2 Prüfungsdidaktik
2.1 Was ist Prüfungsdidaktik?
Der im Folgenden zu unternehmende Versuch einer Definition des Faches Prüfungsdidaktik[1]
setzt zunächst einige Reflexionen voraus, die zum Ziel haben, dessen
wesentliche - konstitutive - Merkmale herauszuarbeiten. Dazu ist es zunächst
notwendig, den die - auch lexikalische - Basis darstellenden Begriff Didaktik näher zu beleuchten.
Der Begriff Didaktik kann
allgemein wie folgt definiert werden:
Didaktik [griechisch] die, ursprünglich Lehrkunst; heute allgemein als die Wissenschaft vom Lehren und Lernen (Unterrichtslehre) aufgefasst oder als die Theorie der Bildungsinhalte und des Lehrplans (Was wird unterrichtet?), der die Didaktik der Methode (Wie wird unterrichtet?) gegenübergestellt wird. Das Verhältnis von Didaktik (Ziel / Inhalt) zur Methode, früher als Primat der Didaktik verstanden, wird als »Implikationszusammenhang« beschrieben, der von »method. Leitfragen« strukturiert wird. Die allgemeine Didaktik sucht die innere Gliederung des Bildungsvorgangs, den systematischen Zusammenhang der Faktoren allen Unterrichts sowie die Struktur des Lehrgefüges (Bildungskanon) zu erfassen und allgemeine Unterrichtsprinzipien herauszuarbeiten. Daneben stehen verschiedene spezielle Didaktiken wie die Fachdidaktik (Begründung und Zielsetzung des jeweiligen Fachs, dessen Stellung im Fächerkanon sowie dessen fach-spezifische Inhalte), die Bereichsdidaktik (Gemeinsamkeiten inhaltlich ähnlich strukturierter Fächer oder Lernbereiche) sowie die Didaktik einzelner Schulstufen (Kriterien für Primarstufe, Orientierungsstufe, Sekundarstufe I und II; Hochschuldidaktik und die Didaktik der Weiterbildung).
(Meyers Lexikon Online 2.0; http://lexikon.meyers.de/meyers/Didaktik /; 16.01.2008)
Der Begriff Didaktik umfasst
somit - im Rahmen der Unterrichtslehre - nicht nur das Wie und das Was der
Wissensvermittlung, sondern weist neben ihrer allgemeinen zusätzlich eine
spezifischere Ausrichtung auf, indem sie auf unterschiedliche Fächer, Schulstufen,
auf die Hochschule und die Erwachsenenbildung bezogen werden kann. Für unsere
weiteren Ausführungen legen wir diesen breiten Didaktik-Begriff zu Grunde, der abstrakte, theorieorientierte Ansätze
umfasst und sich - von diesen ausgehend - konkreten Fragestellungen widmet, bis
hin zu alltäglichen Problemen der Unterrichtsrealität. Von diesem Verständnis
des Begriffes Didaktik kann der
Begriff Prüfungsdidaktik in direkter
Linie abgleitet werden: Es handelt sich hierbei um die Lehre von der
Vermittlung des Prüfens, also um das Was
und das Wie des Prüfens auf theoretischer
Grundlage mit Orientierung an der Praxis und an der jeweiligen Zielgruppe. Die
teleologische Ausrichtung des Begriffes sind somit Prüfungen jeglicher Art, die
einer möglichst großen Objektivierung zugänglich gemacht werden sollen, was
unter anderem durch entsprechende Methodisierung - in entsprechenden
Prüfungsformen unter Einschluss von Standardisierung - erfolgen kann.
Wie dies für den Begriff Didaktik
gilt, ist auch der Begriff Prüfungsdidaktik
fächerübergreifend: Seinen Bezugsrahmen stellen alle existierenden Wissenschaften
dar - einschließlich aller Schulfächer, in denen Prüfungen welcher Art und
Ausprägung auch immer durchgeführt werden. Der Begriff ist somit nicht nur von
allgemeiner Ausprägung, sondern auch von genereller Relevanz, was auf die
beachtliche Bedeutung dieses Faches verweist.
In folgerichtiger Anwendung der bisher angestellten Reflexionen ergeben sich
als Zielgruppe des Faches zunächst die Prüfer selbst: Es ist von grundlegender
Bedeutung, ihnen die Fähigkeit des effizienten Prüfens zu vermitteln, was im
Rahmen der Prüfungsdidaktik zu
geschehen hat. Zielgruppe sind jedoch ebenso die Prüflinge, also die Adressaten
der Gruppe der Prüfenden. Im Rahmen unseres Ansatzes wird den Prüfern die
Priorität eingeräumt - mit dem Ziel, ihnen dazu zu verhelfen, die ihnen
anvertrauten Prüflinge fachlich kompetent und effizient - und ebenso menschlich
korrekt - in ihrem Wissen, ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten zu examinieren
und sie gegebenenfalls dem jeweils nächsten Schritt ihrer (hoch)schulischen
oder beruflichen Karriere zuzuführen.
Das Fach Prüfungsdidaktik,
dessen Schaffung von uns in der Monographie gleichen Titels (vgl. Tinnefeld
2002) gefordert worden ist, zielt somit auf die Schließung einer Lücke im Kanon
der bestehenden Wissenschaften ab. Es ist verwunderlich, dass - obwohl seit der
Entstehung der ersten Fächer und Wissenschaften und deren Vermittlung und seit
der im Laufe der Zeit immer weiter fortgeschrittenen Institutionalisierung des
Berufs des Wissensvermittlers und Lehrers in welcher Form auch immer geprüft
worden ist - bis zum Jahre 2002 niemand auf den Gedanken kam, das Fach Prüfungsdidaktik zu definieren und zu
systematisieren. Dass die Schaffung dieses Faches bis dato nicht gesehen worden
war, zeigt sich exemplarisch daran, dass es in grundlegenden Publikationen zur
Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung, in denen namhafte Vertreter zu
Wort kommen - und hiermit sind Sammelbände im Stile von Bausch et al. (1995)
und Herbig et al. (2000) gemeint, um exemplarisch zwei vor dem Jahre 2002
erschienene Werke zu nennen - nicht auftaucht und es auch keinerlei Hinweis auf
die Schaffung eines auf Prüfungen bezogenen Faches gibt[2].
Gegenwärtig ist jedoch eine positive Entwicklung zu konstatieren: Die
Internet-Suchergebnisse zu dem Begriff Prüfungsdidaktik
haben sich in den vergangenen Jahren quantitativ beträchtlich erhöht - man
vergleiche die Zahlen von 635 (jedoch nicht immer einschlägigen) Einträgen am 06.10.2007,
von 2.180 Einträgen am 20.03.2010 und von 9.640 Einträgen am 18.02.2012, die
man erhält, wenn man den Begriff „googelt“, was nicht zuletzt auf unsere
eigenen Publikationen zur Prüfungsdidaktik zurückzuführen ist. Dies bedeutet,
dass mit dem Begriff Prüfungsdidaktik
gearbeitet wird, was bereits einen Erfolg darstellt. Dies bedeutet jedoch noch
nicht, dass die Erkennung der Notwendigkeit des ‚Faches’ Prüfungsdidaktik
bereits in befriedigender Weise erfolgt sei: Noch sind keine Lehrstühle für
Prüfungsdidaktik geschaffen wor-den und noch kann das Fach nicht studiert
werden - auch nicht als Teilfach beispielsweise im Rahmen eines
Fremdsprachenstudiums. Es ist bis zu der Verwirklichung dieser Entwicklung zwar
noch ein weiter Weg zurückzulegen, dennoch ist das bisher Erreichte - besonders
nach der wissenschaftshistorisch kurzen Zeitspanne von nur neun Jahren - als
durchaus vielversprechend zu werten. Und dies, nachdem mit der
Prüfungsdidaktik zuvor nicht nur ein Fach von hoher Relevanz für die
Examinierung Lernender und die Kontrolle erlernten Wissens übersehen worden war,
sondern auch eines, das - als positiver Nebeneffekt - auf empirischer Grundlage
wichtige Aufschlüsse über das Lehren und Lernen selbst zu geben vermag. In
diesem Zusammen-hang ist festzustellen, dass unsere erwähnte Publikation (Tinnefeld
2002) bis heute bereits einen gewissen Einfluss auf die Entwicklung des Faches
hatte, dass es jedoch in Zukunft noch mehr Wissenschaftler, Lehrende und
Studierende geben muss, in deren Köpfen sich die Erkenntnis der hohen Bedeutung
und immensen Relevanz des Faches Prüfungsdidaktik
festsetzt. Wir befinden uns somit auf einem guten Weg, zu dessen weiterer
Vervollkommnung die vorliegende Monographie beitragen soll.
In der Konsequenz unserer zuvor angestellten Reflexionen lässt sich der
Begriff Prüfungsdidaktik wie folgt
definieren:
Unter Prüfungsdidaktik verstehen wir die Lehre vom wissenschaftlichen Prüfen – unter Berücksichtigung aller dort tätigen Individuen, also der Prüferinnen / Prüfer und der Prüflinge -, deren Ziel es ist, Prüfungen methodisch zu motivieren, zu objektivieren und ggf. zu standardisieren, und somit den ad hoc-Charakter, der Prüfungen vielfach anhaftet, so weit wie möglich zu minimieren. Prüfungsdidaktik ist per se fächerübergreifend und bezieht sich auf alle Wissenschaftsbereiche, in denen Prüfungen durchgeführt werden. Sie bezieht sich ebenso auf alle Institutionen, an denen geprüft wird: Universitäten und Hochschulen sowie alle Schulformen, vom Gymnasium bis hin zur Hauptschule (einschließlich der Sonder-Schulformen). Sie schließt die Prüfungen selbst und deren Vorbereitung durch den Prüfer ebenso ein wie die Vorbereitungen der Prüflinge auf sie – also auch den zu den Prüfungen hinführenden Unterricht. Die Prüfungsdidaktik stellt somit eine gesamthafte, neue Wissenschaft dar. (Tinnefeld 2002: 6)
Nach dieser terminologischen Abklärung wollen wir uns nun dem Gegenstandsbereich
der Prüfungsdidaktik zuwenden.
2.2 Aufgaben und
Ziele der Prüfungsdidaktik
Die Prüfungsdidaktik hat klar definierte Aufgaben und verfolgt
eigenständige Ziele (vgl. hierzu auch Tinnefeld 2002: 7ff), die ihr als
Wissenschaft einen distinktiven Wert beimessen. In diesem Sinne stellen die
Aufgaben der Prüfungsdidaktik jeweils den Ausgangspunkt der im Folgenden zu
beschreibenden Bereiche dar; die Ziele repräsentieren die jeweiligen Endpunkte.
Ändern sich die Ziele in toto oder
partiell, so sind auch die Aufgaben zu modifizieren. Graphisch kann dieses
wechselseitige Verhältnis wie folgt veranschaulicht werden:
Abb. 11: Aufgaben und Ziele der Prüfungsdidaktik
Aufgrund dieser wechselseitigen Abhängigkeit zwischen den Aufgaben und
den Zielen der Prüfungsdidaktik werden beide im gegebenen Kontext gemeinsam
behandelt.
Auf der Basis der zuvor (vgl. Kap. 2.1) gegebenen Definition lassen sich
als die wichtigsten Aufgaben dieses Faches die Objektivierung, Methodisierung
und gegebenenfalls die Standardisierung
von Prüfungen festmachen. Ziel ist dabei eine fundierte theoretische Grundlage,
auf der diese entwickelt bzw. in der bereits bestehenden Forschung weiter
vorangetrieben werden. Der Theorie kommt somit eine besondere Bedeutung zu:
Ohne sie wäre die Prüfungsdidaktik als Wissenschaft in ihrem Wert gemindert.
Die Theorie muss jedoch teleologisch auf die Praxis weisen: Die auf
theoretischer Ebene gewonnenen Erkenntnisse und die auf empirischer Ebene
erfassten Daten sind in letzter Konsequenz nur dann von Nutzen, wenn sie
Auswirkungen auf die Prüfungspraxis haben, diese also in geeigneter Weise zu
verbessern helfen. Zu der theoretischen und empirischen Fundierung tritt in der
Prüfungsdidaktik somit der unleugbare und für sie essentielle Praxisbezug.
Dieser Praxisbezug schmälert die Qualität der Theoriebildung dieser Wissenschaft
dabei nicht im Geringsten. Das Gegenteil ist der Fall: Durch den angestrebten
Praxisbezug gewinnt die Prüfungsdidaktik eine Dimension, der vielen Wissenschaften
entweder nie wirklich inhärent war oder ihnen im Laufe ihrer Entwicklung
abhanden gekommen ist. Der Praxisbezug ist somit ein dringendes Desiderat
dieser Wissenschaft. Mit diesem Praxisbezug verbunden ist das Bestreben, größtmögliche
Konkretheit in den theoretischen Aussagen zu erzielen, den höchsten denkbaren
Grad an Anschaulichkeit bereit zu stellen und ausnahmslos einen dezidierten
Adressatenbezug zu gewährleisten, damit prüfungsdidaktische Erkenntnisse nicht
nur theoretisch in zugänglicher Weise verstanden werden, sondern auch in möglichst
effizienter Art und Weise in die Praxis umgesetzt werden können.
Im Folgenden wird es darum gehen, den umrissenen Problembereich näher
zu beschreiben. Zunächst wird die Aufgabe der Prüfungsdidaktik im Mittelpunkt
stehen, objektive Prüfungen sicherzustellen.
2.2.1 Objektive
Prüfungen
Die Realisierung objektiver Prüfungen (vgl. ergänzend auch Tinnefeld
2002: 7ff), setzt die exakte Beschreibung relevanter Prüfungssituationen voraus
- in mündlichen Prüfungen, aber auch in schriftlichen Prüfungen, die ebenso
situational analysiert werden können. Diese Beschreibung ist auf theoretischer
Ebene zu erarbeiten und kann in unterschiedlichen Perspektiven erfolgen. Diese
sollen im Folgenden kurz dargestellt werden.
Allgemein kann formuliert werden, dass die Objektivität einer Prüfung
dann gegeben ist, wenn das Ergebnis in Unabhängigkeit vom Prüfer ermittelt
worden ist (vgl. hierzu auch Jäger 2000: 185f). Im gegebenen Zusammenhang
wollen wir unterschiedliche Ausprägungen bzw. Subtypen objektiver Prüfungen
zugrunde legen: fachlich, psychologisch, interaktiv, qualitativ und quantitativ
objektive Prüfungen.
2.2.1.1 Fachlich
objektive Prüfungen
Um Prüfungen fachlich so objektiv wie möglich zu gestalten, sind
zentrale Fragen zu klären, die an dieser Stelle anhand zweier exemplarischer
Bereiche angerissen werden sollen:
- Welche fachlichen Inhalte werden geprüft?
Es existieren Inhalte, die Affinitäten zu bestimmten Prüfungsformen
aufweisen in anderen dagegen eher gemieden werden sollten. Wir werden uns an
anderer Stelle[3] mit
diesem Gesichtspunkt näher befassen. Daher sollen hier nur einige kurze Hinweise
genügen. Prüfungsinhalte, die die Berücksichtigung vieler Einzeldetails
beinhalten, tendieren eher zu schriftlichen Prüfungen als zu mündlichen, da den
Prüflingen in Letzteren im Allgemeinen nicht ausreichend Zeit zur Analyse der
gegebenen Daten zur Verfügung steht. Die Erkenntnis einer besseren oder weniger
guten Eignung gegebener Inhalte für bestimmte Prüfungstypen ist von der
Prüfungsdidaktik zu erforschen und sollte dann von Prüfungspraktikern entsprechend
in die Tat umgesetzt werden. Durch beide Gruppen - Forscher wie auch Prüfer -
ist ein theoretisch begründetes Gespür für die Eignung von Themenbereichen für
Prüfungen und entsprechende Affinitäten zu entwickeln.
- Die Behandlung welcher Inhalte kann von den Prüflingen einer
gegebenen Adressatengruppe erwartet bzw. nicht erwartet werden?
Von studentischen Prüflingen kann sicherlich nicht erwartet werden, sich
in Schriftlichen Hausarbeiten mit Themen zu beschäftigen, die auf Grund ihres
Umfangs und ihrer Tiefgründigkeit eine Behandlung im Rahmen von Dissertationen
erforderlich machen. Hier ist es Aufgabe der Prüfer, die jeweilige inhaltliche
Angemessenheit einzuschätzen und ihre Prüflinge nicht zu überfordern, sie
jedoch auch nicht zu unterfordern. Prüfer bedürfen in solchen Fragen einer
gewissen Hilfestellung, die die Prüfungsdidaktik bereitstellen kann (vgl.
hierzu auch Kap. 5). Ein Anliegen der Prüfungsdidaktik ist es, die Gewährleistung
fachlich objektiver Prüfungen zu ermöglichen. Sie stellt somit ein Bindeglied
dar zwischen der fachlichen Ausbildung der Prüflinge einerseits und der auf
dieser beruhenden Vergabe von Qualifikationen - und somit auch Lebenschancen -
andererseits.
