbeit sprechen, schreiben wir hier in Widerspiegelung von dessen
institutioneller Bedeutung als akademische Abschlussarbeit das Adjektiv groß.
[3] Vgl. hinsichtlich der Komponenten wissenschaftlichen Arbeitens auch
Theisen (2008).
[4] Wir beziehen uns hier auf solche Universitäten, an denen traditionelle
Lehramtsstudien gänge noch existieren.
[5] Diese Aussage bezieht sich beispielsweise auf die Techniken wissenschaftlicher
Zitierweise.
[6] Diese Aussage mag auf die schriftliche Darstellung landeskundlicher /
landeswissenschaft-licher Zusammenhänge im Einzelfall eingeschränkt zutreffen,
ist jedoch auch mit Blick auf diese tendenziell gültig.
[7] Aus Gründen der Diskretion belassen wir es hier bei dieser Feststellung,
ohne Namen von Universitäten zu nennen.
[8] Vgl. zu der Frage des Für und Wider der Übersetzung im Fremdsprachenunterricht
auch Krings (1995:327ff), des Weiteren - auch in historischer Perspektive -
Bausch (1977), Bausch / Weller (1981), Ettinger (1988), Hausmann (1975),
Kleineidam (1974) und Krings (1986).
[9] Vgl. hierzu die Philipps-Universität Marburg (2010), die Julius-Maximilians-Universität
Würzburg (2010) und die Universität Leipzig (2010), die hier lediglich als
willkürliche Beispiele herausgegriffen worden sind.
[10] Auch wenn wir uns der prinzipiellen Ungleichheit zwischen Bachelor- und
Master-Arbeit bewusst sind und hier gar die Abschaffung Ersterer fordern (vgl.
Kap. 5.2), werden beide Typen schriftlicher Hausarbeiten hier der
Vollständigkeit halber mitberücksichtigt, wobei wir jedoch darauf verzichten,
sie im vorliegenden Zusammenhang hinsichtlich der angegebenen Beispiele zu
differenzieren.
[11] Schriftliche
Hausarbeiten auf der Ebene von Seminararbeiten werden im vorliegenden
Zusammenhang außer Acht gelassen.
[12] Dabei unterliegen Bachelorarbeiten auch
hier größeren inhaltlichen Beschränkungen als Staatsexamens-, Magister oder Masterarbeiten.
[13] Eine solche Themenstellung bietet sich insbesondere für solche Prüflinge
an, die englische und spanische Philologie studieren, und setzt einen für beide
Länder kompetenten Prüfer voraus.