In diesem Zusammenhang sind weitere Gesichtspunkte von Relevanz. Diese
sollen hier jedoch nicht angesprochen werden, da sie im weiteren Verlauf der vorliegenden
Arbeit ohnehin behandelt werden. An dieser Stelle geht es lediglich darum, die
verschiedenen Ausprägungen der Prüfungsdidaktik anzusprechen, um den folgenden
Ausführungen den Boden zu bereiten.
2.2.1.2
Psychologisch objektive Prüfungen
Prüfungen können in psychologischer Hinsicht nur dann in mehr oder
minder objektiver Art und Weise abgenommen werden, wenn die jeweilige Prüfungssituation
in zentraler Form mitberücksichtigt wird. Diese situationale Berücksichtigung reicht
von dem Typ der Prüfung - einer mündlichen oder schriftlichen, einer Einzel-
oder Gruppenprüfung - bis hin zu der Frage, ob ein gegebener Prüfling sich
leicht von Stress-Situationen beeinflussen lässt und seine allgemeine
Leistungsfähigkeit dadurch eingeschränkt wird. Werden Faktoren wie die
genannten von den Prüfern nicht in Betracht gezogen, dann kann eine gegebene
Prüfung nicht objektiv sein, da dann wichtige, das Individuum des Prüflings
berücksichtigende, psychologisch relevante Parameter nicht einbezogen werden. Soll
eine Prüfung die fachlich relevante Leistungsfähigkeit eines Prüflings messen
und nicht seine Bewältigung von Stress-Situationen, dann dürfen die genannten
Faktoren somit nicht außer Acht gelassen werden. Die Prüfungsdidaktik hat die
Aufgabe, das prinzipielle Dilemma, das sich für Prüfer in diesem Zusammenhang
stellt, zu diskutieren und einer möglichen, allgemeinen Lösung zuzuführen, um
auf der einen Seite dem individuellen Prüfling gerecht zu werden und auf der
anderen Seite die überindividuelle Gerechtigkeit - also die Chancengleichheit
aller Prüflinge - miteinander in Einklang zu bringen. Auch wenn die Lösung
dieses Dilemmas eine erhebliche Herausforderung darstellt, ist die
Prüfungsdidaktik hier gefordert und wird sicherlich in der Lage sein,
modellhafte Vorschläge anzubieten.
2.2.1.3
Interaktiv objektive Prüfungen
Mit dem Begriff interaktiv
objektive Prüfungen ist die Konstellation zwischen Prüfer(n) und
Prüfling(en) gemeint. Auch dieser Begriff bezieht sich auf alle Typen von
Prüfungen, da Prüfungen jeglicher Ausprägung auf Interaktion basieren[4].
Folglich wird er in der vorliegenden Arbeit auf alle Prüfungstypen angewandt.
In mündlichen Prüfungen stellt sich das Problem potentieller Kommunikationsprobleme
zwischen Prüfer und Prüfling[5].
Kennen sich beide nicht hinreichend und wissen nicht um die Eigenheiten der verbalen
Enkodierung ihres Interaktionspartners und dessen intellektuelle Ausrichtung,
kann es leicht zu der Entstehung von Missverständnissen[6]
kommen, die sich unmittelbar auf den Ausgang der Prüfung auswirken können. In
diesen Fällen kann der Prüfling seine intellektuellen Fähigkeiten nicht voll zur
Geltung bringen, was die Validität der Prüfung beeinträchtigt. Eine solche
Prüfung ist dann in interaktionaler Hinsicht nicht hinreichend objektiv.
Eine ähnliche Entwicklung kann sich in Klausuren und auch in
Schriftlichen Hausarbeiten ergeben, wenn der Prüfling nicht genau weiß, woran
dem Prüfer inhaltlich gelegen ist bzw. auf welche Weise er im Allgemeinen seine
Fragen formuliert. Auch in einer solchen Situation können Missverständnisse
entstehen, die die Validität der Prüfung schmälern und das Prüfungsergebnis
durch interaktionale Faktoren verfälschen.
Die Prüfungsdidaktik wird sich darum bemühen müssen, die mögliche Vermeidung
von Konstellationen wie den beschriebenen anzustreben - und zwar auf
theoretischer und auf praktischer
Ebene. Ihre Aufgabe ist es dann, die unterschiedlichen Konstellationen zwischen
Prüfern und Prüflingen bewusst zu machen und beide Interaktanten zu der
Reflexion über Sachverhalte zu befähigen, die ihnen intuitiv zwar bekannt sein
dürften, die jedoch in ihrer Mehrzahl nicht willentlich von ihnen beeinflusst
werden können.
Ein weiterer Aspekt, den die Prüfungsdidaktik zu untersuchen hat, sind
die Auswirkungen von Sympathie und Antipathie zwischen Prüfer und Prüfling.
Diese mögen in manchen Fällen überbewertet werden; in anderen mögen sie für den
Misserfolg von Prüflingen von entscheidender Bedeutung sein. Die Prüfungsdidaktik
hat in diesem Zusammenhang die Aufgabe, entsprechende Mechanismen zu
untersuchen. Sie hat jedoch über diese Ebene der reinen Beschreibung
hinauszugehen und durchsetzbare Sanktionen gegen Prüfer zu fordern, die ihre
Prüflinge auf Grund von Antipathie durchfallen lassen, und stellt damit eine
Institution dar, die den Prüflingen mehr Rechte zu verleihen bestrebt ist und
ihnen größere Sicherheit in Prüfungen vermittelt. In dieser Hinsicht hat die
Prüfungsdidaktik auch juristische Implikationen.
2.2.1.4
Qualitativ objektive Prüfungen
Prüfungen haben neben allen anderen genannten Faktoren auch qualitativ
objektiv zu sein. Hier sprechen wir - zusätzlich zu dem Gütekriterium Objektivität - die Kriterien Reliabilität und Validität an. Objektiv sind Prüfungen - wie zuvor beschrieben - dann,
wenn sie Neutralität und Unvoreingenommenheit gewährleisten. Reliabel ist eine Prüfung dann, wenn
sich das ermittelte Ergebnis unter der Bedingung der gleichen Variablen in
identischer Weise wiederholen lässt. Der Begriff Reliabilität bezieht sich
somit auf die Zuverlässigkeit einer Prüfung (vgl hierzu auch Jäger 2000:
187f). Valide ist eine Prüfung dann,
wenn sie genau das misst, was sie zu messen vorgibt, wenn also Aufgabenstellung
und Lernziele zueinander in einem Verhältnis der Folgerichtigkeit stehen[7].
In den verschiedenen Prüfungsformen ist die Erzielung von Reliabilität
nur sehr schwer zu gewährleisten: Prüfungen jedweder Art können im Allgemeinen
nicht in identischer Form wiederholt werden, da Prüfer und Prüflinge im Rahmen
von Prüfungen Lernprozesse durchlaufen und diese die mögliche Wiederholung
einer gegebenen Prüfung mit den gleichen Interaktanten beeinflussen. Bei einem
Wechsel von Prüfern und Prüflingen stellt sich diese Situation anders dar,
allerdings muss bei genauerer Betrachtung dieser Wechsel dann als Verminderung
oder gar Aufhebung der Konstanz der Ausgangssituation und somit als Verstoß
gegen die Regeln zur Feststellung der Reliabilität gewertet werden. Die
Erzielung vollkommener Reliabilität
scheint in Prüfungen daher kaum möglich zu sein. Dennoch hat die Prüfungsdidaktik
die Aufgabe, dazu beizutragen, Reliabilität - in aller möglichen Unvollkommenheit
und dem Bewusstsein dieser - so gut wie möglich herzustellen. Da die Prüfungsdidaktik
jedoch nicht mit der Testtheorie gleichzusetzen ist (vgl. hierzu auch Kap. 1.3
und 2.3.2.3), spielt die Reliabilität innerhalb ihrer eine andere, ein wenig
relativierte Rolle als in jener. Dennoch muss die Prüfungsdidaktik den Prüfern
- und gegebenenfalls auch den Prüflingen - die generelle Bedeutung dieses
Konzeptes vermitteln.
Ein weiteres zentrales Gütekriterium jeder Prüfung stellt die Validität
dar: Wird in einer Prüfung nicht das geprüft, was geprüft werden soll, dann ist
die Prüfung mehr oder minder wertlos. Die Erfüllung der Validität entscheidet
unmittelbar über die Qualität von Prüfungen und ebenso über deren Objektivität:
Ist eine Prüfung nicht valide, so kann sie allein aus dem Blickwinkel der Logik
heraus nicht objektiv sein. Die Prüfungsdidaktik hat in diesem Zusammenhang
die Aufgabe, praktizierenden Prüfern das Konzept Validität nahe zu bringen und dies in praxisnaher Form auf
fundierter theoretischer Grundlage zu tun: Es steht zu befürchten, dass dieses
Konzept vielen Prüfern weitgehend unbekannt ist und sie es folglich bei der
Erstellung ihrer Prüfungen nicht berücksichtigen. Auch wenn dieses Kriterium
innerhalb der Testtheorie bereits seit langem existiert, so hat die
Prüfungsdidaktik die Aufgabe, es bekannter zu machen, als dies bisher der Fall
ist. Im Unterschied zur Testtheorie, die sich nur auf einen Bruchteil
derjenigen Prüfungen bezieht, die an Schule und Hochschule täglich abgenommen
werden, ist die Prüfungsdidaktik umfassen-der und erreicht somit mehr
praktizierende Prüfer (vgl. auch Kap. 2.3.2).
Nur unter der Bedingung, dass die genannten Gütekriterien in
zufriedenstellender Form umgesetzt werden, können Prüfungen objektiv und
qualitativ hochstehend sein. Für die erfolgreiche Gestaltung von Prüfungen
spielt neben ihrer Qualität jedoch auch ihre Quantität eine wichtige Rolle.
2.2.1.5
Quantitativ objektive Prüfungen
Prüfungen müssen zumindest zwei unterschiedlich gelagerte Bedingungen
der Quantität erfüllen, um objektiv sein zu können. Dabei handelt es sich um
die Länge der einzelnen Prüfung einerseits und um die Anzahl der zu prüfenden
Kandidaten andererseits. Wir wollen uns zunächst mit der Länge der einzelnen
Prüfung befassen (vgl. hierzu auch Kap. 4.3).
Ist eine Prüfung zu kurz - werden also in einer schriftlichen Prüfung zu
wenige Items abgefragt oder wird in einer mündlichen Prüfung eine zu kurze Zeitspanne
angesetzt -, so kann diese Prüfung nicht objektiv sein. Ein Student kann zum
Beispiel in einer fünfminütigen mündlichen Prüfung unter keinen Umständen sein
Wissen in adäquater Form präsentieren. Dies ist weder in inhaltlich
orientierten noch in sprachlich orientierten Prüfungen möglich. Jede Prüfung -
ob schriftlich oder mündlich - muss daher eine gegebene Mindestzeitspanne
abdecken, um den Prüflingen die Möglichkeit zur Selbstentfaltung zu geben. Die
Dauer der einzelnen Prüfung ist dabei nicht allgemein zu bestimmen, sondern sie
muss im Einzelfall festgesetzt werden. Die Prüfungsdidaktik kann dabei wichtige
Orientierungspunkte entwickeln, nach denen die angemessene Dauer von Prüfungen
festgelegt werden kann. Das Qualitätsmerkmal Angemessenheit bedeutet in diesem Zusammenhang, dass eine Prüfung nicht
zu kurz, aber auch nicht zu lang sein darf, da sie in diesem Falle zum einen
unökonomisch wäre und zum anderen die Prüflinge von der Klimax ihrer
Leistungsfähigkeit wegführen würde. Stellt man sich eine Prüfung wie eine Kurve
vor - mit einer Aufwärmphase, einer Phase der höchsten Intellektuellen
Leistungsfähigkeit und einer Phase des Konzentrationsabfalls -, so sollte die
Prüfung beendet werden, bevor dieser Konzentrationsabfall idealtypisch
einsetzt:
Die Prüfungsdidaktik hat hier - zusammen mit der Psychologie - entsprechende
adäquate und funktionale Zeitvorgaben zu entwickeln, die dazu führen, dass die
Leistungsfähigkeit der Prüflinge auf möglichst zuverlässige und damit objektive
Art und Weise festgestellt werden kann.
Unter quantitativem Aspekt können Prüfungen auch nur unter der Bedingung
objektiv sein, dass ein gegebener Prüfer nicht zu viele Prüflinge zu versorgen
hat. Hat ein Prüfer zu viele Klausuren zu korrigieren und zu viele mündliche
Prüfungen abzunehmen, so kann er sich dieser Arbeit nicht mehr mit der
notwendigen Konzentration und der für diese Arbeit essentiellen Ruhe widmen: Es
steht unter dem ständigen Druck, jede Prüfung aus seiner Sicht so schnell und
unproblematisch wie möglich hinter sich zu bringen und hat nicht mehr in erster
Linie die Ermittlung einer gerechten und den Leistungsstand des Prüflings
möglichst exakt abbildenden Note als oberstes Ziel vor Augen. In einer solchen
Stress-Situation ist es schlicht unmöglich, Prüfungen in objektiver Weise
durchzuführen. Die Prüfungsdidaktik hat somit die Aufgabe, entsprechende
Obergrenzen von Prüfungen zu ermitteln, die ein Prüfer innerhalb eines
Semesters nicht überschreiten sollte, und somit entsprechende Empfehlungen auszusprechen.
Auch diese Aufgabe der Prüfungsdidaktik ist von hohem Wert und stellt einen
Indikator ihrer Notwendigkeit zum einen und ihrer Bedeutung zum anderen dar.
Im Rahmen der Objektivität von Prüfungen wären durchaus noch weitere
Gesichtspunkte zu nennen. Wir streben an dieser Stelle jedoch keine Vollständigkeit
in der Darstellung an, sondern wollen lediglich die Bandbreite der
Prüfungsdidaktik unter dem hier relevanten Blickwinkel darstellen. Ebenso kann
nicht erwartet werden, dass all die Fragen, die an dieser Stelle und in anderen
Teilen der vorliegenden Arbeit aufgeworfen werden, bereits hier einer
Beantwortung zugeführt werden. Hier wie auch an anderen Stellen der Arbeit geht
es vielmehr darum aufzuzeigen, welche Fragen die Prüfungsdidaktik stellen und
mittel- bis langfristig zu beantworten bestrebt sein sollte. Es geht somit
nicht zuletzt darum, das enorme Potential aufzuzeigen, das der Prüfungsdidaktik
inhärent ist, und auf diese Weise die dringende Notwendigkeit ihrer Existenz
festzustellen.
Im Folgenden wenden wir uns - in Ergänzung zu dem Ziel der Durchführung
objektiver Prüfungen - der Prüfungsmethodik zu.
2.2.2 Methodische
Prüfungen
Wenn wir hier von methodischen
Prüfungen sprechen (vgl. auch Tinnefeld 2002: 9f), meinen wir damit die
konkrete Durchführung von Prüfungen, einschließlich einer umfassenden Planung dieser.
Die Planung von Prüfungen umfasst ihrerseits die allgemeine Konzeption von
Prüfungstypen und Prüfungsdurchgängen sowie deren Umsetzung in die Praxis. Am
entgegengesetzten Ende dieses Kontinuums steht die individuelle Vorbereitung
einer gegebenen Einzelprüfung. Die Betonung liegt hier auf der Methode der
Prüfungsplanung und Durchführung sowie - in einer Überhöhung dieser - in einer
umfassenden Methodik. Dabei verstehen wir den Begriff Methodik im Rahmen der Pädagogik hier wie folgt:
Methodik [griechisch] die, Pädagogik: die Lehre von den Lehr- und Unterrichtsverfahren auf den einzelnen Stufen für die verschiedenen Lehrstoffe. (Meyers Lexikon Online 2.0 (2007); http://lexikon.meyers.de/meyers/Methodik /; 18.01.2008).
In unserer Anwendung auf Prüfungen ersetzen wir die in der Definition
erwähnten „Lehr und Unterrichtsverfahren“ durch den Begriff „Prüfungsverfahren“
und die erwähnten „Lehrstoffe“ durch den Begriff „Prüfungen“, konkretisieren
den Begriff „Stufen“ in der Form „(Aus)Bildungsstufen“ und erhalten dann - auf
der Basis der zuvor zitierten Definition - als Arbeitsdefinition des Begriffs Prüfungsmethodik, wie wir ihn im Rahmen
der Prüfungsdidaktik verwenden können, folgende Formulierung:
Prüfungsmethodik die: die Lehre von den Prüfungsverfahren für die verschiedenen, auf den einzelnen (Aus-)Bildungsstufen existierenden Prüfungen.
Wenn der Begriff Prüfungsmethodik
unterschiedliche Prüfungsverfahren umfasst, so ist eine Prüfmethode eines dieser Prüfungsverfahren. Beiden Begriffen
übergeordnet ist derjenige der Methodisierung,
der sich dann auf die Erarbeitung einer Lehre von den erwähnten Prüfungsverfahren
bezieht. Wir erhalten somit eine terminologische Dreischrittigkeit. Diese ist graphisch
in Abbildung 13 veranschaulicht:
Dabei stellt die Methodisierung die oberste - somit theoretischste - Abstraktionsebene
dar und die Methode die konkreteste und somit am meisten an der Praxis
orientierte. Alle drei Ebenen leiten ihre Existenzberechtigung von den jeweils
an sie gestellten Anforderungen ab. Die Prüfungsdidaktik muss sich auf allen
Ebenen gleichermaßen bewegen, um die Realisierung methodisch einwandfreier
Prüfungen zu gewährleisten.
In der Praxis sind Fragen der Prüfungsmethodik auf verschiedenen Ebenen
zu klären. In einem auf die einzelne Prüfung bezogenen Ansatz sind deren
einzelne Schritte zu methodisieren und zu systematisieren. Gemeint sind
hier beispielsweise die einzelnen
Schritte einer bestimmten schriftlichen oder mündlichen Prüfung. Diese sind
damit ebenso gemeint wie die Schritte, die ein Prüfer für die Vorbereitung und
Durchführung dieser Prüfer zu durchlaufen hat und diejenigen, die ein Prüfling
zu absolvieren hat, um die Prüfung erfolgreich zu bestehen. Mit diesen
Schritten kann eine gegebene Gesamtprüfung ebenso gemeint sein wie eine
gegebene Teilprüfung.
Ein weiteres Kriterium der Methodisierung von Prüfungen, das von
erheblicher Bedeutung ist, stellt die Ausbildung der Prüfer dar. Angesichts der allgemein gegebenen guten Strukturierung akademischer Studiengänge an
deutschen Hochschulen - einschließlich aller involvierten, sachlich am jeweiligen
Stoff orientierten und organisatorisch relevanten Gesichtspunkte - ist das
weitgehende Fehlen der Ausbildung der Fertigkeit des Prüfens in den
verschiedenen Studienfächern verwunderlich: Das Prüfen wird als Fertigkeit
nicht gelehrt! Da potentiell alle Studierenden eines jeden Studienfaches in
ihrer späteren Berufslaufbahn in die Situation geraten können, zumindest
phasenweise als Prüfer - im weitesten Sinne des Wortes - zu arbeiten, ist es
dringend notwendig, die Fertigkeit des Prüfen zu lehren. Wird diese spezielle
Fertigkeit nicht gelehrt, so ergibt sich daraus die plausible Konsequenz, dass
die späteren Prüfer mit großer Wahrscheinlichkeit in der gleichen Weise prüfen,
wie sie selbst geprüft worden sind, und damit eine Verallgemeinerung eigener
Erfahrungen vornehmen, die vorwissenschaftlich bleiben muss und keinerlei
fundierter Methodisierung und Systematisierung standhält. Eine solche Generalisierung
muss nicht per se negativ sein: Wer
in seiner Schul- und Hochschullaufbahn gute Prüfer hatte, wird auf dem Hintergrund
dieser Erfahrungen sicherlich ein ebenso guter Prüfer werden. Problematisch ist
nur, dass auch die eigenen Prüfer das Prüfen nicht gelernt hatten und somit
auch nur induktiv auf dem eigenen Erfahrungsschatz aufbauend - mehr oder minder
autodidaktisch - agieren konnten. Dabei ist anzunehmen, dass der hier
geschilderte positive Fall der persönlichen Entwicklung eines Prüfers die
Ausnahme darstellt. Viel wahrscheinlicher ist es, dass durch den Mangel an
Instruktion zum Prüfen auf dieser tentativen und jeweils am eigenen
Erfahrungsschatz orientierten Ebene schlechte Prüfer generiert werden.
Insgesamt bedeutet dies, dass es zum gegenwärtigen Stand der Forschung zu einem
erheblichen Ausmaß vom Zufall abhängt, ob aus universitären Studien gute oder
schlechte Prüfer hervorgehen. Wenn hier einer entsprechenden Methodisierung und
Systematisierung in der Ausbildung von Prüfern das Wort geredet wird, so aus
dem Grunde, dass diese von erheblicher Notwendigkeit ist. Nimmt man nur die
soeben angestellten Reflexionen als Basis für eine entsprechende Konklusion, so
kann diese nur darin resultieren, dass das Fach Prüfungsdidaktik ein dringendes Desiderat darstellt. Seine immer
weitergehende, methodische und systematische Schaffung ist von erheblicher
Notwendigkeit für die Sicherung der Qualität des Ausbildungssystems. In dieser
Perspektive bezieht sich die Methodisierung und Systematisierung, wie wir sie
hier verstehen, letztendlich nicht nur auf die Durchführung von Prüfungen und
die entsprechenden Interaktionspartner - also Prüfer und Prüflinge - und auf
die inhaltliche Füllung der damit in Zusammenhang stehenden inhaltlichen
Erfordernisse, sondern nicht zuletzt auf das Fach Prüfungsdidaktik selbst - auf seine weitergehende Verbreitung und
letztlich auf seine Etablierung.
Im Rahmen der Prüfungsdidaktik ist somit zu fordern, dass heutige und
zukünftige Prüfer und Prüferinnen eine qualifizierte Ausbildung erhalten. Diese
muss zum einen im Rahmen der jeweiligen universitären Fachstudien erfolgen und
sollte in den späteren Berufsjahren, in denen sie als Lehrer, Hochschullehrer
oder in verwandten Tätigkeitsbereichen arbeiten, durch regelmäßige Fortbildungen
auf dem aktuellen Forschungsstand gehalten werden: Nur wenn praktizierenden
Prüfern regelmäßige Fortbildungen angeboten werden, kann die Qualität
(hoch)schulischer Prüfungen dauerhaft gewährleistet sein.
Zu fordern ist in diesem Zusammenhang auch, dass Prüfer in ihrer
jeweiligen Prüfungstätigkeit beraten werden (vgl. hierzu auch Kap. 2.2.4).
Prüfer, die in ihrer wichtigen Tätigkeit ausschließlich auf sich allein
gestellt sind, laufen Gefahr, im Laufe der Zeit durch die negativen Seiten
ihrer Professionalisierung in einen circulus
viciosus zu geraten, aus dem sie ohne Hilfe von außen kaum mehr
herausfinden. Da in diesem Bereich ein regelmäßiger Austausch mit Kollegen
kaum gegeben sein dürfte - denn jeglicher Austausch beinhaltet durch die sich
dafür ergebende Notwendigkeit, den eigenen Kollegen Einblick in die eigene Prüfungspraxis
zu vermitteln, das Risiko, von diesen (stillschweigend) kontrolliert zu werden
-, ist die Schaffung einer unabhängigen Institution notwendig, die Prüfern zur
Seite steht.
Das Fach Prüfungsdidaktik
umfasst - dies ist aus unseren bisherigen Überlegungen deutlich geworden - ein
immenses Arbeitsfeld mit einem hohen Potential hochinteressanter Implikationen
für Schule und Hochschule.
Im Folgenden wollen wir uns nun - unter Berücksichtigung der bislang
behandelten Gesichtspunkte - mit der Harmonisierung von Prüfungen befassen.
2.2.3
Harmonisierte Prüfungen
Ein wichtiges Ziel des Faches Prüfungsdidaktik
muss es sein, Prüfungen zu harmonisieren und gleichartige Prüfungen in gleicher
oder vergleichbarer Weise ablaufen zu lassen (vgl. hierzu auch Tinnefeld 2002:
11f). Dabei geht es nicht nur darum, Prüfungsordnungen zu erstellen, was ja
traditionell gemacht wird, wodurch an verschiedenen Orten abgenommene Prüfungen
jedoch nicht unbedingt vergleichbarer geworden sind. Gemeint ist etwas anderes:
Gleiche oder gleichartige Prüfungen sollten nach derselben Prüfungsordnung
abgenommen werden, unabhängig davon, ob sie an ein und derselben oder an zwei
verschiedenen Hochschulen[8]
abgenommen werden. So muss darauf hingearbeitet werden, dass es in Zukunft
keine Utopie mehr ist, dass ein Student, der an einer nordrhein-westfälischen
Universität ein Englisch-Studium abschließen möchte, dies auf der Basis der
gleichen Prüfungsordnung tun kann wie ein Student, der sein Englisch-Studium in
Niedersachsen beenden möchte. Ebenso sollte es - unproblematischer als bisher -
möglich sein, seinen Studienort innerhalb des Studiums jederzeit zu wechseln,
und nicht nur im Rahmen mehr oder minder rigide vorgegebener Schnittstellen,
wie beispielsweise des Abschlusses des Grundstudiums oder des Bachelor-Studiums.
Noch drastischer stellt sich das dargestellte Problem dadurch dar, dass die
Prüfungsordnungen verschiedener Universitäten selbst in dem jeweils gleichen
Bundesland voneinander abweichen. Solche Unterschiede - ob sie nun an zwei
gegebenen Hochschulen ein und desselben Bundeslandes oder an zwei, in
verschiedenen Bundesländern gelegenen Hochschulen gemacht werden - gehen zu
Lasten der Studierenden. Diese Aussage gilt nicht nur dann, wenn diese
Studierenden planen, einen Universitätswechsel vorzunehmen. Sie gilt nicht
zuletzt auch unter dem Gesichtspunkt einer besseren Vergleichbarkeit zwischen
Prüfungen und Prüfungsergebnissen im Allgemeinen. Eine solche Flexibilität
könnte der deutschen Hochschullandschaft ausschließlich von Nutzen sein und den
Standort Deutschland auch international weiter stärken. Ein Hochschulwechsel
darf nicht länger mit Nachteilen für die betreffenden Studierenden einhergehen,
und an zwei verschiedenen Universitäten abgelegte Prüfungen müssen auf unmittelbar
nachvollziehbare Art und Weise vergleichbar sein[9].
Eine solche Vergleichbarkeit impliziert in einem weiteren Schritt eine Zentralisierung
von Prüfungen, die zudem deren Objektivität erhöhen könnte. So wäre es durchaus
denkbar, für eine gegebene universitäre Staatsprüfung - beispielsweise in
Englischer Linguistik - in ein und demselben Bundesland eine einheitliche
Prüfung zu verwenden und diese von allen Kandidaten zur gleichen Zeit und unter
den gleichen Bedingungen schreiben zu lassen. Auf diese Weise wäre die
überindividuelle Vergleichbarkeit zumindest dieser Prüfung im Hinblick auf die
gegebene Population von Prüflingen sichergestellt. Wenn ein solches Unterfangen
nicht nur auf der Ebene der einzelnen Bundesländer, sondern bundesweit
durchgeführt werden könnte, würde der Vergleichbarkeit noch besser Genüge getan,
weil sie auf Grund der ungleich größeren Population an Prüflingen auf einer
ungleich breiteren Datenbasis beruhen würde. Wir begeben uns mit diesen
Überlegungen jedoch in einen Bereich, mit dem eine vollkommene personelle
Umstrukturierung einherzugehen hätte (vgl. hier Kap. 2.2.4).
Es wird in Zukunft somit notwendig sein, den Föderalismus in dem
beschriebenen Bereich zumindest ansatzweise zu überwinden. Zentralisierte
Länder wie Frankreich besitzen einheitliche - weil zentralisierte -
Prüfungssysteme, die zwar ihrerseits nicht optimal sind, jedoch für Studierende
und Prüflinge gleiche oder zumindest äußerst vergleichbare Bedingungen schaffen.
Überlegungen wie diese machen deutlich, dass das Fach Prüfungsdidaktik durchaus auch politische Implikationen besitzt,
auch wenn diese nicht im Mittelpunkt des Faches stehen, sondern sich lediglich
als Nebenprodukte prüfungsdidaktischer Notwendigkeiten ergeben.
Zusätzlich zu den soeben angesprochenen Gesichtspunkten können Prüfungen
auch in der Weise harmonisiert werden, dass hinsichtlich der von den Prüfern
erwarteten und von den Prüflingen zu erbringenden Leistungen größtmögliche
Konkretheit angestrebt wird. Dies kann so weit gehen, dass für bestimmte, in
Prüfungen zu bewältigende Aufgaben Zeitvorgaben geschaffen werden, wodurch die
Vergleichbarkeit von Prüfungen auf quantitativer Ebene gewährleistet würde. Auf
diese Weise würde ein essentieller Kritikpunkt eliminiert, der darauf abzielt,
nur solche Prüfungen als wirklich vergleichbar einzustufen, die für ähnliche
oder identische Aufgaben auch ähnliche oder identische Zeitvorgaben beinhalten.
Nur unter Berücksichtigung auch dieser Forderung können Prüfungen formal
wirklich als äquivalent betrachtet werden.
2.2.4 Schaffung
eines Instituts für Prüfungsdidaktik
Auf der Basis der aufgezeigten Zusammenhänge ist folgerichtig zu fordern,
dass praktizierende Prüfer Beratung hinsichtlich ihrer Tätigkeit erfahren, dass
es also eine Stelle gibt, an die sie sich bei Problemen oder in Momenten der Unsicherheit
wenden können und die ihnen in funktionaler Weise weiterhilft.
Eine solche Stelle könnte ein Institut
für Prüfungsdidaktik sein, das an einer geeigneten Hochschule gegründet
werden sollte und die beschriebenen Aufgaben zentral übernehmen könnte. Gedacht
ist an eine Einrichtung, die dem Institut
für deutsche Sprache vergleichbar ist und von der regelmäßig Publikationen
zur Prüfungsdidaktik herausgegeben, von der entsprechende Tagungen und
Schulungen durchgeführt werden und an die sich betroffene Prüfer - aber auch
Prüflinge - mit ihren Fragen wenden können. Eine solche Institution könnte
somit zum einen Beratungsfunktion
haben, sie könnte jedoch zudem auch eine gewisse Kontrollfunktion hinsichtlich der Sicherung der Qualität von an
Schule und Hochschule durchgeführten Prüfungen haben. Diese Kontrollfunktion
sollte dabei weniger den Aspekt der Sanktionierung beinhalten als vielmehr
einen gewissen Schutz für die Prüfer, denen diese Institution mehr (psychische
und mentale) Sicherheit vermitteln könnte. Ebenso könnte sie sich derjenigen Prüflinge
annehmen, die sich bei Proble-men mit ihren Prüfern an dieses Institut wenden
und dann auf eine gütliche Vermittlung hoffen könnten. Auf diese Weise könnte
und sollte ein solches Institut für Prüfungsdidaktik intensiv mit den entsprechenden
Prüfungsämtern der verschiedenen Hochschulen zusammenarbeiten.
Im Zusammenhang mit den zuvor angestellten Überlegungen kann dieses
Konzept der Schaffung eines Instituts für Prüfungsdidaktik sogar noch weiter entwickelt
werden. So ist es durchaus denkbar, dass dieses Institut - mit einer Reihe von
Zweigstellen an verschiedenen deutschen Hochschulen versehen - konkrete Prüfungen
erstellen könnte. Hier könnten zum einen Prüfungsmaterialien entstehen für die
noch bestehenden Staatsexamina, Magister- und Diplomprüfungen bzw. für die
immer weiter um sich greifenden Bachelor- und Master-Prüfungen an Hochschulen
und Universitäten. Zum anderen wäre jedoch auch denkbar, dass hier Prüfungsmaterialien
entwickelt werden könnten für verschiedene andere Bildungseinrichtungen wie
beispielsweise die verschiedenen Schulformen - als zentrale Abiturprüfungen
für die verschiedenen Fächer. Die einzelnen Dozenten und Lehrer würden durch ein
solches Institut mit seinen jeweiligen Zweigstellen deutlich entlastet. Sie müssten
nicht mehr - zusätzlich zu ihrer ohnehin nicht geringen übrigen Arbeit -
Prüfungen erstellen. Auf diese Weise würde für den einzelnen Lehrer, den
einzelnen Dozenten, ein erheblicher Arbeitsaufwand eingespart. Voraussetzung
für eine solche Ökonomisierung von Prüfungen wäre jedoch deren konsequente
Zentralisierung. Diese würde sich jedoch lediglich auf die inhaltliche
Konzeption der Prüfungen und die Erstellung konkreter Prüfungsmaterialien
beziehen. Die eigentliche Durchführung der Prüfungen an der einzelnen
Bildungseinrichtung bliebe in diesem Modell weiterhin den Dozenten und Lehrern
überlassen.
Unser Modell lässt sich graphisch wie folgt darstellen:
Dies bedeutet auch, dass die einzelnen Dozenten und Lehrer - auch wenn
sie die jeweiligen Prüfungen nicht selbst konzipieren - sehr gut im Fach
Prüfungsdidaktik ausgebildet sein und sehr gut über prüfungsdidaktische Zusammenhänge
Bescheid wissen müssen: Sie haben ja trotz allem die Aufgabe, ihre Schüler und
Studenten fundiert auf die Prüfungen vorzubereiten, sie führen die Prüfungen
selbst durch, und sie bewerten sie und vergeben die Noten - anhand konkreter
zentral entwickelter Vorgaben [10].
Dies bedeutet, dass ihnen in diesem Bereich auch weiterhin eine große
Verantwortung abverlangt werden wird.
Das Faktum, dass diese Aufgabe in fachkundige Hände gegeben würde, würde
zudem zu einer Erhöhung der Professionalisierung der genannten Prüfungen
führen. Mit der Erstellung konkreter Prüfungsmaterialien geht nicht nur die
Notwendigkeit eines erheblichen Prüfungswissens einher, sondern auch - eng
damit verbunden - eine erhebliche Verantwortung. Diese Verantwortung
einschlägig qualifizierten Experten anzuvertrauen, die in ihrer beruflichen Tätigkeit
nicht zusätzlich mit anderen, Prüfungen nur mittelbar betreffenden Dingen zu
tun haben, kann der Qualität von Prüfungen insgesamt nur zuträglich sein.
Die hier beschriebenen Dimensionen gehören sicherlich zu den wichtigsten
Herausforderungen, denen sich das Fach Prüfungsdidaktik
in Zukunft zu stellen hat. Sie sind dabei jedoch keineswegs ausgeschöpft: Es
werden sich mit wachsender Praxis der Anwendung prüfungsdidaktischer Prinzipien
vielmehr immer mehr Anwendungsbereiche finden, in denen dieses Fach aktiv
werden kann bzw. aktiv werden muss. An dieser Stelle sollte es lediglich darum
gehen, das beachtliche Potential des Faches Prüfungsdidaktik aufzuzeigen und deutlich
zu machen, welch immense Implikationen es aufweist.
Im Folgenden wollen wir uns nun dem Geltungsbereich des Faches Prüfungsdidaktik zuwenden.
2.3 Der
Geltungsbereich des Faches Prüfungsdidaktik
Der Geltungsbereich des Faches Prüfungsdidaktik
lässt sich in zwei, zueinander komplementären Ansätzen situieren:
- Intern: mit Blick auf die konstitutiven Bereiche, die dieses Fach
ausmachen, und
- Extern: mit Blick auf die mit diesem Fach in engem Zusammenhang
stehenden Nachbardisziplinen.
Wir wollen uns zunächst mit der internen Abgrenzung des Faches Prüfungsdidaktik
beschäftigen.
2.3.1 Interne
Abgrenzung des Faches
Wie bereits im vorangehenden Kapitel deutlich wurde, umfasst der
Geltungsbereich, den das neue Fach Prüfungsdidaktik
abdeckt, erhebliche Dimensionen. Er ist durch unterschiedliche Teilbereiche
charakterisiert, die alle mit Prüfungen verschiedener Ausprägung zu tun haben
und die in ihrer Gesamtheit von hinreichender Breite sind, um eine neue
Disziplin begründen zu können. Wir gehen hier von der Prüfungsdidaktik im
Rahmen der modernen Fremdsprachen aus. Mit Ausnahme der Sprachstandsprüfungen (vgl. Kap. 1.4.4) können die in der
vorliegenden Monographie herausgearbeiteten Bereiche jedoch auf die
Prüfungsdidaktik allgemein - also auch in Bezug auf andere akademische Fächer -
hin generalisiert werden. Die Interne Abgrenzung der Prüfungsdidaktik lässt
sich somit wie folgt vornehmen:
Abb. 15: Interner Geltungsbereich des Faches Prüfungsdidaktik
Es ergeben sich als Konstituenten der Prüfungsdidaktik[11]
diejenigen Teilbereiche, die bisher am intensivsten erforscht worden sind.
Diese Abgrenzung ist somit keine willkürlich vorgenommene, sondern sie ergibt
sich folgerichtig aus der bisher durchgeführten Forschung. Sicherlich mag es
möglich sein, diesen Bereich auch auf andere Weise zu definieren, die ebenso ihre Berechtigung haben mag. Dennoch ist die Forschungsrealität, auf
der diese Abgrenzung fußt, ein wichtiges Argument. Wir wollen jedoch an dieser
Stelle kein apodiktisches Postulat vornehmen, in dessen Rahmen behauptet würde,
dass nur diese Abgrenzung möglich sei. Im Gegenteil: Wenn unsere Ausführungen
zu diesem Gesichtspunkt eine Forschungsdiskussion anstießen, so könnte dies
für die Prüfungsdidaktik nur von Nutzen sein, da dann eine breite Reflexion
einsetzen würde, deren Nutznießer die hier im Mittel-punkt stehende Sache wäre.
Für uns erweist sich nach Sichtung der Forschungslage - so unbefriedigend diese
angesichts der Vielzahl vorhandener Publikationen auch nur sein kann - die
hier ausgewiesene, interne Ab-grenzung dieses Faches jedoch als sinnvoll[12].
Es liegt hier ein in sich logi-scher, homogener Ansatz vor, der in der Zukunft
ein effizientes Arbeiten ermöglicht.
Nach dieser internen Abgrenzung des Faches Prüfungsdidaktik wollen wir uns nun mit dessen externer Abgrenzung
beschäftigen.
2.3.2 Externe Abgrenzung des Faches
Die externe Abgrenzung des Faches Prüfungsdidaktik
(vgl. auch Tinnefeld 2002: 13ff) bezieht
sich auf ihr Verhältnis zu anderen (Teil)Wissenschaften, die entweder eine
Affinität zur ihr aufweisen und ihr potentiell als Hilfswissenschaft dienen,
oder die mit ihr in einem möglichen Konkurrenzverhältnis stehen. Die hier
vorgenommene Abgrenzung kann dabei keine abschließende sein: Es wird - nicht
zuletzt durch die Entwicklung neuer wissenschaftlicher Disziplinen und durch
die stetige Weiterentwicklung der existierenden Disziplinen - notwendig sein,
in mehr oder minder großer Regelmäßigkeit Modifikationen und Anpassungen
dieser Abgrenzung vorzunehmen.
2.3.2.1
Prüfungsdidaktik und (Teil)Fächer
Potentielle (Teil)Fächer der Prüfungsdidaktik sind im Wesentlichen die einzelnen
Wissenschaften selbst - wie beispielsweise Englische
Philologie, Biologie, Pädagogik, Elektrotechnik, um hier einige, willkürlich herausgegriffene Beispiele
zu benennen - und deren jeweilige Teilfächer. Hinzu kommen die Fachdidaktik als
Gesamtdisziplin und die einzelnen Fachdidaktiken im Besonderen - wie
beispielsweise die Fachdidaktik Englisch,
Fachdidaktik Biologie, Fachdidaktik Pädagogik und die Fachdidaktik Elektrotechnik, um bei den
gleichen Beispielen zu bleiben - sowie die Testtheorie[13].
Die genannten (Teil)Fächer der Prüfungsdidaktik sollen im Folgenden in ihrem
Verhältnis zueinander betrachtet werden.
Der Begriff Fach kann wie
folgt definiert werden:
4 Gebiet, Bereich, auf dem jmd. besondere Kenntnisse, eine besondere Ausbildung hat, Wissensgebiet, Berufszweig (Studien~); er ist ein Meister sei-nes ~s; welche Fächer hat er studiert?; er ist vom F. er ist Fachmann auf die-sem Gebiet (Bertelsmann 2010).
(http://www.wissen.de/wde/generator/wissen/services/suche/wbger/index.html?gerqry=Fach&Start=%A0%A0Suchen%A0%A0&gertype=; 22.03.2011)
Im engeren Sinne können wir also alle diejenigen Disziplinen, die auf
Hochschulebene gelehrt werden, als ‚Fach’ bezeichnen: Der Fächerkanon der Hochschule kann als eine verlässliche Referenz
angesehen werden, wenn es um die wissenschaftliche Anerkennung und die allgemeine
Etabliertheit eines Faches geht (vgl. Tinnefeld 1993: 45ff). Wir wollen im
vorliegenden Kontext somit nur solche Disziplinen als Fächer anerkennen, die
diese Bedingung erfüllen. Diese Fächer können zudem nach Fachgruppen untergliedert
und entsprechend systematisiert werden, so dass sich dann mindestens vier
Wissenschaftsbereiche herauskristallisieren (vgl. auch Tinnefeld 1993: 47ff):
. Abb. 16: Wissenschaftsbereiche
Als Fächerzuordnungen ergeben sich auf diesem Hintergrund beispielsweise
die im Folgenden aufgeführten:
Geisteswissenschaften
Theologie,
Philosophie
Altphilologie
Neuere Philologie
Kunstwissenschaft
Musikwissenschaft
(...)
Gesellschaftswissenschaften:
Rechts- und Verwaltungswissenschaft
Wirtschaftswissenschaft
Sozial- und Verhaltenswissenschaften
Politische Wissenschaft
Geschichtswissenschaften
Kulturwissenschaften
Kommunikationswissenschaften
Pädagogik
Psychologie
Bibliothekswissenschaft
Sportwissenschaft
(...)
Naturwissenschaften
Physik
Chemie
Biologie
Pharmazie
Medizin (Human-, Veterinär-)
Geowissenschaften
Mathematik
Informatik
Astronomie
(...)
Technische Wissenschaften
Elektrotechnik
Physikalische Ingenieurwissenschaft
Verfahrenstechnik
Werkstoffwissenschaften
Konstruktion und Fertigung
Bauingenieur- und Vermessungwesen
Bergbau
Architektur
Agrarwissenschaften
Lebensmitteltechnologie und Biotechnologie
Landschaftsentwicklung,
Umwelttechnik
(...)
Abb. 17: Fächerzuordnungen
(Tinnefeld 1993: 47)
Ein grundsätzliches Zuordnungsproblem stellen die so genannten „Bindestrichwissenschaften“ dar, wie zum Beispiel die Bio-Chemie, die Astro-Physik und die Human-Genetik. Sie können, abhängig von ihrem Stellenwert innerhalb der jeweiligen Basiswissenschaft - hier also der Physik, der Chemie und der Genetik - diesen zugeordnet, also als deren Teilfächer gewertet oder - unter der Bedingung, dass sie sich innerhalb des Fächerkanons der Hochschule bereits hinreichend etabliert haben - auch als selbständige
Fächer eingestuft werden.
Die folgerichtig nächste Stufe innerhalb dieser Gliederung stellen die Teilfächer der einzelnen Wissenschaften dar.
Als Beispiele seien hier die Anglistik als moderne Philologie und somit als
Geisteswissenschaft, die Biologie als Naturwissenschaft, die Geographie als
Gesellschaftswissenschaft und die Elektrotechnik als Technische Wissenschaft
herangezogen (vgl. auch Tinnefeld 2002: 13f), so dass sich somit in Auswahl die
folgenden wissenschaftlichen Teilfächer ergeben:
Moderne Philologien (Anglistik, Romanistik (...):
Linguistik
Literaturwissenschaft
Fachdidaktik
Biologie
Zoologie
Botanik
Geographie
Geomorphologie
Hydrologie
Klimatologie
Elektrotechnik
Energietechnik
Antriebstechnik
Nachrichtentechnik
Automatisierungstechnik
(...)
Abb. 18: Wissenschaftliche Teilfächer
Das Verhältnis der Prüfungsdidaktik zu den einzelnen Fächern stellt sich
wie folgt dar: Aus der Perspektive der einzelnen Fächer ist die
Prüfungsdidaktik ein Bestandteil dieser, da in allen diesen Fächern - zumindest
auf Hochschulebene - Prüfungen durchgeführt werden. Dieses Verhältnis gilt
analog zu den einzelnen Teilfächern. Diese Zusammenhänge können graphisch wie
folgt dargestellt werden:
Das Wesen der Prüfungsdidaktik, prinzipiell Teil der einzelnen wissenschaftlichen Fächer zu sein, wird in der Graphik durch die Schnittmenge, die sie darstellt, symbolisiert.
Das Fach Englisch steht dabei
nicht für sich allein, sondern repräsentiert die Geisteswissenschaften, das
Fach Biologie steht für die Naturwissenschaften, die Pädagogik für die
Gesellschaftswissenschaften und die Elektronik für die technischen
Wissenschaften.
Aus der Perspektive der Prüfungsdidaktik ist das Verhältnis logisch
stringent als analog zu betrachten: Alle aufgeführten Fächer sind Teil der
Prüfungsdidaktik; die in ihnen durchgeführten Prüfungen unterscheiden sich in
aller Regel nicht durch die verwendeten Prüfungsmethoden, sondern lediglich
durch die jeweils geprüfte Thematik. Dieses Verhältnis lässt sich wie in
folgt darstellen:
Abb. 20: Die Fächer als Bestandteile der
Prüfungsdidaktik
Wir haben es hier somit im Hinblick auf die Prüfungsdidaktik in ihrer
Relation zu den einzelnen Fächern mit einem Verhältnis zu tun, das als Relation
der mutualen Inklusion bezeichnet werden kann: Dieses Verhältnis des gegenseitigen
Einschlusses besitzt Gültigkeit sowohl im Hinblick auf die einzelnen
selbständigen Fächer als auch im Hinblick auf die in diesen existierenden
Teilfächer, die ihrerseits ein Teil der Prüfungsdidaktik sind und deren Teil
die Prüfungsdidaktik ist. Dieses Verhältnis der mutualen Inklusion (Tinnefeld
2002: 14) kann graphisch wie folgt veranschaulicht werden:
Abb. 21: Relation mutualer Inklusion
Abb. 21: Relation mutualer Inklusion
Es existiert somit kein Konkurrenzverhältnis zwischen der
Prüfungsdidaktik und den genannten (Teil)Fächern. Vielmehr ist festzuhalten,
dass die einzelnen Komponenten komplementär zueinander sind.
2.3.2.2
Prüfungsdidaktik und Fachdidaktik(en)
Während das beschriebene Verhältnis zwischen der Prüfungsdidaktik und
den (Teil)Fächern sich weitgehend unproblematisch darstellt, mag ihr Verhältnis
zur Fachdidaktik bzw. zu den Fachdidaktiken[15]
zunächst diskutabler erscheinen (vgl. auch Tinnefeld 2002: 17f): In diesem
Bereich könnte durchaus ein Konkurrenzverhältnis vermutet werden. Dabei könnte
angenommen werden, dass die Prüfungsdidaktik der Fachdidaktik ihre
Daseinsberechtigung in einem zentralen Punkt - mit Blick auf Prüfungen -
streitig machen will. Andererseits könnte angenommen werden, dass die
Fachdidaktik die Prüfungsdidaktik vereinnahmen wolle, da sie Prüfungen -
gleichsam naturbedingt - mitberücksichtige. Von einem solchen
Konkurrenzverhältnis wollen wir in unseren Reflexionen jedoch nicht ausgehen,
sondern verstehen die Fachdidaktik(en) und die Prüfungsdidaktik als weitgehend
komplementär zueinander. Diese Perspektive soll anhand der folgenden
Ausführungen verdeutlicht werden.
Die Fachdidaktik[16]
ist in erster Linie in inhaltlicher Hinsicht auf die einzelnen Fächer
ausgerichtet und betrifft diese mehr oder minder gesamthaft. Die Prüfungsdidaktik
bezieht sich dagegen auf einen einzigen, jedoch wesentlichen Gesichtspunkt -
die in den einzelnen Fächern abzunehmenden und abgenommenen Prüfungen - und
entwickelt entsprechende Vorschläge für deren Planung und Durchführung. Die
Fachdidaktik ist somit holistisch-generalisierend, die Prüfungsdidaktik
partitiv-spezialisierend ausgerichtet. Der Spezifikationsgrad der Prüfungsdidaktik
ist somit ungleich höher als derjenige der Fachdidaktik; die Fachdidaktik verfolgt
dagegen einen eher generalistischen Ansatz, indem sie viele unterschiedliche
Bereiche in sich vereint. Die Fachdidaktik ist somit tendenziell horizontal
ausgerichtet und baut auf der Prüfungsdidaktik auf; die Prüfungsdidaktik weist
ihrerseits tendenziell eine vertikale Ausrichtung auf:
Anders ausgedrückt, hat die Fachdidaktik die unterschiedlichsten
Bedürfnisse des Lehrens und Lernens, der Lehrenden und Lernenden, zu
berücksichtigen; die Prüfungsdidaktik hat Prüfungen, ihre Realisierung und die
involvierten Interaktanten - Prüfer und Prüflinge - im Visier.
Dieser grundsätzliche Unterschied zwischen Prüfungsdidaktik und
Fachdidaktik ist jedoch nicht der einzige, der hier in die Betrachtungen
einzubeziehen ist. Über diese
Gesichtspunkte hinaus ergeben sich vielmehr weitere, für das Verhältnis der
beiden Disziplinen relevante Aspekte, auf die im Folgenden kurz eingegangen
werden soll. So könnte beispielsweise davon ausgegangen werden, die
Prüfungsdidaktik sei ein Teilbereich der Fachdidaktik. Eine solche Einschätzung
entspricht jedoch nicht der fachdidaktischen und ebenso wenig der prüfungsdidaktischen
Realität. Für diese Einschätzung sprechen die folgenden Gründe.
Die Fachdidaktik zielt in letzter Konsequenz auf den Schüler bzw. den
Lernenden ab, um deren jeweils optimalen Lernerfolg zu gewährleisten. Der Bezug
auf die Lehrenden ist dabei eher mittelbar zu verstehen und misst die von ihnen
verwendeten Methoden anhand ihres Erfolgs für die Lernenden. Die
Prüfungsdidaktik hat dagegen eher die Prüfer als die Prüflinge im Blick und
fragt letztendlich nach der effektivsten Prüfungsmethode. Die Prüflinge werden
zwar von der Prüfungsdidaktik ebenfalls berücksichtigt, jedoch nicht prioritär.
Die Prüfungsdidaktik stellt die Grundsatzfrage nach dem Prüfungserfolg, der
jedoch nicht mit dem persönlichen Erfolg eines Prüflings in einer gegebenen
Prüfung gleichzusetzen ist: Eine gegebene Prüfung kann sehr erfolgreich,
gegebenenfalls sogar (nahezu) optimal durchgeführt worden sein, wobei der
Prüfling jedoch vielleicht nur eine mittlere oder gar eine schlechte Note
erhalten hat. Die Zielstellung der Prüfungsdidaktik besteht also nicht in der
Frage, wie Prüflinge die für sie besten Ergebnisse erzielen, sondern vielmehr in
derjenigen der „optimalen“ Gestaltung von Prüfungen. Führt diese optimale
Gestaltung einer gegebenen Prüfung dann auch zu einem (sehr) guten Ergebnis für
den Prüfling, so ist dies ein Anlass zur Freude. Eine solche Parallelität im
Erfolg muss jedoch nicht gegeben sein, sie mag sogar in der Praxis zufällig
bzw. eher selten auftreten. Dies bedeutet nichts anderes, als dass eine
gegebene Prüfung unabhängig vom erzielten Ergebnis - der Note - in
prüfungsdidaktischer Perspektive (nahezu) optimal ablaufen kann. Diese
Zusammenhänge spiegeln das Faktum wider, dass die Zielgruppen von Fachdidaktik
und Prüfungsdidaktik nicht identisch sind: Die Zielgruppe der Fachdidaktik sind
prioritär die Lernenden; die Zielgruppe der Prüfungsdidaktik sind prioritär die
Prüfer:
Ein wichtiges Ziel der Fachdidaktik besteht in der Schaffung günstiger Voraussetzungen für die effiziente Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten. Die Fachdidaktik ist somit maßgeblich am Aufbau dieser Kenntnisse und Fertigkeiten beteiligt. Kenntnisse und Fertigkeiten mögen bei den Lernenden zwar auch ohne die Beteiligung der Fachdidaktik aufgebaut werden können[17], in der Regel leistet sie jedoch einen wichtigen Beitrag - wenn nicht den Schlüsselbeitrag überhaupt - zu der effizienten und wirkungsvollen Vermittlung von Lernstoff. Die Stoßrichtung der Prüfungsdidaktik ist dagegen nicht der Aufbau von Kenntnissen und Fertigkeiten, sondern vielmehr deren Abfragung und Überprüfung. Die Prüfungsdidaktik wird somit in chronologischer Sicht nach der Fachdidaktik bedeutungsvoll: Zuerst müssen Kenntnisse und Fertigkeiten vermittelt, erst danach können sie abgeprüft werden. In dieser Sichtweise arbeitet die Fachdidaktik der Prüfungsdidaktik zu; die Prüfungsdidaktik ist der Fachdidaktik in der zeitlichen Abfolge nachgeordnet. Diese Perspektive gilt nicht nur chronologisch, sondern auch qualitativ: Jegliche fachdidaktische Bemühung ist teleologisch auf die Prüfungsdidaktik ausgerichtet und manifestiert sich in der (Über)Prüfung erworbener Kenntnisse und Fertigkeiten:
Abb. 24: Chronologische
und teleologische Ausrichtung von Fachdidaktik und Prüfungsdidaktik
Die Fachdidaktik zeichnet sich durch ihre inhaltlich-methodische
Orientierung aus. Die Prüfungsdidaktik ist dagegen durch ihre
organisatorisch-methodische Ausrichtung gekennzeichnet. Die Fachdidaktik zielt
nicht nur auf die Methode(n) der Vermittlung von Inhalten ab, sondern ist auch
an der Festlegung der Inhalte selbst maßgeblich beteiligt. Durch diese
Beteiligung an der Festlegung von Lerninhalten unterscheidet sich die
Fachdidaktik grundlegend von der Prüfungsdidaktik: Die Prüfungsdidaktik ist an
den von der Fachdidaktik festgelegten Inhalten orientiert; sie setzt hingegen
selbst keine Inhalte fest. Das Anliegen der Prüfungsdidaktik besteht vielmehr
in der effizienten Vorbereitung und Durchführung von Prüfungen. In inhaltlicher
Perspektive baut die Prüfungsdidaktik somit auf der Fachdidaktik auf; in
organisatorischer Perspektive ist sie von ihr durchaus unterschieden.
Auf der Basis unserer Reflexionen können wir die Fachdidaktik in einer
Gesamtsicht somit als Basis der Prüfungsdidaktik begreifen:
Abb. 25: Die Fachdidaktik als Basis der Prüfungsdidaktik
Die Zuständigkeit der Prüfungsdidaktik beginnt an der Stelle, an der die Zuständigkeit der Fachdidaktik aufhört, d.h. wenn der zu vermittelnde Stoff gelehrt bzw. gelernt worden ist. Diese Konstellation verweist auf die prinzipielle Komplementarität von Fachdidaktik und Prüfungsdidaktik und schließt ein Konkurrenzverhältnis zwischen beiden aus. Aus den genannten Gründen sind beide - Prüfungsdidaktik und Fachdidaktik - voneinander unabhängige Wissenschaften und folglich getrennt voneinander zu betrachten.
2.3.2.3
Prüfungsdidaktik und Testtheorie
Nach der Abklärung des
Verhältnisses zwischen Prüfungsdidaktik und Fachdidaktik ist es nunmehr
notwendig, das Verhältnis zwischen der Prüfungsdidaktik einerseits und der
Testtheorie andererseits abzuklären (vgl. hierzu auch Tinnefeld 2002: 17f). Dieses
Verhältnis stellt sich als relativ diffizil dar. So könnten:
- Prüfungsdidaktik und Testtheorie zum einen
potentiell als vollkommen unabhängig voneinander betrachtet werden,
- die Prüfungsdidaktik könnte Teil der
Testtheorie sein oder
- die Testtheorie könnte Teil der
Prüfungsdidaktik sein.
Aus unserer Sicht ist diese zuletzt genannte Möglichkeit - also die
Testtheorie als Teil der Prüfungsdidaktik zu betrachten - die einzige, die aus
logischer Sicht befriedigend ist. Die Gründe für diese Einschätzung seien im
Folgenden kurz dargestellt.
Prüfungen sind per definitionem
als holistisch zu betrachten, und zwar in dem Sinne, dass sie allumfassend sind
und jede Situation betreffen, in der Wissen auf formelle oder auch informelle[18]
Art und Weise zur freiwilligen oder unfreiwilligen Leistungsüberprüfung zwecks
des Erwerbs von Qualifikationen oder auch zur Überprüfung des eigenen
Lernstandes abgefragt wird. Standardisierte Tests[19]
- und mit diesen beschäftigt sich die Testtheorie prioritär - kommt dagegen ein
solch holistischer Charakter nicht zu: Standar-disierte Tests - als durch das
Streben nach Objektivierung, Validierung und Reliabilisierung gekennzeichnete, hochprofessionelle
Examinationsform - sind lediglich potentieller Teil aller denkbaren bzw. real
durchgeführten Prüfungsformen und somit nicht holistisch, sondern vielmehr
partiell ausgerichtet. Prüfungen in ihrer allgemeinen Orientierung, wie die
Prüfungsdidaktik sie im Blick hat, inkludieren Tests, wie sie innerhalb der
Testtheorie verstanden werden: Es ergibt sich zwischen Prüfungen und Tests
somit ein klares Inklusionsverhältnis.
Ein weiteres Kriterium stellt das Faktum dar, dass standardisierte Tests
nicht in allen Prüfungsverfahren und in allen Prüfungsformen relevant sind. Qualitativ
können sie zwar aufgrund ihrer Standardisierung einen wichtigen Bestandteil von
Prüfungen darstellen, jedoch sind sie nicht für jede Prüfung bedeutsam.
Allgemein kann festgestellt werden, dass nicht jede Prüfung ein (standardisierter) Test ist; dagegen ist jeder (standardisierte)
Test eine Prüfung. Dieser Zusammenhang ist ein weiteres gewichtiges Argument
für das zwischen Prüfung und Test bestehende und zugunsten der
(allgemeineren) Prüfung ausfallende
Inklusionsverhältnis.
Zudem umfasst die Prüfungsdidaktik nicht nur standardisierte Tests,
sondern auch informelle Tests und die so genannten Alternativen Testverfahren (vgl. Huerta-Macías 2002: 339ff und
Goodman 1991). Somit ist ihr Geltungsbereich größer als derjenige der reinen
Testtheorie, die in ihrer strengen Auslegung diese freieren Testtypen nicht
beinhaltet.
In Erweiterung der vorliegenden Fragestellung ist zu klären, ob ein
inhaltlicher Widerspruch zwischen der Prüfungsdidaktik einerseits und der
Testtheorie andererseits ableitbar ist. Dieser wäre potentiell dann gegeben,
wenn der Bezugsbereich beider Disziplinen ein jeweils anderer wäre. Ebenso wie
die Prüfungsdidaktik kann jedoch auch die Testtheorie auf unterschiedliche
(Teil)Fächer bezogen werden. Diese prinzipiell ähnliche Ausrichtung bewirkt,
dass kein inhaltlich begründbarer Widerspruch zwischen der Prüfungsdidaktik
einerseits und der Testtheorie andererseits besteht: Beide Disziplinen sind auf
den gleichen Gegenstandsbereich ausgerichtet, jedoch - wie zuvor ausgeführt - in unterschiedlicher Gewichtung der ihnen innewohnenden Interessen. Somit sind
beide kompatibel. Diese prinzipielle Kompatibilität stützt unsere Einschätzung
der Testtheorie als Teil der Prüfungsdidaktik.
Insgesamt kann somit hier als Ergebnis formuliert werden, dass die
Testtheorie als eine sinnvolle und wertvolle Teildisziplin der Prüfungsdidaktik
eingeschätzt werden kann: Die Prüfungsdidaktik inkludiert die Testtheorie und
repräsentiert somit die übergeordnete Disziplin, die die Testtheorie beherbergt:
Abb. 26: Inklusionsverhältnis zwischen Prüfungsdidaktik und Testtheorie
Unsere Überlegungen haben gezeigt, dass es möglich ist, die
Prüfungsdidaktik schlüssig innerhalb derjenigen Disziplinen zu positionieren,
die die augenfälligsten Berührungspunkte mit ihr aufweisen. Diese eindeutige
Positionierung der Prüfungsdidaktik und ihre klar konturierte Abgrenzung und
Abgrenzbarkeit gegenüber den genannten Disziplinen stellen ein wesent-liches
Kriterium für die Lebensfähigkeit dieser noch jungen Disziplin dar.
Im weiteren, konsequenten Verlauf unserer Reflexionen wollen wir uns nunmehr
mit den wesentlichen Prinzipien der Prüfungsdidaktik beschäftigen.
2.4 Prinzipien der Prüfungsdidaktik
2.4.1
Vorbemerkungen
Wenn wir uns hier mit den Prinzipien der Prüfungsdidaktik beschäftigen,
so geschieht dies unter den folgenden, grundlegenden Prämissen. Auf diese
wollen wir hier zunächst kurz eingehen.
Mit dem Begriff Prinzipien der
Prüfungsdidaktik meinen wir hier letztendlich die wesentlichen Merkmale[20],
die professionell durchgeführte Prüfungen erfüllen sollten (vgl. hierzu auch
Tinnefeld 2002: 18ff). Die allgemeine Ausrichtung dieser Wissenschaft geht
somit konsequent einher mit der Planung und Durchführung konkreter Prüfungen
im Besonderen: Beide Ausprägungen bedingen einander; sie stellen die zwei
Seiten ein und derselben Medaille dar. Die Prinzipien der Prüfungsdidaktik sind
somit auf theoretischer Ebene angesiedelt, die Prinzipien von Prüfungen auf
praktischer Ebene. Beide benötigen die jeweils andere Ausprägung, um erfolgreich
arbeiten zu können. Im Folgenden werden wir uns entsprechend auf diese beiden Seiten beziehen, wobei wir in unseren Ausführungen die Beziehungen zwischen
beiden Ebenen deutlich machen werden.
Darüber hinaus ist zu klären, auf welche Weise wir den Begriff Prinzip hier verstehen. Zum einen soll
der Begriff in seiner pluralischen Verwendung hier im Sinne von Grundsätzen verstanden werden, die
erfüllt sein müssen, damit Prüfungen effizient ablaufen können. Zum anderen
soll er - singularisch verwendet - als
Handlungsorientierung verstanden werden, nach der Prüfungen effizient
ablaufen können.
Schließlich ist festzustellen, dass wir in denjenigen Fällen, in denen
wir uns in praktischer Hinsicht auf Prüfungen beziehen, auf qualitativ hochstehende Prüfungen
abzielen. Es mag in dem einen oder anderen Fall notwendig sein, negative Auswirkungen
auf Prüfungen oder schlecht geplante und durchgeführte Prüfungen zu erwähnen.
Dies geschieht dann jedoch nur im Sinne der Anführung von Negativbeispielen.
Unsere prinzipielle Stoßrichtung ist dagegen eine positive. Unsere Leitfrage
soll in praktischer Hinsicht diejenige sein, wie gute Prüfungen effizient geplant und durchgeführt werden können.
Es sei hier nochmals betont, dass wir mit dem Begriff qualitativ hochstehende bzw. gute Prüfung nicht das vom Prüfling
erzielte Resultat bzw. die von ihm erzielte Note meinen. Gemeint ist hier
vielmehr, dass eine Prüfung auf professionelle, somit effiziente und
konsequente Art und Weise vorbereitet, durchgeführt und gegebenenfalls
nachbereitet wird. Im Mittelpunkt steht hier somit in erster Linie der Prüfer.
Der Prüfling ist zwar in dieser Situation ebenfalls Aktant, dennoch ist er in
dem vorliegenden Zusammenhang nicht die zentrale Person.
Im Sinne des Faches Prüfungsdidaktik
sind bestimmte Prinzipien ausgrenzbar, die erfüllt sein müssen, damit Prüfungen
in dem soeben beschriebenen Sinne erfolgreich verlaufen. Eine Prüfung - und
hier beziehen wir uns gleichermaßen auf schriftliche wie auf mündliche
Prüfungen - wird im gegebenen Kontext dann als erfolgreich angesehen, wenn sie
konsequent an Hand der folgenden Prinzipien geplant und gestaltet worden ist:
Abb. 27: Prinzipien der Prüfungsdidaktik
Abb. 27: Prinzipien der Prüfungsdidaktik
Diese Prinzipien der Prüfungsdidaktik - und ebenso konkreter Prüfungen -
seien nun im Einzelnen beschrieben.
2.4.2 Wissenschaftlichkeit
Der Begriff Wissenschaftlichkeit zielt ab auf die im Rahmen der Prüfungsdidaktik erarbeiteten Fundamente, aufgrund derer Prüfungen geplant und durchgeführt werden sollten (vgl. hierzu auch Tinnefeld 2002: 19). Der Begriff bezieht sich folglich in diesem Sinne nicht auf die Fachwissenschaftlichkeit von Prüfungen; er bezieht sich nicht auf die Wissenschaftlichkeit der einzelnen Fächer. Wissenschaftlich in unserem Sinne ist eine Prüfung dann, wenn sie in Planung und Durchführung auf einem fundierten, logisch begründeten (oder zumindest logisch begründbaren) Verhalten des Prüfers oder der Prüfer beruht:
Diese wissenschaftliche Prüfungsorientierung ist dann gegeben, wenn die
beiden folgenden prüfungsdidaktischen Teilprinzipien beachtet und konsequent
umgesetzt werden.
2.4.2.1 Sachliche Fundiertheit
Mit dem Begriff Sachliche Fundiertheit ist sowohl die fachwissenschaftliche
als auch die prüfungsdidaktische Ausrichtung von Prüfungen gemeint (vgl. auch
Tinnefeld 2002: 20f). Dabei ist eine gegebene Prüfung auf fachwissenschaftlicher
Ebene dann sachlich fundiert - und fundiert vorbereitet -, wenn die Prüfer sich
hinsichtlich des Forschungsstandes des von ihnen repräsentierten und
tatsächlich geprüften Teilfaches auf der Höhe der Zeit befinden und wenn sie
zudem in der Lage sind, den Gegenstandsbereich historisch zu situieren und
Beziehungen zu relevanten Problemfeldern in Grenzbereichen ihres Teilfaches und
darüber hinaus herzustellen. Dabei kann - bis zum etwaigen Beweis des
Gegenteils - davon ausgegangen werden, dass jeder Prüfer, der formal
qualifiziert ist, also die entsprechenden akademischen Fachprüfungen abgelegt
hat, in der Lage ist, diese Bedingung erfolgreicher Prüfungen zu erfüllen. Aus
diesem Grunde brauchen wir auf die fachwissenschaftliche Ausprägung dieses
Merkmals hier nicht weiter einzugehen.
Prüfungsdidaktisch fundiert ist
eine Prüfung dann, wenn die Prüfer so exakt wie möglich zu antizipieren imstande
sind, ob ihre Fragen und der ihnen jeweils inhärente Erwartungshorizont für die
Prüflinge und den ihnen zuzutrauenden Kenntnis- und Wissensstand adäquat sind.
In der Praxis bedeutet dies, dass sie die Prüfung a priori mental exakt durchgespielt und sich in die Lage des
Prüflings hineinversetzt haben müssen. Diese Antizipation der - mündlichen oder
schritlichen - Prüfung schließt die Beantwortung entsprechender Metafragen[21]
mit ein. Die Fähigkeit - und ebenso die Bereitschaft - von Prüfern zu der Beantwortung
solcher Fragen stellt ein entscheidendes Kriterium für die prüfungsdidaktische
Fundiertheit von Prüfungen dar. Dies bedeutet, dass Prüfer nicht nur in der
Lage sein müssen, ihr eigenes Verhalten während einer gegebenen Prüfung zu
erkennen und zu reflektieren, sondern auch, dass sie dieses zu antizipieren imstande
sind, also bereits vor der Prüfung
eine konkrete Vorstellung über deren möglichen Ablauf haben[22].
Diese Fähigkeit bezieht sich auch auf die Erkennung der Angemessenheit bzw.
Unangemessenheit bestimmter Fragen und Fragetypen, die die Prüflinge
realistischerweise fähig sind zu beantworten oder die - in negativen Ausprägung
- ihnen mehr an Kenntnissen und Fertigkeiten abverlangen als von ihnen erwartet
werden kann.
Zur Ausbildung dieser Fähigkeit
ist es für jeden Prüfer unbedingt notwendig, die eigenen Prüfungen
nachzubereiten und a posteriori auf
mögliche Schwächen hin zu analysieren. Nur durch diese Nachbereitung können die
positiven Seiten einer abgelaufenen Prüfung in Zukunft gestärkt und ihre negativen
Seiten künftig abgeschwächt oder - im Optimalfalle - eliminiert werden. Die
Nachbereitung einer soeben beendeten Prüfung kann somit als erste Phase der Vorbereitung
für die als nächste Prüfung angesehen werden: Je gründlicher die vergangene
Prüfung analysiert wird, desto besser werden künftig anstehende Prüfungen in
aller Regel vonstatten gehen. Dieser Zusammenhang muss Prüfern unbedingt
vermittelt werden. Zudem muss die Prüfungsdidaktik sicherstellen, dass
theoretisch gut fundierte Anleitungen für Prüfer erarbeitet und dass ihnen in
regelmäßigen Abständen entsprechende Fortbildungen angeboten werden.
2.4.2.2 Fachliches Aspirationsniveau
Das prüfungsdidaktische Prinzip Fachliches
Aspirationsniveau mag auf den ersten Blick missverständlich wirken und
bedarf daher der folgenden Erläuterungen (vgl. ergänzend auch Tinnefeld 2002:
21ff). Prüfungen didaktisch günstig zu planen und durchzuführen, ist nicht
gleichbedeutend damit, dass diese Prüfungen für die Prüflinge
fachwissenschaftlich leichter werden sollen: Der fachwissenschaftliche Anspruch
einer Prüfung wird durch ihre prüfungsdidaktische Orientierung in keiner Weise
tangiert, sondern im Gegenteil durch diese noch unterstützt. Prüfungen mussten
in der Vergangenheit bestimmten Qualitätssanforderungen entsprechen, und dies
wird auch in Zukunft so bleiben. Schließlich muss im Blick behalten werden,
dass Prüfungen Qualifikationen und Berechtigungen vermitteln, so dass eine -
hier nicht gemeinte - Infragestellung grundlegender Qualitätsansprüche
kontrapro-duktiv wäre. Unsere Forderung ist vielmehr eine kombinierte, in der
fachwissenschaftlicher Anspruch und prüfungsdidaktische Orientierung integriert
werden und sich somit in ihren positiven Auswirkungen gegenseitig stützen und
fördern: Prüfungen sollen prüfungsdidaktisch möglichst effizient und fachwissenschaftlich
auf möglichst hohem Niveau ablaufen.
Wir gehen von der Gültigkeit des folgenden Zusammenhanges aus, der hier
als Hypothese formuliert werden soll, da seine empirische Absicherung noch
aussteht[23]:
Die prüfungsdidaktische Planung und Durchführung von Prüfungen ist proportional zu dem fachlichen Aspirationsniveau, das diese Prüfungen erreichen. Je fundierter und umfassender die Vorbereitung der Prüfer ist, desto besser können sie sich auf die Prüflinge und die zusammen mit ihnen problematisierten Sachfragen einstellen und zu einem umso höheren fachwissenschaftlichen Niveau können sie ihre Prüflinge folglich führen.
Die konsequente Umsetzung der von uns hier beschriebenen Prinzipien der Prüfungsdidaktik dürfte
also mit hoher Wahrscheinlichkeit das fachliche Aspirationsniveau von Prüfungen
jedweder Art positiv beeinflussen[24].
Im Optimalfalle kann dies so weit führen, dass einem gegebenen Prüfling in
einer Prüfung im Zusammenhang mit den problematisierten Sachfragen Erkenntnisse
zuteil werden, die er vor der Prüfung nicht hatte und die ihn
fachwissenschaftlich weiterbringen. In einer solchen Situation hat dann die
gegebene Prüfung - über ihre reine Funktion als Mittel zur Testung von Kenntnissen
und Fertigkeiten und zur Vermittlung von Qualifikationen und Berufschancen - sogar
Auswirkungen auf die intellektuelle Weiterentwicklung des Prüflings, die sie
ohne eine konsequente prüfungsdidaktische Orientierung kaum je hätte[25].
Die Prüfungsdidaktik kann - in einem zugegeben hohen Anspruch - dazu beitragen,
solche Erfahrungen nicht nur zufällig entstehen zu lassen, sondern günstige
Bedingungen dafür zu schaffen, dass sie frequenter und systematischer
auftreten, als dies vor der Ära der Prüfungsdidaktik der Fall war. Gute Prüfer
sollten in der Tat danach streben, auch in der Prüfungssituation selbst einen
Erkenntnisgewinn wie den beschriebenen bei ihren Prüflingen zu generieren.
Dieser Effekt wird sich kaum durch eine Orientierung an reiner Wissensreproduktion
erzielen lassen. Für seine Verwirklichung ist ein hoher Anteil an Transferfragen
(vgl. Kap. 4.2.6 und 4.3.4.5) grundlegende Voraussetzung. Auch in dem Primat
der Generierung von Transferleistungen beim Prüfling vor der reinen Überprüfung
abfragbaren Wissens ist ein grundlegender Aspekt des fachlichen
Aspirationsniveaus von Prüfungen zu sehen.
2.4.3 Adressatenorientierung
Das Prinzip Adressatenorientierung
(vgl. hierzu auch Tinnefeld 2002: 22f) bedeutet, dass Prüfer bestrebt sein
sollten, ihre Prüflinge niemals solchen Aufgabenstellungen und Übungstypen
auszusetzen, mit denen diese auf-grund ihres Vorwissens und der Voraussetzungen
ihrer Ausbildung nicht zurecht kommen können. Natürlich werden Prüfer Aufgaben
wie die erwähnten in aller Regel nicht absichtlich stellen[26].
Es kann jedoch in der Praxis durchaus vorkommen, dass sie dies tun, ohne sich dieses
Problems oder der Tragweite ihrer Handlung bewusst zu sein: Aufgrund ihres - im
Vergleich zu den Prüflingen - immensen Wissensvorsprungs können Prüfer
bisweilen nicht abschätzen, welche Aufgaben(typen) in schriftlichen Prüfungen
und welche Fragen in mündlichen Prüfungen ihre Prüflinge gerade noch
beantworten können - welche also für diese eine fruchtbare und motivierende
Herausforderung darstellen - und welche für die Prüflinge zu hoch angesetzt
sind und sie somit hoffnungslos überfordern. Auch wenn hier von Seiten dieser
Prüfer keinerlei Absicht vorliegt, muss dieses Problem durchaus als erheblich
eingestuft werden: Ein Prüfer, der dieses Prinzip der Adressatenorientierung
nicht respektiert, ist leicht der Gefahr ausgesetzt, inhaltlich zu hoch
angesetzte Fragen zu stellen bzw. die Behandlung zu anspruchsvoller
Aufgabentypen zu verlangen, da diese für ihn selbst als Experten ja leicht
lösbare Aufgaben darstellen. Informelle Beobachtungen der Prüfungspraxis
vermitteln den Eindruck, dass das hier geschilderte Problem nicht gerade selten
auftritt[27]. Seine
Entstehung kann - unter anderem - durch zwei Arten des Prüferverhaltens
begünstigt werden:
- Der Prüfer zeichnet sich in seinem Fach durch eine so erhebliche Exzellenz
aus, dass er die Momente nicht mehr wahrnimmt, in denen ihm seine Studierenden
oder seine Prüflinge inhaltlich nicht mehr folgen können. Erreichen
Prüfer in ihren Seminaren und Prüfungen ein solches Stadium fachlicher Vereinsamung,
so bedürfen sie dringend der Sensibilisierung hinsichtlich der Bedürfnisse
ihrer Studierenden in Bezug auf die Vermittlung und Testung fachlicher
Inhalte - und somit hinsichtlich des prinzipiellen Unterschiedes zwischen
ihrer eigenen Forschungstätigkeit und dem Niveau, das ihre Studierenden
realistisch zu erreichen vermögen[28]. Aufgabe der
Prüfungsdidaktik ist es dann, Prüfern mittels geeigneter Maßnahmen dazu zu
verhelfen, sich dieses grundlegenden Unterschiedes (wieder) bewusst zu
werden.
- Ein gegebener Prüfer formuliert seine Fragen in mündlichen oder
schriftlichen Prüfungen so unverständlich, dass der Prüfling beim besten
Willen nicht ermitteln kann, auf welchen inhaltlichen Aspekt die Fragen
abzielen. Auch eine solche Situation ist durch einen Mangel an
Adressatenbezogenheit gekennzeichnet. Ein effizienter Weg zur Vermeidung
einer solchen, für beide Seiten problematischen Situation besteht darin,
Prüfer dazu anzuleiten, sich so sprachbewusst wie möglich zu verhalten und
diese Sprachbewusstheit auf die intellektuellen und konzeptuellen Fähigkeiten
ihrer Prüflinge zu projizieren, was zu der Formulierung kurzer,
prägnanter, streng logischer und dabei gut verständlicher Fragen mit
eindeutigem semantischem Gehalt zu führen hat. Auch in diesem Bereich
kann die Prüfungsdidaktik wirkungsvoll zum Einsatz kommen.
Graphisch lassen sich die hier formulierten Zusammenhänge wie folgt
darstellen:
Unsere Reflexionen haben gezeigt, welch erhebliche Bedeutung der Adressatenorientierung in Prüfungen
zukommt. Sie verdient daher mit Recht die Erhebung zu einem prüfungsdidaktischen
Prinzip.
2.4.4 Valorisierung
Unter dem Begriff Valorisierung
verstehen wir hier das Bestreben, dem ein jeder Prüfer folgen sollte, seine
Prüflinge in der Prüfungssituation zur Geltung kommen zu lassen, sie also als
Partner zu behandeln und ihnen den ihnen gebührenden Spielraum zu gewähren. Es
ist für Prüfer absolut unerlässlich zu erkennen, dass nicht sie in der
Prüfungssituation die Hauptrolle spielen, sondern dass diese ihren Prüflingen
zukommt. In diesem Sinne ist dieses Prinzip eng mit dem vorhergehenden
verknüpft: Die Prinzipien Adressatenorientierung
und Valorisierung könnten daher
prinzipiell auch zusammengefasst werden. Wir haben uns jedoch für eine separate
Ausgrenzung zweier Prinzipien entschieden, da beide unterschiedliche Stoßrichtungen
aufweisen. Während das Prinzip Adressatenorientierung
auf die inhaltliche Seite der Kommunikation zwischen Prüfern und Prüflingen
abzielt, ist das Prinzip Valorisierung
auf die personale Seite dieser Beziehung bezogen. Bei ersterer geht es um die
Ausrichtung von Fragen und Aufgabentypen, bei letzterer vorwiegend um die
persönliche Behandlung der Prüflinge durch den Prüfer und um die Gewährung von
Zeit und Gelegenheiten für die Präsentation eigenen Wissens.
In mündlichen Prüfungen beispielsweise kommt es nicht selten vor, dass ein
Prüfer über einen für sein Fach relevanten Gesichtspunkt monologisiert und
dadurch dem Prüfling wertvolle Redezeit und die Gelegenheit der eigenen
Wissenspräsentation nimmt[29].
Ein solches Verhalten mag aus den unterschiedlichsten Beweggründen an den Tag
gelegt werden, wobei hier die eigene Begeisterung des Prüfers und auch das
Bestreben, den jeweiligen Zweitprüfer zu beeindrucken, genannt seien[30].
Ein in dieser Form handelnder Prüfer ist selbstbezogen und zollt dem Prüfling
nicht den ihm zukommenden Respekt, da er dessen persönliche Interessen
unterminiert. Neben der erwähnten Wegnahme wertvoller Zeit ist als weiteres
negatives Nebenprodukt die Gefahr der Desorientierung des Prüflings zu nennen.
Anhand dieses Beispiels wird deutlich, wie wichtig es für Prüfer ist,
Selbstdisziplin zu üben und dem Prüfling das Feld für seine eigene
Selbstdarstellung zu überlassen.
Dieses prüfungsdidaktische Prinzip kann wie folgt visualisiert werden:
2.4.5 Fairness
Für ein Prüferverhalten, wie wir es in Kapitel 2.4.4 dargestellt haben,
kann es bisweilen auch eine negative Ausprägung geben; es kann im Ausspielen
der zweifelsohne vorhandenen Wissenshierarchie des Prüfers gegenüber dem
Prüfling resultieren (vgl. auch Tinnefeld 2002: 24f). Jeder Prüfer besitzt in mündlichen
ebenso wie in schriftlichen Prüfungssituationen eine nahezu unangefochtene -
und unanfechtbare - Position: Er kann die Antworten des Prüflings positiv
interpretieren, er kann sie jedoch auch auf alle denkbaren Schwachstellen hin abklopfen
und dann gegen ihn verwenden. Es ist notwendig, dass sich jeder Prüfer dieses
potentiellen Einflusses, über den er verfügt, bewusst ist, und darüber, dass er
ihn korrekt und sinnvoll nutzen kann, jedoch ebenso missbräuchlich.
Ein unfaires Verhalten des Prüfers liegt beispielsweise dann vor, wenn er
in einer mündlichen Prüfung Monologe hält, um sich selbst als (all)wissend zu
präsentieren und dem Prüfling damit seine eigene intellektuelle Unzulänglichkeit
oder seine fachlichen Lücken zu demonstrieren - die dieser im Vergleich zu
einem Prüfer naturgemäß in aller Regel haben wird. Ein solcher Monolog mag im
Einzelfall auch dazu benutzt werden, dem Prüfling eine schlechte Note erteilen
zu können oder ihn gar in der Prüfung scheitern zu lassen.
Eine andere Form inadäquaten Prüferverhaltens liegt darin, den Prüfling in
voller Absicht vertieft mit solchen inhaltlichen Gesichtspunkten zu
konfrontieren, bei denen er im Prüfungsverlauf bis dato Unsicherheit gezeigt
hat. Natürlich mag ein solches Verhalten in Abhängigkeit von der gegebenen
Situation im Einzelfall durchaus seine Berechtigung haben, da es in Prüfungen
nicht darum gehen kann, diskret die Schwachstellen des Prüflings zu umschiffen,
um ihm dann eine zu gute - somit aber ungerechtfertigte - Note geben zu können;
dies ist sicherlich nicht der Sinn von Prüfungen. Ihr Sinn liegt jedoch ebensowenig
darin, die Schwachstellen des Prüflings prioritär oder gar ausschließlich zu beleuchten,
da ihm auf diese Weise die Gelegenheit genommen wird, seine realistische
Leistungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Ein solches Verhalten ist somit unangebracht.
Ein weiteres Beispiel unfairen Prüferverhaltens liegt dann vor, wenn
absichtlich Fragen gestellt werden, die fachliche Nischen repräsentieren und
deren Beantwortung daher vom Prüfling nicht erwartet werden kann. Die Behandlung
fachlicher Nischen ist auf postgraduierter Ebene gerechtfertigt, nicht jedoch
im Rahmen eines sechs- oder achtsemestrigen Studiums.
Es wäre durchaus möglich, hier weitere Beispiele anzuführen. Wir wollen
uns jedoch auf die genannten beschränken, da es uns an dieser Stelle in erster
Linie um eine generelle Sensibilisierung hinsichtlich der Prinzipien der Prüfungsdidaktik
geht.
Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass die hier beschriebenen
Situationen dadurch gekennzeichnet sind, dass die Prüfer sich absichtlich in für den Prüfling
abträglicher Weise verhalten. Dabei ist von Bedeutung, dass Prüfer sich in
Prüfungssituationen immer in der - im Vergleich zum Prüfling - besseren
Ausganglage befinden. Aus diesem Grunde ist es für prüfungsdidaktisch
erfolgreiche Prüfungen von großer Bedeutung, dass Prüfer in der Lage sind -
oder im Rahmen der Prüfungsdidaktik in die Lage versetzt werden -, jegliche Sympathie
und Antipathie aus Prüfungen ausblenden. Die Beeinflussung von Prüfungen durch solche
affektiven Faktoren entspricht nicht dem Gebot der Fairness: In beiden
Richtungen führt sie unweigerlich zu einer Verfälschung des Prüfungsergebnisses
und somit zu ungleichem Wettbewerb zwischen den Prüflingen. Die Erweisung
persönlicher Gunst von Seiten der Prüfer ist daher ebenso verwerflich wie die
Umsetzung von Revanchegedanken:
Diese Zusammenhänge verweisen auf die prinzipiell vorhandene, emotionale
Komplexität von Prüfungssituationen. Die Prüfungsdidaktik muss somit durch
entsprechende Maßnahmen - einschließlich von Schulungen und Fortbildungen -
bestrebt sein, Prüfungen jeglicher Art einer möglichst fairen Planung und Durchführung
zuzuführen.
2.4.6 Benotungsadäquatheit
Das prüfungsdidaktische Prinzip Benotungsadäquatheit
(vgl. hierzu auch Tinnefeld 2002: 25f) ist auf dem Hintergrund zu verstehen,
dass jeder Prüfer das zentrale Interesse haben sollte, seine Prüflinge angemessen
zu bewerten und ihnen realistische Noten zu geben. Hierin liegt ein
Grundproblem jeglichen Prüfens, das nicht selbstverständlich in die Praxis
umsetzbar ist. Während in der Testtheorie durch die Formalisierung von
Testverfahren und die Entwicklung von Gütekriterien hinsichtlich der Erzielung
objektiver Testergebnisse bereits beachtliche Erfolge erzielt worden sind, ist
die Situation im Bereich aller nicht-standardisierten Testformen gegenwärtig noch
immer unbefriedigend. Im Rahmen der Prüfungsdidaktik und der von ihr
induzierten Forschung wird es somit ein wesentliches Anliegen sein, die
Adäquatheit jeglicher Benotung in Abhängigkeit vom Prüfungstyp zu verbessern.
Wir sind uns durchaus der Tatsache bewusst, dass wir mit dieser Forderung einen
hohen Anspruch formulieren. Wir sind uns ebenfalls dessen bewusst, dass
optimale Resultate hinsichtlich dieser Problematik nicht erwartbar sind. Die
Benotungssituation für nicht-standardisierte Prüfungsformen stellt sich vielmehr
so dar, dass jegliche, noch so geringe Verbesserung der alltäglichen
Benotungspraxis bereits als Erfolg gewertet werden muss. Zudem ist es in diesem
Bereich besonders schwierig, griffige, effiziente Forschungsdesigns zu
entwickeln, deren Ergebnisse relevante und durative Auswirkungen auf die
Benotungspraxis haben. Auch in dieser Hinsicht wird die Prüfungsdidaktik
gefragt sein, entsprechende Modelle zu entwickeln und Forschungsvorhaben
umzusetzen (vgl. hierzu auch Kap. 8).
Ist die beschriebene Situation schon in reibungslos ablaufenden Prüfungen
diffizil, so erhöht sich der Grad der Problematik erheblich in solchen Fällen,
in denen der Prüfling Probleme zu bewältigen hat. Solche Probleme entstehen
beispielsweise dann, wenn er sein erwartetes Leistungspotential nicht abrufen
kann. Unter der Bedingung, dass weitgehend ausgeschlossen werden kann, dass eine
solche Entfernung von seiner optimalen Leistung auf eine unzulängliche
Vorbereitung zurückzuführen ist[31],
sondern in anderen Faktoren - wie beispielsweise einer gewissen Unkonzentriertheit
oder prüfungsbedingter Nervosität - begründet liegt, hat der Prüfer die
weitreichende Entscheidung zu treffen, ob er diesen vermeintlichen Grund aus
der Bewertung ausblendet - den Prüfling also so beurteilt, als ob dieses
Problem nicht existiere - oder ob er diesen
Grund als eine Entlastung für den Prüfling interpretiert und ihn in der
Benotung wohlwollend berücksichtigt. Wenn diese Entscheidung auch beim Prüfer
liegt und in direkter Abhängigkeit von den individuellen, situationsbedingten
Variablen getroffen werden muss, sollte die Prüfungsdidaktik dennoch bestrebt
sein, Prüfern Entscheidungshilfen an die Hand zu geben und ihnen die spontane Entscheidung
zu erleichtern. Als erster Versuch der Angabe einer Handlungsmaxime mag gelten,
dass die in der Jurisprudenz gültige Maßgabe In dubio pro reo in solchen Fällen geeignet sein mag, da eine
Beurteilung auf ihrem Hintergrund es ermöglicht, das Leistungspotential eines
gegebenen Prüflings holistisch adäquater abzubilden, als es eine vermeintlich
objektive Beurteilung einer schlechten Einzelleistung bei einem ansonsten guten
Prüfling vermag. Eine solche, holistische Bewertung ist jedoch nur dann angebracht,
wenn die vergleichsweise schlechte Leistung, um die es geht, wirklich nur
punktuell ist. In solchen Fällen dagegen, in denen ein Prüfling in mehr als
einer Einzelprüfung unter seinem erwartbaren Leistungspotential liegt, ist
diese Art der Bewertung inadäquat. In diesen Fällen ist es hinsichtlich der
Benotung angemessener, davon auszugehen, dass das Leistungspotential dieses
Prüflings niedriger angesetzt werden muss als vielleicht zunächst angenommen.
Dieser allgemeine Hinweis ist jedoch keineswegs als abschließend zu verstehen:
Er vermag lediglich die Stoßrichtung anzugeben, in der die Prüfungsdidaktik in
der Zukunft diese und ähnliche Probleme anzugehen hat:
Anhand unserer bisherigen Reflexionen ist deutlich geworden, dass Prüfungen
der Forderung entsprechen sollten, in menschlich korrekter Form durchgeführt
zu werden.
Prüfungssituationen sind per se
Sondersituationen; Sondersituationen begünstigen nicht selten menschliches
Fehlverhalten. Prüfer und Prüflinge sollten daher alle denkbaren Anstrengungen
unternehmen, die Gefahr von gegenseitigem, menschlich inadäquatem Verhalten so
gut wie möglich auszuschalten. Zwei angedeutete Beispiele mögen diesen
Zusammenhang verdeutlichen: Ein Fehlverhalten von Seiten des Prüfers mag in der
Auslebung seiner Sympathie gegenüber dem Prüfling bestehen; ein Fehlverhalten
von Seiten des Prüflings ist es, in der Prüfung einen Täuschungsversuch zu
unternehmen.
Das prüfungsdidaktische Prinzip, das wir hier mit dem Begriff Menschlichkeit bezeichnen, ist somit von
erheblicher Bedeutung. Nun kann keine Wissenschaft dieses Kriterium für sich
einfordern oder es gar in empirisch abgesicherter Form umsetzen. Dennoch wollen
wir diese noch junge Wissenschaft auf dieses Prinzip hin verpflichten:
Unmenschlich durchgeführte Prüfungen können niemals prüfungsdidaktisch wertvoll
sein. Es steht vielmehr zu vermuten, dass die Ergebnisse solcher Prüfungen
nicht aussagekräftig sind, da in unmenschlich durchgeführten Prüfungen Angst
erzeugt wird und Angst bei Prüflingen in aller Regel zu Minderleistung führt.
Prüfungen müssen daher angstfrei sein; der Prüfling darf nicht mit einer
Situation konfrontiert werden, die für ihn “Sein oder Nichtsein“ bedeutet. Wenn
Prüfungen in vielerlei Hinsicht de facto
auch eine existentielle Dimension inhärent ist, müssen Prüfer dennoch alles
tun, diesen Eindruck bei den Prüflingen zu relativieren, geschweige denn, ihn
noch zu verstärken. Objektiv betrachtet, ist keine denkbare Prüfungssituation
wirklich aussichtslos: Prüfungen müssen nicht immer mit der Spitzennote bestanden
werden; in vielen Fällen reicht auch eine mittlere Note hin; Prüfungen können im
schlimmsten Falle auch wiederholt werden. Diese Alternative sollte keine angsterzeugende
sein, sondern vielmehr eine solche, die Hoffnung verleiht: Es gibt immer
zumindest eine zweite Chance, und Prüfer wie Prüfling werden ihr Bestes tun, um
diese zweite Chance zu einer erfolgreichen werden zu lassen.
Die Prüfungsdidaktik kann dazu beitragen, dieses Prinzip in das
Bewusstsein von Prüfern und Prüferinnen zu rücken. Nur mit Menschlichkeit und in Angstfreiheit geplante und durchgeführte
Prüfungen können zu wirklich realistischen Ergebnissen führen; nur sie sind
prüfungsdidaktisch adäquat:
Abb. 33: Prüfungsdidaktisches Prinzip Menschlichkeit
Nach der Vorstellung der Prinzipien der Prüfungsdidaktik kommen wir nun
zu einem wesentlichen Desiderat der vorliegenden Monographie.
2.5 Desiderat: Die Schaffung von Lehrstühlen für Prüfungsdidaktik
Unsere bisherigen Reflexionen führen unweigerlich zu einer stringenten
Schlussfolgerung: der Notwendigkeit der
Schaffung von Lehrstühlen
für Prüfungsdidaktik[32]. Diese Schaffung von Lehrstühlen sollte in naher Zukunft geschehen,
damit Prüfungen, ihre Planung und Durchführung auf eine breite wissenschaftliche
Basis gestellt werden können:
- Viel zu lange sind Prüfungen - nicht nur auf Hochschulebene, sondern
auf allen denkbaren Ebenen - ohne einen verlässlichen wissenschaftlichen
Unterbau durchgeführt worden.
- Viel zu lange ist von Seiten der Prüfer bisher im Sinne eines ad hoc-Verhaltens geprüft worden,
ohne dass Prüflingen eine wissenschaftlich begründete Vorstellung der
denkbaren Abläufe und der prüfungstechnischen Interaktion vermittelt
worden sei, wodurch ihnen die Möglichkeit gegeben worden wäre, die eigene
Angst vor Prüfungen zu überwinden und sie nicht als unvermeidliche
Notwendigkeit anzusehen, sondern vielmehr als überwindbare Hürden und als
Chance für beruf-liches Weiterkommen und persönliche Weiterentwicklung.
- Viel zu lange ist versäumt worden, Prüflingen das wissenschaftlich
fundierte Wissen darüber zu vermitteln, dass Prüfungen kontrollierbaren Verfahren
unterliegen - Verfahren, die von den Prüfern gesteuert werden können, die
jedoch ebenso gut von den Prüflingen zu beeinflussen sind [33].
Die Schaffung einer soliden Basis, die allen an der Prüfungsinteraktion
Beteiligten eine gewisse Verlässlichkeit verleiht, stellt somit eine dringende
Notwendigkeit dar.
Eine ebenso dringende Notwendigkeit repräsentiert die Forderung, dass
die Schaffung einer wissenschaftlichen Basis in praxisorientierter Art und
Weise vor sich gehen muss. Diese Forderung stellt dabei keinerlei Widerspruch
in sich dar: Gefordert ist hier eine Wissenschaft, die nicht nur teleologisch auf
die Praxis ausgerichtet ist - wie es ja die Regel sein sollte -, sondern die
die Praxis auch auf Dauer im Blick behält. Gemeint ist hier eine Wissenschaft,
deren Qualitätsanspruch sich direkt proportional an ihrem Praxisbezug ablesen
lässt. Sollte dieser Anspruch sich dauerhaft in die Realität umsetzen lassen,
dann würde die Prüfungsdidaktik einen wichtigen Beitrag dazu leisten, den
gegenwärtig bislang künstlich aufgebauten Widerspruch zwischen Wissenschaft auf
der einen und Praxis auf der anderen Seite (vgl. hierzu auch Raddatz 2002: 134)
überwinden zu helfen. Nicht zuletzt in diesem Sinne ist die Prüfungsdidaktik
eine neue Wissenschaft.
Zum Zwecke der weiter gehenden Implementierung der Prüfungsdidaktik erscheint
die Schaffung von Lehrstühlen an Universitäten und Fachhoch-schulen als
unerlässlich. Gemeint sind hiermit Lehrstühle, die nicht etwa der Fachdidaktik
gewidmet sind und die Prüfungsdidaktik mit abdecken. Gemeint sind vielmehr
solche Lehrstühle, die ausschließlich
der Prüfungsdidaktik zugeordnet sind. An diesen Lehrstühlen sollte dann nicht
nur geforscht werden, sondern an ihnen sollten Lehrende möglichst aller
existierenden Fachrichtungen, die an Schule und Hochschule arbeiten, zu Prüfern
und Prüferinnen ausgebildet werden: Ohne eine fundierte Ausbildung in Prüfungsdidaktik
als einem obligatorischen Teilfach jedes Studienfaches, in dem die Absolventen
in ihrer späteren Berufstätigkeit potentiell als Prüfer agieren werden, sollte
es in Zukunft nicht mehr möglich sein, Prüfungen abnehmen und als Prüfer
agieren zu dürfen. Es entspricht in der heutigen, komplexen Welt nicht mehr dem
akademischen Standard, Hochschulabsolventen nach Abschluss ihres Studiums im
Rahmen einer Tätigkeit an Universität und Fachhochschule die
Prüfungsberechtigung mehr oder minder formlos und aus-schließlich auf der Basis
ihrer fachwissenschaftlichen Qualifikation zu erteilen. Es wird in Zukunft immer
mehr erkannt werden müssen, dass die fachwissenschaftliche Qualifikation nicht
das einzige Kriterium für die Erteilung von Prüfungsberechtigungen darstellen
kann. Hinzu kommen muss unbedingt eine Qualifikation in der Fertigkeit des
Prüfens selbst. Die fachwissenschaftliche Qualifikation und die
prüfungsdidaktische Qualifikation müssen in Zukunft als komplementär - und
dabei voneinander untrennbar – eingestuft werden:
Abb. 34: Prüferqualifikation
Ohne die Erfüllung dieser Grundbedingung wird es nicht möglich sein,
Deutschland auf einem akademischen Spitzenplatz in der Welt zu halten. Dabei
geht es nicht darum, diese Forderung irgendwann in der nahen oder näheren
Zukunft umzusetzen. Es geht vielmehr darum, dies jetzt zu tun[34].
Eine denkbare Form der nahe an der Realität des Hochschulsystems
orientierten Umsetzung unserer Forderung ist diejenige, die Prüfungsdidaktik im
Sinne eines Pflichtfaches für alle Fächer, in denen in Schule oder Hochschule
geprüft wird - und dies sind mehr oder minder alle an Hochschulen angebotenen
Fächer - zu implementieren: Jeder Absolvent eines Lehramtsstudiums wird nur
dann zu den Abschlussprüfungen zugelassen werden können, wenn er entsprechende
Studienleistungen in Prüfungsdidaktik nachweisen kann. Ebenso sollte das Fach Prüfungsdidaktik eine Teilprüfung im
Rahmen der Abschlussprüfung darstellen. Jeder Absolvent eines Diplom-,
Bachelor- oder Masterstudienganges, der die Qualifikation erwerben möchte,
weiter an der Universität zu arbeiten und somit eine wissenschaftliche Laufbahn
wählt, in der er zwangsläufig wird als Prüfer agieren müssen, sollte zu dieser
Laufbahn nur dann zugelassen werden, wenn er im Rahmen seines Studiums das
Teilfach Prüfungsdidaktik erfolgreich
abgeschlossen hat oder er sich - als denkbare Alternative - dazu verpflichtet,
dieses Teilfach in den ersten beiden Jahren seiner Hochschultätigkeit berufsbegleitend
zu studieren und es erfolgreich abschießt. Ohne diese Qualifikation sollte ihm
die Berechtigung, Prüfungen durchführen zu können, vorenthalten bleiben.
Trotz der beachtlichen Bedeutung des Faches Prüfungsdidaktik für die Hochschulausbildung potentieller Prüfer wäre
es unrealistisch, die hier formulierten Forderungen rückwirkend zu erheben.
Dennoch sollten auch solche Prüfer, die bereits jahrelang in ihrer
gegenwärtigen Position an Hochschule oder Schule arbeiten, die Gelegenheit
haben, sich im Fach Prüfungsdidaktik
berufsbegleitend im Sinne einer Zusatzqualifikation ausbilden zu lassen. Diese
Möglichkeit sollte nicht obligatorisch erhoben, sondern auf freiwilliger Basis
angeboten werden. Denkbar wäre, dass solche Prüfer, die diese Möglichkeit
nutzen, nach erfolgreichem Abschluss dieser Zusatzausbildung mit einer
Gehalts- bzw. Besoldungserhöhung belohnt würden. Auf diese Weise würden Anreize
geschaffen, auch solchen Prüfern, für die das Studium dieses Teilfaches nicht a posteriori verpflichtend gemacht
werden kann, die Prüfungsdidaktik zugänglich zu machen und ihnen somit eine
wissenschaftlich fundierte Bereicherung ihrer potentiell bereits wertvollen
praktischen Erfahrungen zu vermitteln.
Die hier angeführten Beispiele haben gezeigt, welchen Umfang die
konsequente Implementierung des Faches Prüfungsdidaktik
in der Praxis haben kann. Dabei dürfen natürlich die erheblichen Kosten, die
mit einer solchen Implementierung einhergehen würden, nicht außer Acht gelassen
werden. Dieser - zugegeben wichtige - Aspekt lässt sich im vorliegenden
Zusammenhang jedoch als einziges Gegenargument anführen. Wenn in realistischer
Perspektive auch nicht davon ausgegangen werden kann, dass es möglich sein
wird, für jede der hier erwähnten Studierenden- und Berufsgruppen
formaljuristisch und inhaltlich prüfungsdidaktisch optimale Bedingungen zu
schaffen, muss dieses Ziel doch zumindest angestrebt werden, um die sich gegenwärtig
darstellende Situation zu verbessern: Prüfungen jedweden Typs und jedweder
Orientierung sind von zu großer Bedeutung und zu entscheidend für die Zukunft
der nachwachsenden Generation, als dass sie in Vorbereitung, Planung und
Durchführung weiterhin dem Faktor Zufall
überlassen bleiben sollten. Die vorliegende Monographie ist ein weiterer,
wichtiger Schritt auf dem langen Weg zu der Umsetzung dieser Forderung.
Gegenstand des folgenden Kapitels ist eine von uns durchgeführte
Befragung von Prüfern an deutschen Universitäten und Fachhochschulen im Bereich
der modernen Fremdsprachen, die weitere Aufschlüsse über deren Einstellungen
gegenüber ihrer Tätigkeit, die Bedeutung von Prüfungen und nicht zuletzt über
die Relevanz des Faches Prüfungsdidaktik bereithält.
[1] Vgl. in Ergänzung zu
diesen Ausführungen auch Tinnefeld 2002: 4ff.
[2] Zwar erschien
bereits im Jahre 1982 ein Buch mit dem Titel „Prüfungsdidaktik und
Prüfungspsychologie“ (Beiner 1982). Dort wird jedoch nicht der Anspruch der
Fundierung einer neuen Disziplin erhoben. Zudem hatte diese Publikation keinen
Einfluss auf eine Entwicklung, wie sie hier gefordert wird. Diese Publikation
relativiert somit die in der vorliegenden Monographie beschriebene Situation in
keiner Weise.
[3] Vgl. hierzu die entsprechenden Abschnitte in den Kapitel 5 und 6, in
denen diese Frage unter verschiedenen Blickwinkeln behandelt wird.
[4] In der Praxis mag er jedoch für mündliche Prüfungen von größerer
Relevanz sein als für schriftliche.
[5] In unserer
Darstellung wird der Singular verwendet, was zunächst auf Einzelprüfungen
verweist. Dennoch sei ausdrücklich angemerkt, dass die hier ausgeführten Aspekte
ebenso für Gruppenprüfungen gelten.
[6] Ein wichtiges - jedoch nicht das einzige - solcher Missverständnisse
kann darin bestehen, dass die beiden aneinander vorbeireden.
[7] Vgl hierzu auch Jäger (2000: 190f) wie auch die folgende Definition des
Begriffs: „Die Validität eines Tests gibt an, wie
gut ein Test jenes Merkmal misst, das er zu messen beansprucht. Dabei ist
Vorsicht gegenüber dem bloßen Augenschein angebracht.“
(Straub / Kempf / Werbik 2005: 573).
[8] Obwohl der Bezug hier auf der Hochschule liegt, können unsere
Reflexionen grundsätzlich auch auf die unterschiedlichen Schulformen angewandt
werden. Diese stehen jedoch nicht im Mittelpunkt der
vorliegenden Monographie.
[9] Durch die Erfüllung dieser Forderung nach prinzipieller Vergleichbarkeit
gleichwertiger Prüfungen würden auch Bonus- und Malus-Systeme überflüssig, wie
sie in der Vergangenheit bisweilen zwischen den verschiedenen Bundesländern –
beispielsweise im Lehramt für den Übergang vom Studium zum Vorbereitungsdienst
- angewandt wurden.
[10] Die zentrale Erstellung von Prüfungsaufgaben würde sicherlich einen
erheblichen Fortschritt mit sich bringen. Dabei würde es jedoch zu weit führen
zu verlangen, dass ein solches Institut für Prüfungsdidaktik auch die
Auswertung individueller Prüfungen sowie die Notenvergabe vornehmen solle. Eine
solche Forderung wäre nicht nur hinsichtlich des zu bewältigenden
Arbeitsaufkommens unrealistisch, sondern würde zudem zu einer unbotmäßigen
bürokratischen Aufblähung führen.
[11] Hinsichtlich der Verhältnisses von Prüfungsdidaktik einerseits und
Testtheorie andererseits, vgl. Kap. 1.3 und insbesondere Kap. 2.3.2.3.
[12] Zur externen Abgrenzung des Faches Prüfungsdidaktik - also in der Abgrenzung zu anderen Disziplinen, vgl. auch Kap. 2.3.2.
[13] In allgemeiner
Perspektive kann die Prüfungsdidaktik auf jedes Fach bezogen werden, in dem
Prüfungen durchgeführt werden, und dies unabhängig von der jeweiligen
Institution oder der Prüfungsform. Somit wäre es durchaus berechtigt, hier die
übrigen, gegenwärtig bestehenden Wissenschaften mit Blick auf die
Prüfungsdidaktik zu berücksichtigen und in ihrem Verhältnis zu dieser zu
analysieren. Die an dieser Stelle herausgegriffenen Wissenschaften mögen zur
Verdeutlichung des von uns angewandten Prinzips jedoch hinreichen.
[14] Die Abkürzung PD steht in der Graphik für die
Prüfungsdidaktik. Die prinzipielle Gültigkeit des hier aufgezeigten
Verhältnisses für die Teilfächer der einzelnen selbständigen Disziplinen wird
in der Graphik anhand der Auslassungspunkte symbolisiert.
[15] Der Plural Didaktiken ist im vorliegenden
Zusammenhang gerechtfertigt, da jedem einzelnen Fach eine separate Didaktik
angehört.
[16] Im Sinne einer leichteren Lesbarkeit wird im Folgenden der Singular
dieses Begriffes - Fachdidaktik -
verwendet. Nur in solchen Fällen, in denen explizit auf die Vielschichtigkeit
des Begriffes und gegebenenfalls auf seine unterschiedlichen Ausprägungen
abgehoben wird, wird hier der Plural Fachdidaktiken
benutzt.
[17] Man denke hier beispielsweise an die von einem gegebenen Lernenden
vollkommen selbständige und unabhängig organisierte Aneignung von Lernstoff, an
der weder ein Mentor bzw. Tutor beteiligt ist noch einschlägige
Selbstlernmaterialien verwendet werden.
[18] Als informelle Formen der Leistungsüberprüfung werden gemeinhin die mit
den Begriffen Klassenarbeit oder Klausur belegten Prüfungen bezeichnet, des
Weiteren Kursabschlusstests und ebenso Vokabeltests sowie Präsentationen und
Referate (vgl. Dlaska / Krekeler (2009: 13)). Vgl. hinsichtlich einer
generellen Differenzierung zwischen formellen und informellen Sprachtests auch
die Übersicht in Dlaska / Krekeler (2009: 32).
[19] Eine griffige Unterscheidung zwischen standardisierten und
nicht-standardisierten bzw. informellen Tests liefern Lienert / Raatz (1998:
14), die schreiben:
Standardisierte
Tests müssen wissenschaftlich entwickelt, hinsichtlich
der wichtigsten Gütekriterien untersucht und unter Standardbedingungen
durchführbar und normiert sein. Im anderen Falle handelt es sich um nichtstandardisierte oder informelle Tests, wie sie Psychologen
und Lehrer gewissermaßen für den Hausgebrauch benützen und auswerten.
[20] Wenn wir die hier beschriebenen
Gesichtspunkte in Tinnefeld (2002: 18ff) auch „Wün-schenswerte Merkmale von
Prüfungen“ genannt haben, wollen wir hier nun betonen, dass es sich im Grunde um
mehr als nur ‚Merkmale’ handelt: Es handelt sich vielmehr um Prinzipien, denen die Prüfungsdidaktik zur Optimierung von
Prüfungen generell folgen sollte. Diese Aufwertung von ‚Merkmalen’ zu
‚Prinzipien’ wird hier somit bewusst vorgenommen.
[21] Mit dem Begriff Metafrage
meinen wir hier solche Reflexionen, mit deren Hilfe die eigentlichen
Prüfungsfragen von Seiten des Prüfers abgeklopft und auf ihre Funktionalität
hin untersucht werden.
[22] Diese Forderung darf nicht in der Weise missverstanden werden, dass hier
vorgeschlagen wird, dass Prüfer eine – beispielsweise mündliche - Prüfung im
Vorhinein durchspielen und einen einsprechenden Verlauf antizipieren und dann
unter allen Umständen an diesem imaginären Verlauf festhalten. Vielmehr ist es
vonnöten, diesen Verlauf beliebig zu modifizieren, wenn die Prüfungssituation
dies erfordert. Von den Prüfern wird also ein flexibles Verhalten erwartet. Wir
gehen jedoch davon aus, das solche Prüfer und Prüferinnen, die eine gegebene
Prüfungssituation antizipiert haben, in aller Regel in der Lage sind, flexibler
zu reagieren als solche, die vor der Prüfung keinerlei prüfungsdidaktisch
relevante Reflexionen angestellt haben.
[23] Es gehört nicht
zu den Zielen dieser Arbeit, die hier formulierte Hypothese zu überprüfen. Es
ist jedoch ein Ziel der Prüfungsdidaktik, sie mittelfristig zu überprüfen und
auf diese Weise den Beweis anzutreten, dass die prüfungsdidaktische Ausrichtung
von Prüfungen deren fachwissenschaftlichem Anspruch förderlich ist und keineswegs
abträglich, wie auf den ersten Blick vermutet werden mag.
[24] In diesem Sinne
handelt es sich dann auch um kompetenzorientiertes Prüfen (vgl. hierzu Kleppin
(2009: 109ff)).
[25] Auch dieser
Zusammenhang kann gegenwärtig noch nicht empirisch nachgewiesen werden. Dennoch
mögen viele Prüfer im Rahmen dieser Tätigkeit - oder auch in einer früheren
Situation als Prüfling - eine solche
Erfahrung gemacht haben, und zwar dann, wenn die entsprechende Prüfung gut
geplant und durchgeführt worden war.
[26] Es mag in der Praxis in Einzelfällen durchaus vorkommen, dass
Prüfer - beispielsweise in mündlichen
Prüfungen - absichtlich solche Fragen
stellen, die ihre Prüflinge mit großer Wahrscheinlich nicht beantworten können,
oder sich an solchen Fragen festhalten, mit denen ihre Prüflinge offensichtlich
Schwierigkeiten haben, um diesen zu schaden. Wir wollen ein solches Verhalten
hier jedoch nicht als den Regelfall verstanden wissen. Aus diesem Grunde gehen
wir - bis zum etwaigen Beweis des Gegenteils - davon aus, dass Prüfer ihren
Prüflingen gegenüber fair und wohlwollend auftreten (vgl. hierzu auch Kap.
2.4.9).
[27] Auch die Erforschung dieser Problematik wird in den kommenden Jahren
Gegenstandsbereich der Prüfungsdidaktik sein. Sollte sich dieses Problem auch
in seinem empirischen Nachweis als gravierend erweisen, wird die
Prüfungsdidaktik zudem gefordert sein, Möglichkeiten der Abhilfe aufzuzeigen.
[28] Die hier
angestellten Überlegungen lassen sich in analoger Weise auf die Schulpraxis übertragen
- und hier durchaus auf alle Schulformen. Wenn die Prüfer dort in der Regel auch
keine eigenständige Forschung betreiben, so kann ihre im Vergleich zu ihren
Schülern ungleich tiefer gehende Beschäftigung mit dem eigenen Fach auch hier
zu dem beschriebenen Verhalten führen. Im Bereich der fremdsprachlichen Sprachpraxis
sind beispielsweise (Unterrichts- und Prüfungs)Situationen denkbar, in denen
ein Lehrer, der die von ihm unterrichtete Fremdsprache auf (nahezu) muttersprachlichem
Niveau beherrscht, die Anwesenheit seiner Schüler oder Prüflinge zeitweise
nicht (mehr) wahrnimmt und so „perfekt“ spricht, dass er von diesen nicht mehr
verstanden wird. In Prüfungssituationen ist ein solches Verhalten nicht tolerierbar,
da es zu für die Prüflinge unkalkulierbaren Nachteilen führen kann.
[29] Auch in diesem Zusammenhang sei ausdrücklich betont, dass wir hier nicht
suggerieren wollen, dass ein Prüfer absichtlich so handele, um seinen
Prüflingen zu schaden.
[30] Es ist fraglich, ob diese Wirkung mittels dieser Maßnahme erzielt werden
kann, zumal der jeweilige Zweitprüfer sich gegebenenfalls auch gern selbst
profilieren würde und auf die Selbstdarstellung seines Kollegen durchaus
reserviert reagieren mag.
[31] In diesem
Zusammenhang ist zu beachten, dass es nahezu unmöglich ist, eine solche
Ursachenzuschreibung zuverlässig einzuschätzen.
[32] Wenn wir hier - im
Unterschied zu Tinnefeld (2002: 27ff) - nicht nur die „Aufnahme des Faches Prüfungsdidaktik
in den Kanon wissenschaftlicher Disziplinen“ (ibid.), sondern explizit die
Schaffung von Lehrstühlen fordern, so geschieht dies auf dem Hintergrund der
Tatsache, dass die Frage der Schaffung des Faches Prüfungsdidaktik
allein auf der Basis logischer Erwägungen evident ist. Es geht nunmehr um
dessen ganz konkrete Umsetzung, die am wirkungsvollsten dadurch vonstatten
gehen kann, dass ganz praktisch Hochschullehrerstellen geschaffen werden, von
denen aus eine entsprechende wissenschaftliche Mutiplikations-irkung ausgeht.
Dieses Unterfangen sollte nunmehr in Angriff genommen werden, soll die
Unterstützung dieses Faches kein Lippenbekenntnis bleiben, sondern zum Wohle
unserer Wissenschaften wie auch zu demjenigen unserer Prüflinge umgesetzt
werden.
[33] Es sei hier noch einmal deutlich hervorgehoben, dass das Fach Prüfungsdidaktik nichts gemein hat mit
den bereits in Kap. 1.10 zitierten populärwissenschaftlichen Publikationen wie
Prüfungsratgebern und deren Ausrichtung. Die Prüfungsdidaktik ist eine
wissenschaftliche Disziplin, in deren Mittelpunkt die Forschung sowie die
Umsetzung der Forschungsergebnisse in die Praxis steht. Prüfungsratgeber wie
die zitierten verbleiben dagegen meist auf einer vorwissenschaftlichen Ebene.
Sie mögen für Prüflinge durchaus hilfreich sein, von wissenschaftlichem
Interesse sind sie im Allgemeinen jedoch nicht. Wenn das Fach Prüfungsdidaktik in Zukunft jedoch dazu
beitragen könnte, auch Ratgebern dieses Typs zu mehr Wissenschaftlichkeit zu
verhelfen, so könnte dies als eine positive Entwicklung gewertet werden und
wäre durchaus zu begrüßen.
[34] Wenn wir uns in unseren Ausführungen auch weitgehend auf die Hochschule
beschränken, so ist dennoch augenfällig, dass die gleiche Forderung ebenso für
die verschiedenen Schulformen gilt. Auch hier sollte in Zukunft kein Lehrer
mehr als Prüfer agieren dürfen, der keine prüfungsdidaktische Ausbildung vorweisen
kann.